Johanna Söllner: Die sexuellen Gefälligkeiten der Lady Julie (Buch)

Johanna Söllner
Die sexuellen Gefälligkeiten der Lady Julie
Blue Panther Books, 2019 ebook, 9,99 EUR (auch als Taschenbuch erhältlich)

Rezension von Elmar Huber

„Ich will die Liebe in fernen Ländern erleben. Ich möchte die Liebe auf Französisch. Ich möchte die Geschichten aus 1001 Nacht am eigenen Leib erfahren. Ich möchte erleben, wie es ist, die verschiedenen Stellungen des Kamasutra auszuprobieren. Ich möchte von einem wilden amerikanischen Cowboy mit Gewalt genommen werden. Oder von einem feurigen Spanier. Ich möchte frei sein in allem, was ich tue. Ich treffe die Entscheidungen und nehme mir, was ich will. Auch wenn die Männer glauben mögen, es sei gerade umgekehrt.“

London 1870: Nach einer in allen Belangen unerfüllten und beengenden Ehe mit dem wesentlich älteren Grafen Charles de Abbeyville kann Lady Julie bei seinem Tod keine Trauer empfinden. Im Gegenteil. Sie beschließt schon bald, die neu gewonnene Freiheit zu nutzen und eine Weltreise anzutreten. Dabei lockt sie nicht nur der Gedanke, fremde Länder und Kulturen kennenzulernen; wenigstens in gleichem Maß sucht sie ihren erheblichen fleischlichen Appetit zu stillen. So fasst sie den Entschluss, ihrer Reise ohne größere finanzielle Mittel anzutreten und sich den Gentlemen, die ihr auf dem Weg Hilfe anbieten, auf ihre Art gefällig zu zeigen.

Vom verregneten England, in dem vor allem die Adeligen sexuell unterentwickelt scheinen oder einfach zu alt, um ihren jungen Frauen zu schenken, was diese brauchen, begibt sich Lady Julie zu Wasser und zu Land über Frankreich in den Orient, weiter nach Asien, über den Pazifik an Amerikas Westküste und von dort zurück nach England.

„Es ist erstaunlich. Langsam füllt sich der Saloon, und die Luft wird stickig. Pete und ich haben alle Hände voll zu tun, unsere Gäste mit Whiskey zu versorgen. So viel Geschäft hat er die ganze letzte Woche über nicht gemacht. Bislang habe ich das Bustier noch bis zum obersten Knopf zugeknöpft gelassen. Ich beschließe, die Stimmung ein wenig anzuheizen.“


Ziemlich schnell wird deutlich, dass die abenteuerlustige Julie sich alles andere als ladylike benimmt, sobald ihre Spalte das Denken übernimmt. Gleich vier fidele Künstler werden in Paris zu ihren ersten ‚Opfern‘. Doch währt diese Unbeschwertheit nicht lange, und schon ihre orientalischen Abenteuer sind weit weniger lustvoll. In Jerusalem werden ihr ihr Stolz und ihre Freizügigkeit beinahe zum Verhängnis. Umgekehrt lernt sie auf ihrem weiteren Weg schnell, ihren Körper einzusetzen, um ihre Ziele zu erreichen beziehungsweise sich von den Folgen ihres unbedachten Handelns freizukaufen.

Ihre selbst auferlegte ‚Mission‘ kommt dabei nicht kurz. In Indien erlebt Julie die Freuden des Kamasutra; dieses Wissen kann sie einsetzen, wenn sie sich in Hongkong zeitweise als Hure verdingen muss. Sie entdeckt ihre Begabung als Domina und lernt die Kunst des erotischen Bondage kennen, bevor sie mit mehr Ideenreichtum als Sittlichkeit eine Goldsucherstadt aufmischt und sich danach einen Platz als blinde Passagierin zurück in die Heimat ‚erfickt‘.

Mit seinem historischen Hintergrund bietet „Die sexuellen Gefälligkeiten der Lady Julie“ eine schöne Abwechslung zu sonstigen Themen, die meist als Rahmen eines Erotik-Romans herhalten müssen. Darüberhinaus ist die Idee der erotischen Weltreise überaus dankbar. Natürlich hangelt sich die Geschichte von einem zum nächsten erotischen Höhepunkt, doch ist mit den wechselnden Schauplätzen für kurzweilige Abwechslung gesorgt. Mit jeweils knappen Worten versteht es Autorin Johanna Söllner, die Orte des Geschehens knapp, doch ausreichend zu charakterisieren, das leichtlebige Paris, der exotische Orient, das friedvolle Japan oder das kloakenartige San Francisco.

Damit ist auch dafür gesorgt, dass Julie den verschiedensten Männern begegnet. Einige davon dienen nur als Futter für ihre Möse, für andere entwickelt sie durchaus Gefühle, woraus sich auch einige dramatische Konsequenzen ergeben. Überhaupt kommen mit fortschreitender Handlung ihre fürsorglichen Züge immer mehr zum Tragen, wie auch ihre nymphomanen Neigungen zunehmen. Je mehr Spielarten der Lust Julie kennenlernt, desto hungriger wird sie. Dennoch schafft die Autorin den Spagat, die Figur nicht vollständig ihrer sexuellen Gier zu ‚opfern‘ und sie auf ihrer Reise sogar eine Entwicklung zur emanzipierten, gereiften und selbstbestimmten Frau durchmachen zu lassen.

Alles in allem bietet „Die sexuellen Gefälligkeiten der Lady Julie“ genau das, was man erwartet. Der Roman präsentiert sich in allen Belangen phantasievoll und abwechslungsreich und lässt sich in einigen Stunden flüssig und anregend weg lesen.

Das Cover-Motiv ist zwar ‚nur‘ aus Stockfotos zusammengebaut, trifft den Inhalt jedoch sehr gut und ist insgesamt ein edel gestalteter Blickfang.

Wie immer bei Blue Panther Books ist noch eine Internet-Bonusstory zum Roman verfügbar, sofern man dort angemeldet ist. In „Wilde Leidenschaft“ fällt Lady Julie noch in die Hände eines Indianerhäuptlings und dessen Schwester.