Franz Kafka: Das Schloß (Hörbuch)

Franz Kafka
Das Schloß
Ungekürzte Lesung von Christian Brückner
Argon, 2019, 2 mp3-CDs, ca. 853 Minuten, 24,95 EUR, ISBN 978-3-8398-7116-4

Rezension von Irene Salzmann

Der Landvermesser K. trifft in einem winterlichen Dorf ein und bittet um ein Nachtquartier, das man ihm aus Angst vor Problemen mit dem Schloss nur widerwillig gewährt, weil er keine Aufenthaltserlaubnis besitzt. Noch in derselben Nacht erfährt ein Beamter von seiner Anwesenheit und will ihn rüde fortschicken, doch kann geklärt werden, dass das Bestellen eines Landvermessers im Gespräch war und dass er anscheinend nicht gebraucht wird.

Man lässt ihn, nun höflicher geworden, dennoch bleiben, und er soll seiner Aufgabe nachgehen, für die ihm zwei Gehilfen zugeteilt werden, die von der Arbeit nicht die geringste Ahnung haben und sich durch ihr Verhalten ständig K.s Unmut zuziehen. Sein Wunsch, mit den Verantwortlichen im Schloss oder wenigstens einem zuständigen Beamten, Klamm, der im Wirtshaus verkehrt, über seine Arbeit sprechen zu dürfen, bleibt unerfüllt.

Als er sich endlich gegenüber einem anderen erklären darf, hat er eine Stelle als Schuldiener angenommen, um sich und seine Braut Frieda, vormals Klamms Geliebte, ernähren zu können. Allerdings vermag er nun nicht mehr vorzubringen, was ihm ursprünglich wichtig war, weil sich die Situation für ihn geändert hat. Trotzdem es zu Kontakten zu einigen der zunächst abweisenden Dorfbewohner kam, bleibt er ein Fremdkörper, der die Abläufe in der Gemeinde und den Einfluss der Beamten nicht versteht.


Neben „Der Prozess“ und „Der Verschollene“ ist „Das Schloss“ aus dem Jahr 1922 der dritte nicht abgeschlossene Roman Franz Kafkas. Das Manuskript wurde entgegen seines Wunsches 1926 postum von seinem Freund Max Brod veröffentlicht. Dieser rekonstruierte überdies anhand von Kafkas Beschreibungen ein Ende, das in der vorliegenden Hörbuchfassung ebenso wenig berücksichtigt wurde wie die vom Autor gestrichenen Passagen.

Das Buch weist keine konkrete Handlung auf, sondern wird zunehmend von Dialogen geprägt, in denen die Dorfbewohner K. von ihrem Leben erzählen. Dabei versuchen sie, ihm zu erklären, weshalb sie zu den Beamten im Schloss aufblicken und ihnen alles recht machen wollen. Gleichzeitig stellen sie sein unangepasstes Verhalten infrage.

Es finden sich dabei einige Widersprüche: Zum Beispiel werden anfangs Frau und Kind erwähnt, die K. zurückgelassen hat und zu denen er mit dem Verdienst in der Tasche heimkehren möchte. Doch dann ist von diesen nicht mehr die Rede, er findet eine Braut und will bleiben. Ursprünglich wartete K. auf seine Gehilfen, die mit dem Arbeitsgerät und Unterlagen nachkommen sollten. Dann teilt ihm das Schloss zwei Männer zu, die behaupten, die erwarteten langjährigen Gehilfen zu sein, obwohl sie sich mit der Arbeit nicht auskennen. Ferner verschwindet der Schlossherr aus der Geschichte, und nur noch der gigantische Beamtenapparat geht seinen Tätigkeiten nach, geachtet und gefürchtet von den Menschen, doch wird nie durch direkte Maßnahmen in deren Leben eingegriffen. In vorauseilendem Gehorsam bestrafen sich die Bürger bei mutmaßlichen Verfehlungen selbst, wie Amalias Schicksal zeigt.

Es ist K.s Ziel, ins Schloss zu gelangen und dort wegen seiner Arbeit vorzusprechen. Allerdings ist es ihm unmöglich, den Weg zu finden, und egal, wie lange er geht, es kommt nie näher. Jene, die Zutritt haben, nehmen ihn nicht mit oder tauchen gar nicht erst auf, wenn er an ihrer Kutsche oder vor dem Gasthauszimmer wartet. Die jungen Frauen, die für seinen Charme empfänglich und bemüht sind, ihm zu erklären, dass sich die Beamten nicht für die einfachen Menschen interessieren, er also nie Einlass erhalten und jemandem sein Anliegen vortragen wird, können ihm nicht helfen und verlieren dadurch für ihn von ihrer anfänglichen Attraktivität.

K. begreift nicht, weshalb sich die Menschen mit ihrem Schicksal abfinden, sich der Bürokratie klaglos unterwerfen, sich selbst und ihren Nachbarn das Leben zur Hölle machen, nur weil man den Zorn der Beamten fürchtet, noch bevor es zu Sanktionen kommt, die letztendlich ausbleiben. Im Vergleich zu diesen devoten Menschen wirkt er frisch, tatkräftig, zielstrebig, ja, arrogant, doch er reibt sich bald auf bei den vergeblichen Bemühungen, wenigstens Klamm zu sprechen. Er wirkt immer müder, enttäuscht und auch resigniert, aber er bleibt trotzig und will sich nicht unterkriegen lassen. Dann bricht die Handlung abrupt im Gespräch mit der Wirtin ab, und es gibt keine Auflösung, dafür nur viele Interpretationsmöglichkeiten.

Der Beamtenapparat erinnert an die Vorliebe der Deutschen, alles durch Gesetze und ausführende Behörden regeln zu lassen. Sie bilden einen undurchdringlichen Dschungel, dem der Bürger hilflos ausgeliefert ist, weil er sich nicht auskennt und von einem nicht zuständigen Beamten an den nächsten weitergereicht wird. Sein Anliegen will niemand hören. Er ist Opfer ihrer Willkür und landet am Ende nicht selten desillusioniert und frustriert an seinem Ausgangspunkt, ohne etwas bewirkt zu haben. So bleibt das Schloss unerreichbar wie etwa der gesellschaftliche Aufstieg in eine deutlich höhere Klasse.

Im Vordergrund steht eine klare, ausgefeilte Sprache, in der vor allem das Leben im Dorf, die Menschen und ihre Gedanken beschrieben werden. Jeder hat eine andere Sichtweise zu einer bestimmten Person oder Sache und glaubt, dass seine die richtige ist und der andere nicht immer die Wahrheit spricht.

Ein durch und durch kryptisches Werk, das man schwerlich ‚nur mal so nebenbei‘ lesen/hören kann, wobei das Hörbuch vermutlich leichter zu bewältigen ist als der Print.

Der Theaterschauspieler Christian Brückner liest „Das Schloss“ in einem ruhigen, sehr betonten Stil, ohne seine Stimme für die verschiedenen Personen zu verstellen. Man kennt ihn unter anderem als die Stimme von Warren Beatty in „Bonnie und Clyde“ und von Martin Sheen in „Apocalypse Now“. Ferner wirkte er an Hörproduktionen wie „Die Blumen des Bösen“ von Charles Beaudelaire und „Moby-Dick“ von Herman Melville mit. Darüberhinaus hatte er TV-Auftritte in diversen Krimi-Serien und Filmen wie „Der Millionencoup“ und „Schatten der Erinnerung“.