Ellen Sandberg: Der Verrat (Hörbuch)

Ellen Sandberg
Der Verrat
Gekürzte Lesung von Thomas M. Meinhardt
Lesefassung. Anke Albrecht
Hörverlag, 2017, 1 mp3-CD, ca. 638 Minuten, ca. 9,99 EUR, ISBN 978-3-8445-3203-6

Rezension von Irene Salzmann

Pia, Birgit und Nane Arnholdt sind Schwestern, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Die älteste ist nüchtern, zielstrebig und macht Karriere als Restauratorin, die mittlere ist stets um Vermittlung und Harmonie bemüht und hat nach einem gravierenden Fehler ihre Zukunftsträume begraben müssen, und die jüngste war stets rebellisch in der Hoffnung, endlich mehr von ihren selbstbezogenen Eltern beachtet zu werden.

Mittlerweile sind die Eltern nicht mehr am Leben. Pia ist mit dem renommierten und viel älteren Winzer Thomas von Manthey verheiratet, mit dem sie eine Tochter, Lissy, hat; Birgit führt den elterlichen Antiquitätenhandel weiter; und Nane versucht nach der Verbüßung einer lebenslänglichen Haftstrafe, zurück in ein normales Leben zu finden trotz der Vorwürfe, die sie sich noch immer macht, weil durch ihre Schuld ein Mensch gestorben ist.

Entgegen des Rats ihres Bewährungshelfers sucht Nane Thomas auf, dessen Sohn aus erster Ehe der Getötete war, da es einige wichtige Fragen gibt, die sie nach all den Jahren gerne klären würde. Sie findet ihn im Weinberg nach einer Herzattacke und rettet ihm durch ihr schnelles Handeln das Leben. Pia unterstellt Nane jedoch, dass ihr unverhofftes Auftauchen Thomas einen Schock versetzt habe, dass sie für seinen Zustand verantwortlich sei und erwirkt ein Näherungsverbot.

Während Thomas im Krankenhaus liegt, bittet Pia Lissy, nach Hause zu kommen und sich um den Wingert zu kümmern. Die Studentin trifft kurz darauf mit ihrem Freund David ein, um die Aufgaben des Vaters zu übernehmen. Das gefällt Pias Schwägerin und Thomas‘ Adoptiv-Schwester Margot überhaupt nicht, weil sie gerne ihren Sohn Marius als Erben sehen würde und vergeblich durch Tricksereien versucht, ihn auf Lissys Position zu hieven.

Allerdings hat Margot einen Trumpf im Ärmel, der Pia in arge Bedrängnis bringt: Es sind die Beweise für das, was in jener verhängnisvollen Nacht wirklich geschah, durch die eine schreckliche Lüge aufgedeckt und Vieles verändert werden könnte, selbst wenn die Wahrheit das Unrecht von damals nicht ungeschehen zu machen vermag.


Ellen Sandberg alias Inge Löhnig erzählt die Geschichte aus wechselnden Perspektiven und mit Hilfe von regelmäßigen Rückblenden. Sie schüttet vor dem Leser beziehungsweise Hörer ein Puzzle aus, dessen einzelne Teile Stück für Stück angelegt werden und das Gesamtbild vervollständigen. Zwar ahnt man früh, dass die Tragödie nicht so abgelaufen ist, wie die meisten Protagonisten glauben und auch das Publikum vermuten soll, doch gibt es einige Ungereimtheiten, die zu Überraschungen und am Schluss zu den Lügen in der Lüge führen.

Im Mittelpunkt stehen die drei Schwestern, insbesondere Pia und Nane, die schon als Kinder kaum Berührungspunkte hatten. Birgit, das typische Mittelkind, bleibt blass, da sie über ihre Rolle als beschwichtigendes und verbindendes Familienmitglied nicht hinauskommt.

Zwischen Pia und Nane bestand stets Konkurrenz: hier die erfolgreiche und umschwärmte Dame, dort der kiffende Punk mit den gescheiterten Beziehungen. Um dem noch eins drauf zu setzen, nahm Pia nicht nur einmal Nane einen Mann weg, der ihr sehr viel bedeutete. Allerdings ist die jüngste Schwester ein sehr komplizierter Mensch, der einen Teil der Ursachen, warum ihr so viel missglückte, bei sich selbst suchen muss. Der Wunsch nach Beachtung und Liebe veranlasste sie regelmäßig zu klammern, so dass die Männer die Flucht ergriffen und sich anschließend ihrem Stalking entziehen mussten. Sie nimmt Beruhigungsmittel und ist unberechenbar, was verheerende Folgen nach sich zieht, insbesondere für sie selbst, da sie es nicht schafft, die Abwärtsspirale, die sie durchaus erkennt, ohne Hilfe hinter sich zu lassen.

Doch Pia ist nicht besser, vielleicht sogar schlimmer, da sie, anders als Nane, erfolgsverwöhnt ist und für ihre persönlichen Probleme andere zu Sündenböcken erklärt, die Konflikte nicht einmal wahrnehmen und etwas für die Lösung unternehmen will. Sie gefällt sich in der Rolle der Karrierefrau und Winzergemahlin und will ihr Glück um keinen Preis gefährden. Welchen Preis andere zahlen müssen, bereitet ihr kaum ein schlechtes Gewissen - würden andere in dieser Situation nicht ähnlich handeln?

Letztendlich kommt die Wahrheit ans Licht. Es gibt Verlierer und Quasi-Gewinner. Natürlich kann die Zeit nicht zurückgedreht und nach der Verjährung Gerechtigkeit geübt werden, aber es bleibt wenigstens eine gewisse Genugtuung, dass die böse Lüge als solche entlarvt wurde und ein Neuanfang möglich ist, während jene, die das Geheimnis hüteten, die Scherben ihres Lebens aufkehren und weitersehen müssen.

Thomas M. Meinhardt liest das Drama routiniert und zieht den Zuhörer schnell ins Geschehen. Der Schauspieler, Sprecher und Dozent hatte unter anderem Rollen inne in „Polizeiruf 110“, „Tatort“ und „SOKO 5113“.

„Der Verrat“ ist ein spannendes, dramatisches Hörbuch mit Krimi-Elementen, das bloß am Rande ein wenig Lokalkolorit (Weinberg an der Saar) berücksichtigt. Theoretisch hätte die Handlung auch in anderen Weinanbaugebieten spielen können. Hier hätte man sich ein bisschen mehr gewünscht und dafür etwas weniger klischeehaften ‚Schwestern-Konflikt‘.