Captain Marvel: Zwischen den Sternen (Comic)

Captain Marvel: Zwischen den Sternen
(Diverse Originalausgaben, 1962-2017)
Titelbild: Adi Granov
Übersetzung: Gerlinde Althoff, Stefan Pannor, Michael Strittmatter, Robert Syska
Panini, 2019, Hardcover, 324 Seiten, 29,00 EUR, ISBN 978-3-7416-1032-6

Rezension von Irene Salzmann

Langjährige Comic-Fans wissen es, die Kinogänger eher nicht: Captain Marvel war der erste Superheld, der sterben musste und (bislang) nicht zurückkehrte, außer durch ein kurzfristiges ‚Wunder‘ für einzelne Abenteuer und in Rückblenden. Damit liegt auf der Hand, dass nicht die bekannte Carol Danvers der (die) erste Held(in) war mit jenem Namen. Tatsächlich gab es bereits in den 1940er Jahren eine Superman-Alternative bei Fawcett Comics mit diesem Namen, den sich Jahre später Marvel sicherte, so dass DC Billy Batson in Shazam umbenennen musste.

Marvels Captain Marvel, geschaffen von Stan Lee und Gene Colan, debütierte 1967 in „Marvel Super-Heroes“ 12 als Mar-Vell alias Dr. Walther Lawson. Er war ein Kree-Krieger, der auf die Erde gesandt wurde, um Informationen zu sammeln, ob diese Welt den technologisch überlegenen Kree (allein die Fantastic Four, die Avengers, die X-Men und so weiter besaßen fortschrittliche Gadgets) gefährlich werden könnte und ausgelöscht werden müsste.  Trotz dieses Auftrags wurde Captain Marvel zu einem Verteidiger der Menschheit, wobei ihm unter anderem die Air Force-Pilotin Carol Danvers, erschaffen von Roy Thomas und Gene Colan („Marvel Super-Heroes“ 13,1968) und Rick Jones („Incredible Hulk“ 1, 1962; Sidekick von Hulk und Captain America) zur Seite standen. Mar-Vell war Mitglied der Defenders und Avengers und starb, betrauert von seinen Kameraden, an Krebs („The Death of Captain Marvel“, 1982).

Carol Danvers, ein normaler Mensch, wurde von dem Strahl einer Kree-Maschine getroffen. Später verschmolz ihre DNA mit der von Mar-Vell, und das ließ sie zur Superheldin werden, die sich Ms. Marvel nannte („Ms. Marvel“ 1, 1977). Anfangs litt Carol unter Migräne-Attacken, die sie ohnmächtig werden und in der Zwischenzeit Ms. Marvel als Alter Ego den Körper übernehmen ließen. Parallel arbeitete sie für ein Frauen-Magazin des „Daily Bugle“ und gab sich als emanzipierte Frau beziehungsweise Feministin. Die Darstellung der Heldin in dieser Zeit erinnert etwas an Supergirl und die Aussetzer an Rose und Thorn von DC.

Ms. Marvel wurde Mitglied der Rächer, blieb damals aber - wie Wasp - eine Quotenfrau. Nachdem ihr Rogue die Kräfte und viele Erinnerungen geraubt hatte, erlangte sie neue Fähigkeiten durch die Experimente der Brood. Statt bei den X-Men zu bleiben, schloss sie sich als Binary den Starjammers an. Sie musste fortan viele Rückschläge verkraften, bevor sie wieder in die erste Riege der Superhelden gelangte.

Bis dahin trugen andere den Namen Captain Marvel, darunter Monica Rambeau (Photon, Pulsar, Spectrum) und diverse Klone, während Carol eine Weile als Warbird für das Gute kämpfte. Ihr Ms.-Marvel-Alias überließ sie dem Fan-Teenie Kamala Kahn.

Nur widerwillig nahm Carol den Namen Captain Marvel an, von Captain America geschickt dazu manipuliert. Zu viel verband sie mit Mar-Vell, obwohl es nie so weit ging, dass sie zu einem richtigen Liebespaar wurden. Zu Beginn verehrte sie den Helden und lehnte sein Alter Ego ab - auch wieder eine Parallele zu Clark Kent/Superman und Lois Lane.

Es dauerte doch eine ganze Weile, bis sich Ms. Marvel als Captain Marvel wirklich emanzipieren konnte, die ähnlichen Motive hinter sich ließ und sich von der Standard-Heldin zu einem eigenständigen, interessanten und nachvollziehbaren Charakter entwickelte. Auch ihre Kostüme geben Aufschluss über diesen Verlauf, der von Mar-Vell ähnlichen Adaptionen über einen hübschen ‚Swimsuit’-Look bis hin zu einem funktionalen Dress reicht, der wieder an ihre Kree-Wurzeln erinnert.

Dass nun Carol das Erbe von Mar-Vell antritt, ist teils den Kino-Filmen geschuldet, teils den Autoren, die diese Figur aus der Versenkung geholt haben. Geprägt wurde sie unter anderem von Roy Thomas, Gerry & Carla Conway, Chris Claremont, zeichnerisch in Szene gesetzt von Brent Schoonover, Jim Cheung, David López und so weiter - und das sind bloß ein paar Namen von Künstlern, deren Werke der Panini Verlag für diese Anthologie zusammengestellt hat, da die jeweiligen Storys richtungsweisend für die Protagonisten waren.

Ms. Marvel ist ein Charakter, den man kennt, wenn man mit den Avengers und X-Men vertraut ist, doch wirkte sie eher hausbacken und blieb im Schatten von anderen Heroinnen wie zum Beispiel Wasp, Scarlet Witch und vor allem Rogue. Obwohl sie eine Kämpferin für Frauenrechte sein sollte, blieb sie unter ihren Möglichkeiten, wofür auch die Realität sorgte. Man muss ihr  allerdings zugute halten, dass sie aktiv für ihre und die Rechte anderer eintrat, dass sie Leistung zeigte, dass sie nach Höherem strebte - und eben nicht über eine Quote die Ränge bekleidete, die sie in den verschiedenen Abschnitten ihres Lebens einnahm; ‚Quotenfrau‘ bei den Avengers war sie seinerzeit ja auch nur (wie Wasp), weil das Team damals überwiegend männliche Mitglieder hatte. Diesen Kontext darf man nicht aus den Augen verlieren.

Der Film hat die Figur Carol Danvers alias Captain Marvel in den Vordergrund gespielt und umgekehrt, weil noch so Manches bei ihr zu interpretieren möglich ist. Dass man den neuen Captain Marvel jetzt jedoch als die mächtigste Super-Heroine feiert, kaum dass man sie entstaubt hat, wirkt - trotz interessanter Story - übertrieben, denn auch andere Heldinnen haben faszinierende und entwicklungsfähige Geschichten, wobei man gern an Rogue denkt, die in den Filmen leider zu jung und verhuscht wirkt (wenn man die Comics kennt), an Prestige (Rachel Summers), Scarlet Witch (Wanda Maximoff), She-Hulk (Jennifer Walters), White Queen (Emma Frost) und so weiter. Man weiß es ja von Spider-Man, dass meist die Tagesform oder die Raffinesse darüber entscheidet, ob ein (vermeintlich) schwächerer Gegner den dicken Brocken doch noch besiegt.


Die Anthologie bietet einen reizvollen Überblick, auch dank der Sekundärtexte, über das Phänomen Captain Marvel - ein Name, der mehrere Träger hatte, von denen einige einer genaueren Betrachtung wert sind. Die Filme mögen klasse sein, aber der Comic-Insider gibt dann letztlich meist doch den Heften und der dortigen vielschichtigeren Interpretation eines Charakters den Vorzug.
 
Ein schöner Band, um sich einen Überblick zu verschaffen, aber die Story-Auswahl ist subjektiv. Andere Geschichten wären vielleicht genauso spannend und wegweisend gewesen.