Black Hammer 1: Vergessene Helden (Comic)

Jeff Lemire
Black Hammer 1
Vergessene Helden
(Black Hammer Volume 1: Secret Origins (Black Hammer 1-6), 2016)
Übersetzung: Katrin Aust
Titelbild und Zeichnungen: Dean Ormston
Splitter, 2018, Hardcover, 184 Seiten, 19,80 EUR, ISBN 978-3-96219-081-1

Rezension von Elmar Huber

Unmittelbar nachdem Black Hammer, Abe Slam, Golden Gail, Barbalien, Colonel Weird, Talky-Walky und Madame Dragonfly Spiral City vor dem schier übermächtigen Anti-Gott gerettet haben, sind sie von der Bildfläche der Menschheit verschwunden. Black Hammer hat bei dem Kampf sein Leben verloren, die anderen fanden sich von einem Augenblick auf den anderen auf einer Farm im provinziellen Nirgendwo wieder, innerhalb eines begrenzten Areals, das sie nicht verlassen können. Rudimentäre ‚menschliche‘ Kontakte bestehen nur zur nahen Kleinstadt.

Während sich Abe Slam in den zehn Jahren, die sie nun hier schon festsitzen, mit der Situation arrangiert hat und nach außen die Rolle des Farmers und Familienoberhaupts spielt, leiden die anderen unter der Eintönigkeit und der Nutzlosigkeit, zu der sie verdammt sind.


Die Situation, mit der „Black Hammer“ in das Geschehen einsteigt, klingt zunächst relativ unspektakulär, doch Superstarautor Jeff Lemire („Sweet Tooth“, „Green Arrow“, „Old Man Logan“) schafft es ziemlich schnell, den Leser für die Figuren zu interessieren, hinter denen spürbar mehr steckt, als es zunächst den Anschein hat. Die ganze Situation dieser Superhelden-„Waltons“ scheint ein einziges Rätsel zu sein. Der augenscheinliche ländliche Friede täuscht gewaltig.

Golden Gail ist eine gestandene Frau, gefangen im Körper einer Neunjährigen. Der in Rätseln dauerbrabbelnde Zausel Colonel Weird taucht, in seinem Raumanzug schwebend, mal hier, mal dort auf der Farm auf. Sein Roboter Talky-Walky baut unermüdlich Sonden, um mit ihnen einen Kontakt mit der ‚Außenwelt‘ herzustellen. Barbalien ist ein Krieger vom Mars, der unter seiner Einsamkeit leidet und auf dem Scheunendach sitzend gern seinen Gedanken nachhängt. Madame Dragonfly ist durch einen Fluch mit der Hütte verbunden, in der sie allein, einige Meter entfernt vom Farmhaus, lebt.

Und Abe Slam versucht, in der Rolle eines Familienoberhauptes Verantwortung zu übernehmen, den Anschein von Normalität zu vermitteln und diesen Haufen zusammenzuhalten. Dass er sich Sheriff Trueheart zum Feind macht, weil dessen Ex-Frau Abe im Diner schöne Augen macht, ist dabei nicht hilfreich. Ebensowenig wie Gails Trotz-Aktionen, die regelmäßig ihren Schulbesuch torpedieren.

In kleinen Portionen, mit gezielten Andeutungen, unterfüttert Jeff Lemire diese Seifenoper mit Infoschnipseln und Rückblenden in die Vergangenheit der Helden, so dass nach und nach ein immer größeres Bild entsteht. Abenteuer, Tragik und Dramatik halten Einzug ins Geschehen, und die Figuren werden regelrecht mit Leben aufpumpt. In jedem Kapitel (= jede US-Nummer) rückt dabei eine der Figuren in den Mittelpunkt, inklusive der jeweils passenden Origin Story, wie es der US-Titel „Secret Origins“ schon andeutet.

Parallel dazu werden nach und nach verschiedene Spannungsfelder aufgebaut, mit denen Jeff Lemire ebenfalls gekonnt jongliert. So deuten einige Szenen bereits an, dass sich für unsere Helden-Wohngemeinschaft bald etwas ändern wird. Einmal sind es die zunehmenden Interaktionen mit den Stadtbewohnern, die plötzlich für ungeahnte Entwicklungen sorgen, aber auch die jüngste einer Reihe von Sonden, die Talky-Walky beharrlich konstruiert, in der Hoffnung, mit ihnen die ‚Grenze‘ zu durchbrechen und Kontakt mit der ‚echten Welt‘ aufzunehmen. Tatsächlich kann die Sonde die Barriere überwinden und wird von den richtigen Leuten entdeckt. Nach zehn Jahren das erste Lebenszeichen der „größten Helden eines verlorenen Zeitalters“. Ein Fund, an dem die Reporterin Lucy Weber, Tochter von Joseph „Black Hammer“ Weber, ganz besonders interessiert ist.

Wie Jeff Lemire dies aufzieht und realisiert, ist schon ganz großes Erzählkino. Hier sitzen jeder Dialog, jeder Schnitt und jede Szene. Zwar sind alle Elemente bekannt, und Aufbau und Struktur bieten für Serienjunkies auch keine Überraschungen, doch greifen die Elemente so großartig ineinander, und alles läuft so geschmiert, wie man es selten gelesen hat.

Dass „Black Hammer“ eine deutliche Meta-Ebene im Gepäck hat, ist dabei nur noch ein zusätzliches Schmankerl. Die Vielzahl ‚neuer‘ Helden, die unübersehbar dem Golden Age angelehnt sind, ergibt im Zusammenspiel mit der komplexen Story eine Mischung aus „America’s Best Comics“ und „Watchmen“. Auch die Ähnlichkeit der Figuren mit ‚existierenden‘ DC- und Marvel-Helden (Captain America, Thor, Shazam, Martian Manhunter, Adam Strange, Galactus, Swamp Thing) erinnert stark an die Werke von Allan Moore.

Zu allem Glück liefert Splitter - außer dem ohnehin größeren Alben-Format - noch ein pralles Bonus-Paket. Neben einem Nachwort des Autors, der über die Ursprünge und die Entwicklung von „Black Hammer“ aufklärt, finden sich noch Jeff Lemires kunstvolle Steckbriefe der Helden (auch derer, die es - noch - nicht in die fertige Geschichte geschafft haben) und ein Sketchbook inklusive Notizen von Zeichner Dean Ormston.

Großartig konstruierte Mystery-Helden-Soap mit fantastischen Charakteren, großen Gefühlen und schier unendlichem Erzähl-Potenzial.