C. E. Bernard: Palace of Silk - Die Verräterin (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Mittwoch, 18. Juli 2018 12:18
C. E. Bernard
Palace of Silk - Die Verräterin
Palace 2
Übersetzung: Charlotte Lungstrass-Kapfer
Penhaligon, 2018, Paperback mit Klappenbroschur, 448 Seiten, 14,00 EUR, ISBN 978-3-7645-3197-3 (auch als eBook erhältlich)
Rezension von Irene Salzmann
Rea Emris und ihre Freunde haben nach den schicksalhaften Geschehnissen im Palast des englischen Königs das Land verlassen müssen (Band 1: „Palace of Glass“). Die junge Frau ist davon überzeugt, dass es für sie alle das Beste ist, denn findet irgendjemand heraus, was sie getan hat, droht ihr und den Mitwissern die Todesstrafe. Außerdem kennt Robin, der Thronfolger, in den sie sich verliebt hat, ihr schrecklichstes Geheimnis und kann sie darum nicht mehr lieben, so dass auch die Trennung von ihm eine Notwendigkeit ist.
In Paris lernt Rea an der Seite ihres Bruders Liam und dank ihrer Vertrauten ein ganz anderes Leben kennen als das, welches sie in den USA und England führte: Die Menschen dürfen sich an Kunst erfreuen, müssen keinen strikten Kleiderregeln folgen und sich verhüllen, sie berühren sich ganz zwanglos (zufälliges Aneinanderstoßen, Begrüßungsküsschen, Umarmung) - in England ein absolutes Tabu -, und Magdalenen, wie sie eine ist, werden nicht gefürchtet und verfolgt, im Gegenteil, ihre Dienste werden gern in Anspruch genommen. Dennoch zieht es Rea vor, den Kreis derer, die Bescheid über sie wissen, nicht wesentlich größer werden zu lassen.
Auch ihre Freundin Ninon, die Schwester des französischen Königs, hat nur wenigen Personen verraten, dass auch sie eine Magdalene ist, was nicht einmal der Roi ahnt. Durch die Geheimhaltung ist sie jedoch erpressbar, und die Maske tragende Madame Hiver, die Mätresse des Roi, nutzt ihre Kenntnisse skrupellos für persönliche Ziele, die Rea und ihre Freunde lange nicht zu durchschauen vermögen.
Rea rätselt, weshalb Madame Hiver solch großes Interesse an ihr und Liam zeigt. Die Situation wird noch komplizierter, als Robin in Paris eintrifft. Um die freundschaftlichen Beziehungen zwischen England und Frankreich zu festigen, soll er um Ninons Hand anhalten. Keiner der Beteiligten ist über die Aussicht erfreut, eine politisch arrangierte Ehe einzugehen, und in Rea erlischt der letzte Funke Hoffnung, dass sich Robin doch noch für sie entscheiden könnte. Tatsächlich bittet er sie sogar, alle seine Erinnerungen zu löschen, teils um Rea und ihre Freunde zu schützen, teils weil eine Magdalene niemals seine Frau werden kann.
Aber die gegenseitige Anziehung ist immer noch vorhanden, und so kommt es regelmäßig zu heimlichen Treffen. Robin verspricht Rea schließlich, ihr zu helfen, Madame Hivers Geheimnisse - deren spätere Enthüllung Rea schwer erschüttern - zu ergründen, da die mysteriöse Frau offenbar auch eine Gefahr für Liam ist. Möglicherweise könnte sie sogar die treibende Kraft sein hinter der zunehmenden Feindlichkeit gegenüber den Magdalenen in Frankreich. Dann sind plötzlich Robin und Liam verschwunden.
Man kann den zweiten relativ in sich abgeschlossenen Band der „Palace“-Saga durchaus ohne Vorkenntnisse lesen, hat aber natürlich mehr Spaß an der Lektüre, wenn man mit der Vorgeschichte und den wiederkehrenden Charakteren vertraut ist.
Es gelingt C. E. Bernard vortrefflich, nur die notwendigen Informationen ohne tiefergehende Details in die laufende Handlung einfließen zu lassen, so dass sich neue Leser schnell zurechtfinden und jene, die „Palace of Glass“ gelesen haben, sich nicht durch weitschweifige Wiederholungen gelangweilt fühlen.
Die Geschehnisse in London scheinen hinter Rea und ihren Freunden zu liegen. Paris verspricht einen Neuanfang und Sicherheit. Aber nicht für lange, denn Robins Anwesenheit lässt alte Wunden aufbrechen und birgt neue Gefahren. In der Öffentlichkeit müssen sie ihre Rollen spielen und den Anschein erwecken, dass sie nichts mehr füreinander empfinden, doch sobald sie allein sind, können sie ihre Liebe nicht verleugnen. Während sich Rea ihrer Gefühle sicher ist, leidet Robin unter dem Zweifel, ob es wirklich sein eigenes Begehren ist oder er von der Magdalene manipuliert wurde. Diese Sorge kann Rea ihm nicht nehmen; er muss lernen, ihr zu vertrauen, und das ist nach all den Jahren der Indoktrination sehr schwer.
Damit das Hin und Her zwischen den beiden, das mit einigen jugendfreien romantischen Momenten gewürzt wurde, nicht zu viel Raum einnimmt, wird auch für die ‚drei Musketiere‘ ein heikles Beziehungsgeflecht gewoben, das Rea kurz tangiert. Auf diese Weise kommt eine Prise ‚clean homoromance‘ dazu, die nach wie vor auf viele Leserinnen eine große Faszination ausübt, wenngleich der Boys-Love-Hype im Manga-Sektor etwas abgeflaut und Homoerotik längst ein etablierter Bestandteil der Unterhaltungsliteratur geworden ist (Lesben- und Schwulen-Krimis im Argument Verlag, homoerotische Titel bei AAVAA usw.).
Natürlich besteht die Handlung nicht allein aus zwischenmenschlichen Konflikten und Liebeleien. Wider Willen wird Rea einmal mehr in höfische Intrigen hinein gezogen, denn sie fühlt sich Ninon verpflichtet, als man sie erneut als Leibwächterin engagieren möchte. Infolgedessen ruhen ständig die wachsamen Augen von Madame Hiver (‚Mylady de Winter‘) auf ihr, die schnell Reas größte Schwäche entdeckt: die Sicherheit ihrer Freunde. Erst als es schon zu spät ist, begreift Rea, dass jemand anderes als Ninon sie sehr viel dringender als Bodyguard benötigt hätte. Und noch andere schmerzhafte Wahrheiten warten auf sie.
Nebenbei erfährt Rea, aus deren Perspektive im Präsens die Geschichte erzählt wird, einige neue Details über die Magdalenen, über sich und ihre Gabe. Auf diese Weise wird der Grundstein dafür gelegt, dass sie nicht völlig hilflos zum Showdown erscheint, bei dem sie diesmal anders als in England keine Helfer hat.
Die Mischung aus menschlichem Drama und spannenden Verwicklungen ist der Autorin sehr gut gelungen. Die Handlung verläuft logisch, die Mittel, um ein vorläufiges Happy End zu erzielen, das nicht aus heiterem Himmel fällt, sind unauffällig eingewoben worden. Es finden sich zudem wieder Anspielungen auf Klassiker der Literatur, insbesondere auf Alexandre Dumas‘ „Die drei Musketiere“ und den Artus-Mythos. Nicht alles ist so, wie es zunächst erscheint, so dass es noch die eine oder andere (von erfahrenen Lesern erwartete) Überraschung gibt. Auch sprachlich vermag C. E. Bernard zu überzeugen, da sie sich eines angenehmen, lebendigen Stils bedient.
Wie bereits der erste Band ist „Palace of Silk“ als Paperback mit Klappenbroschur und satiniertem - in Anspielung auf die Bedeutung der Seide für die Magdalenen - Cover erschienen. Reas rotes Band Feuerseide schlängelt sich vor einem Hintergrund aus hellen und dunklen Blaunuancen und Violett-Tönen. Das Band verbindet alle drei Bücher, stellt man sie nebeneinander.
Man kann den Roman nun als unterhaltsame Fantasy-Lektüre sehen, die in einer Alternativwelt in der nahen Zukunft angesiedelt ist.
Es lassen sich jedoch auch einige kritische Anspielungen auf aktuelle Entwicklungen hinein interpretieren: Während man in diesem fiktiven Frankreich noch Bücher lesen und sich amüsieren, sich beliebig kleiden und berühren darf, eine bestimmte Personengruppe akzeptiert und nicht verfolgt wird, ist man in England bereits einen Schritt ‚weiter‘. All das wird abgelehnt, wer die strengen Regeln bricht, muss mit schwersten Strafen rechnen, die Magdalenen werden verfolgt, interniert und ermordet, die Spione des Königs sind überall.
Auch hier wird wieder bespitzelt und denunziert, werden Bücher politisch korrekt umgeschrieben oder ihr Verkauf vom Buchhandel abgelehnt. Frauen müssen ihre Kleidung mit Bedacht wählen, um nicht ungewollte Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, oder sie verhüllen sich bereits mehr oder minder freiwillig. Bestimmte Personenkreise sehen sich zunehmend Repressalien und Gewalttaten ausgesetzt unter der scheinbaren Billigung der Regierung und diverser Organisationen.
Eine Mahnung, dass wir uns für unsere offene und freiheitliche Gesellschaft einsetzen müssen, wenn wir nicht um Jahrhunderte zurückgeworfen werden wollen, wie es auch die Magdalenen in Paris tun, weil sie befürchten, dass man ihre Heimat nach englischem Vorbild umformen will?
Die Autorin bleibt vage und überlässt es dem Publikum, für sich Schlüsse zu ziehen.
„Palace of Silk“ mag der Mittelband einer Trilogie sein, doch darf man sich freuen, dass die Handlung zügig weitergeht und es neue Enthüllungen gibt, statt dass auf der Stelle getreten wird, um erst im letzten Roman alle Rätsel mit einem Knall aufzulösen. Von daher setzt sich der positive Eindruck, den „Palace of Glass“ hinterlassen hat fort, und man wartet gespannt auf das Finale, „Palace of Fire“. Leserinnen ab 13 Jahre, die Spaß an Büchern wie Cassandra Clares „Die dunklen Mächte“ oder Veronica Roths „Die Bestimmung“ haben, werden auch zu diesem Titel gerne greifen.