Paul Hoffman: Die Linke Hand Gottes (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Sonntag, 23. Mai 2010 10:45
Paul Hoffman
Die Linke Hand Gottes
(The Left Hand of God)
Aus dem Englischen übersetzt von Reinhard Tiffert
Titelillustration von Peter Bergring
Goldmann, 2010, Paperback mit Klappenbroschur, 478 Seiten, 17,95 EUR, ISBN 978-3-442- 31232-0
Carsten Kuhr
Willkommen in der Ordensburg der Erlösermönche. Mit fünf Jahren betreten die Auserwählten des Kriegerordens die Burg, um in den nächsten zehn Jahren zu lernen, unter drakonischen Strafandrohungen zu überleben. Viele kleine Körper werden in dieser Zeit auf dem großen Friedhof zur letzten Ruhe gebettet, getötet von Auszehrung, Hunger und Misshandlungen. Nur die Stärksten überleben das gnadenlose Aussieben, um dann für den Erlöser ihres Gottes auf den Feldern des Ruhmes in die Schlacht zu reiten.
Seit fast zehn Jahren gehören Thomas Cale und seine Freunde Vague Henri und Kleist zu denen, die das Martyrium überlebt haben. Doch dann geschieht etwas Unerhörtes, etwas wahrlich Undenkbares. Als Cale dem Zuchtmeister eine Mitteilung des Kriegsmeisters überbringen will, entdeckt er, dass der perverse Sadist in seinem Zimmer etwas Unmögliches versteckt – zwei der teuflischen Verschwörerinnen gegen den Herren, zwei Mädchen, sind auf den Tisch gefesselt! Während der Zuchtmeister eines der Mädchen bei vollem Bewusstsein seziert, darf die andere zuschauen, bis sie an die Reihe kommt. Cale weiß nicht, was ihn dazu bewegt, doch plötzlich ist erst ein Ziegelstein in seinen Händen, und dann stößt er dem verhassten Folterer ein Messer in die Oberschenkelarterie. Ihm ist klar, dass er nach dem Mord fliehen muss. Doch wie soll das, was noch keinem Schüler je gelang – den Häschern des Klosters zu entkommen – nicht nur ihm selbst, sondern auch seinen Freunden und dem befreiten Mädchen, gelingen?
Gegen alle Wahrscheinlichkeit gelingt ihnen die Flucht. In der Metropole Memphis finden sie Aufnahme und Protektion. Schnell steigt Cale in den Rängen auf, seine besonderen Fähigkeiten, Menschen vom Leben zu erlösen, sorgt dafür, dass er nicht nur ein Auskommen, sondern auch Anerkennung erfährt. Als die Thronfolgerin entführt wird ist klar, dass er und seine Freunde mit der Aufgabe betraut werden, sie zu befreien. Eine Queste, die aber auch offenbart, dass Cale vom Schicksal dazu ausersehen wurde, weit mehr zu erreichen ...
Kaum ein Buch wurde auf den Britischen Inseln mit vergleichbaren Vorschusslorbeeren bedacht, wie Paul Hoffmans „Die Linke Hand Gottes“. Keine der großen Tageszeitungen, die das Buch nicht vorgestellt hat, eine große Marketingkampagne heizte den Hype weiter an. Und wirklich liest sich der Roman faszinierend und spannend. Allerdings ist auffällig, dass das Buch, das inhaltlich in Vielem einem Jugendbuch gleicht, in zwei klar getrennte Teile untergliedert ist.
Im ersten Part, in der Ordensburg der Kinderschänder angesiedelt, zieht uns der Autor in sein unheimlich dichtes Gewebe aus faszinierend düsterer Kulisse, markanten Figuren und schrecklichen Geheimnissen. Diese Beschreibungen packen den Leser, rühren etwas tief in ihm an, urwüchsige Ängste und fesseln ihn förmlich an den Text. Das ist, gerade weil das Grauen unterschwellig angesprochen wird und auch weil Vieles der Phantasie des Lesers überlassen wird, in seiner Intensität beeindruckend. Ohne die geringsten Schwierigkeiten können wir uns in die Haut der Kinder hineinversetzen, lernen durch deren missbrauchte Augen das totalitäre, menschenschändende Regime der religiösen Fundamentalisten kennen und fürchten. In diesem ersten Drittel des Buches ist der Text in seiner Wucht überwältigend.
Leider aber geht diese beeindruckende Intensität in der Folgezeit verloren. Ab der Ankunft in der Metropole Memphis, dem Anbiedern an die politische Macht und der Entdeckung der eigenen Fähigkeiten als Mörder, verliert der Plot seine Einzigartigkeit. Das Arrangieren mit den Mächtigen (natürlich zum eigenen Vorteil), der Aufstieg als genialer Mörder zu Macht und Ansehen, Prophezeiungen und sich offenbarende Fähigkeiten, selbst die Liebe, die unerwartet und ungewollt unseren Protagonisten heimsucht, das bewegt sich in dem Fantasy-üblichen Bereich.
Das soll nicht heißen, dass sich das Buch ab dem zweiten Drittel nicht flüssig und spannend lesen ließe, doch die atmosphärische Dichte und das nicht länger vorhandene Abweichen von dem Gewohnten unterscheidet diese Teile von dem überwältigenden Auftakt.
Es bleibt abzuwarten, ob und wie der Autor in den ausstehenden Fortsetzungen an den außergewöhnlichen Auftakt anknüpfen kann, oder ob er sich damit zufriedengibt, nur eine zwar packende, aber nicht wirklich neue Handlung vorzulegen.