Anthony O’Neill: Dark Side (Buch)

Anthony O’Neill
Dark Side
(The Dark Side, 2016)
Übersetzung: Susanne Gerold und Gerd Rottenecker
Knaur, 2016, Paperback, 412 Seiten, 14,99 EUR, ISBN 978-3-426-51865-6 (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Gunther Barnewald

In diesem hochaktuellen Buch, erst 2016 im Original veröffentlicht, begegnet er dem Leser erneut, jener menschliche Alptraum, der narzisstische, in Teilen antisoziale Mogul und Multimilliardär, der sich die Welt macht wie sie ihm gefällt und dabei problemlos über Leichen geht, auch über die von Menschen, die ihm scheinbar nahe stehen.

Im vorliegenden Buch heißt er Fletcher Brass und ist bekannt für seine markigen Sprüche, welche man zu einem eigenständigen Kodex des (antisozialen) Handelns zusammengefasst hat. Kostprobe gefällig:

- Nimm dir die Dinge, reiße sie an dich.
- Lächle. Lächle. Lächle. Töte. Lächle.
- Verlier oft die Beherrschung. Und zwar richtig.
- Lass die Fliege niemals wissen, dass du vorhast, sie totzuschlagen.
- Arbeiter sind wie Hunde. Tätschle ihnen gelegentlich den Kopf. Und scheiß sie zusammen wenn es nötig ist.
- Lüge. Lüge. Lüge. Aber merke es dir.
- Du weißt nie, wann es Regen gibt. Also trage stets ein Dementi bei dir.
- Es ist gut einen Rivalen zu haben. Noch besser ist es, ihm den Schädel einzuschlagen.
- Wenn du deine Spuren nicht beseitigen kannst, beseitige jene, die sie sehen.
- Schüttle Hände in der Öffentlichkeit, enthaupte im Verborgenen.
- Freunde helfen dir weiterzukommen. Alle anderen sind Ungeziefer.
- Die Liebe zum Geld ist der Ursprung allen Fortschritts.
- Der Neid der anderen ist ein ewiges Fest.
- Versuche niemals mit dem Kopf durch die Wand zu gehen, es sei denn, es ist der Kopf eines anderen.
- Verlierer errichten Hindernisse. Gewinner überwinden sie.
- Du bist erst dann wirklich der Eroberer, wenn du den (abgeschlagenen) Kopf des Königs hochhältst.
- Depressionen sind was für Faule.

Dies sind nur einige der Lebensrichtlinien des eiskalten Machers (nein, nicht Donald Trump, sondern) Fletcher Brass, der mit seinen Milliarden ein eigenes Reich auf der dunklen Seite des Mondes hat errichten lassen.
Hier herrscht nur ein Gesetz: Das von Fletcher Brass.
Jede Art von Verbrechen kann hier begangen werden, wenn man nur reich und damit mächtig genug ist.
Gleichzeitig bietet Brass den überforderten Nationen der Erde seine Dienste an: Ihre schlimmsten Verbrecher nimmt er auf und sperrt sie in Kuppeln weit außerhalb jedweder Zivilisation auf der dunklen Seite des Mondes ein.
Wer seine Verbrechen jedoch hat verbergen oder die Staatsbehörden hat kaufen oder täuschen können, der ist willkommen in der großen Mondkolonie Purgatory (dt. Fegefeuer) mit ihrer Hauptstadt Sin (dt. Sünde; die Bewohner heißen dann natürlich auch Sinner, also Sünder!), wo das Laster blüht, Milliarden verschoben werden und wo ein intriganter Machtkampf hinter den Kulissen stattfindet zwischen dem alten Platzhirsch Fletcher und seiner Tochter Q. T. (spricht sich cutie, was zu deutsch „niedlich” bedeutet; eine böse satirische Spitze!); ein Kampf mit allen Mitteln auf Leben und Tod, der nach außen aber nicht sichtbar erscheint, da die beiden sich ja angeblich sooo nahe stehen.

In dieses Krokodilgehege oder besser Haifischbecken kommt der unbestechliche Polizeileutnant Damien Justus (gesprochen wie Justice; dt. Gerechtigkeit), um die Ermittlungen in allen dort anfallenden Kriminalfällen zu übernehmen (und bald sind dies viel mehr als von ihm befürchtet).

Justus erinnert in Auftreten und fatalistischer Haltung sehr an den unbeugsamen und unbeirrbaren Arkadie Renko (dem russischen Polizisten und Helden aus inzwischen acht Büchern von Martin Cruz-Smith, der alleine gegen ein verlogenes System zwar nicht den Krieg, aber doch die eine oder andere Schlacht gewinnen kann) und Justus hat weder vor sich einschüchtern noch abschlachten zu lassen. Leider erweist er sich in beiden Dingen nicht als ganz unangreifbar (und zudem gerät auch dieser Charakter dem Autor nur unzulänglich, blass und wenig überzeugend, wie leider auch die meisten anderen).

Und während immer neue Attentate die Mondkolonie erschüttern, ist ein nahezu unzerstörbarer mechanischer Androide mit defektem Programm auf dem Weg nach Purgatory, um seinem besonderen Plan nachzukommen, welcher einzig und allein auf dem monströsen Brass-Kodex beruht...


„Dark Side“ ist die kaltblütige Mischung aus Thriller, SF und Horror, die zum Glück größtenteils auf glaubhafte Charaktere verzichtet, so dass man am Ende des Lesetages wieder beruhigt schlafen kann.

Und auch wenn dem Autor keine dreidimensionalen Figuren gelingen (manchmal nicht einmal zweidimensionale!), so muss man O’Neill zugestehen, dass ihm trotzdem ein interessantes und durchweg spannendes Buch geglückt ist, das in seiner Monstrosität durchaus seinesgleichen sucht.

Der Autor lässt morden, dass die Eingeweide spritzen, hält sich in den Beschreibungen hierzu aber glücklicherweise dann doch etwas zurück. Und es muss viel Blut im Mondstaub versickern, bis die Geschichte ihr perfides Ende erreicht (welches hier natürlich nicht verraten werden soll).

Jenseits aller moralischen Einwände macht es auch Spaß, dieser durch und durch kranken Geschichte zu folgen, in der auch die Helden manchmal versagen (so wie der arme Jean-Pierre Plaisance, eine der glaubhafteren Schöpfungen des Autors) und ein Happy End schon nach wenigen Seiten unvorstellbar erscheint, schaut man sich die Schneise der Verwüstung an, welche der defekte Android hinterlässt.

Sieht man die ganze Geschichte wiederum als Allegorie auf die US-amerikanische Präsidentenwahl 2016 und deren schockierendes Ergebnis, erhält der Roman nochmals eine völlig neue Dimension. Denn wohin es führt, wenn die Menschen tatsächlich dem kranken „Brass-Kodex“ huldigen, das Geld anbeten und nur noch gnadenlos eigene Interessen verfolgen, jedweden Altruismus und jedwede Solidarität zerstören und damit menschliches Zusammenleben komplett unmöglich machen, dass zeigt „Dark Side“ mit erschreckender Intensität.

Auch wenn O’Neill sein Buch nicht als Abrechnung mit dem System Donald Trump konzipiert haben mag, hier steckt dann doch viel mehr drin, als in der üblichen Serienkiller-Serie (kein Schreibfehler!).

Eine eisige Geschichte zum Nachdenken für alle, die in einer einigermaßen humanen Gesellschaft leben wollen (oder für alle, denen bei den hier geschilderten Gräueltaten einer abgeht!). Und dass ausgerechnet das „Wall Street Journal” diesen Roman lobt (siehe Klappentext der Printausgabe), ist dann fast schon wieder Realsatire!