George R. R. Martin & Gardner Dozois (Hrsg.): Der Bruder des Königs (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Samstag, 24. Dezember 2016 10:26
George R. R. Martin & Gardner Dozois (Hrsg.)
Der Bruder des Königs
(Rogues, 2014)
Übersetzung: Andreas Kasprzak, Tobias Toneguzzo, Michaela Link und Andreas Helweg
Penhaligon, Paperback, 1056 Seiten, 19,99 EUR, ISBN 978-3-7645-3175-1 (auch als eBook erhältlich)
Rezension von Gunther Barnewald
Nach „Königin im Exil“ legen die beiden Herausgeber George R. R. Martin und Gardner Dozois einen weiteren Monumentalband (über 1000 Seiten) mit diesmal (ebenfalls) insgesamt 21 Novellen vor, die in der Seitenzahl zwischen jeweils etwas über 30 Seiten bis knapp 80 Seiten variieren.
Erneut konnten sie einen illustren Kreis von Autoren für ihre Anthologie gewinnen, wobei allerdings diesmal ganz eindeutig Fantasy-Geschichten den Ton angeben, nur wenige Thriller oder gar SF-Erzählungen vertreten sind (und zum Beispiel gar keine Texte aus dem Western-Genre, wie noch in der letzten Anthologie).
Anthologien, zumal dermaßen voluminöse, bieten immerhin den Vorteil, dass der Leser bei Nichtgefallen einer Geschichte einfach zur nächsten weiterblättern kann.
Und so ist hier eigentlich für jeden etwas enthalten.
Sei es die wunderbar erzählte schräge Gangsterposse von Michael Swanwick mit dem Titel „Der Fall Petticoats”, in der charmante Trickbetrüger selbst zu Opfern zu werden drohen und die in einer Welt spielt, in der Verurteilte oder auch Menschen mit Schulden für einige Zeit in Zombies verwandelt werden können, um ihre Schuld(en) abzuarbeiten.
Ebenfalls sehr gelungen ist Walter Jon Williams’ Erzählung „Diamanten aus Tequila” um einen selbstbezogenen Filmstar, der in einen heißen Fall verwickelt wird, die Übersicht behält und seiner Karriere nochmals Auftrieb geben kann durch seine emotionale Abgebrühtheit.
Absolutes Highlight ist sicherlich Connie Willis’ hochaktuelle und extrem clevere Novelle „Jetzt im Kino”, die derzeitige Entwicklungen satirisch auf die Spitze treibt. Zwar dürfte der eine oder andere Leser den Plot kommen sehen, die Umsetzung ist jedoch grandios und unnachahmlich. „Schöne neue Welt”, in der alles nur noch „Fake” ist.
Phyllis Eisenstein verhilft in „Die Karawane nach nirgendwo” ihrem Helden Alaric zu einem gediegenen Comeback; eine Geschichte mit starker Atmosphäre, während Steven Saylor, der Autor vieler Historien-Geschichten um den Römer Gordianus, seinen Helden verwendet, um seinem Kollegen Fritz Leiber und dessen Helden Fafhrd und dem Grauen Mausling Tribut zu zollen („Unsichtbar in Tyros”).
Überhaupt geht es diesmal mehr um die Schurken und deren Taten, oft liebenswerte Taugenichtse wie Patrick Rothfuss’ Antiheld Bast, der in „Der Blitzbaum” eine besondere Methode entwickelt hat, seine Dienste gewinnbringend anzubieten. Tom Sawyer und Huck Finn lassen grüßen.
Auch Garth Nix hinterlässt in der actionreichen und sehr schmissigen Geschichte „Die Fracht aus Elfenbein” einen guten Eindruck, in der zwei seiner bekanntesten Helden (Sir Hereward und Mister Fitz) viele Hindernisse überwinden müssen, um zu verhindern, dass rachsüchtige und mächtige Götter sich in unserer Welt manifestieren.
Eine weitere sehr gute Erzählung stammt von Gillian Flynn, die einen cleveren Thriller als Spukhaus-Geschichte tarnt und so den Leser geschickt an der Nase herumführt, bis, nach mehrmaligem Twist, der eigentliche Plot in „Die unheimlichen Geschehnisse in Carterhook Manor” geliefert wird.
Neben Scott Lynch, der in „Ein Jahr und ein Tag im alten Theradane” ein Gruppe ehemaliger Gangster nochmals zu einem besonderen „Verbrechen” antreten lässt (sie sollen eine Straße stehlen!) und der vor allem atmosphärisch überzeugt, zeigt David W. Ball in „Provenienz”, dass der Zeit des Nationalsozialismus noch immer die eine oder andere ausgekochte Verbrechergeschichte abzuluchsen ist; zwar nicht klischeefrei, aber doch extrem smart.
Auch Lisa Tuttle und Neil Gaiman wissen zu überzeugen, während Matthew Hughes und Bradley Denton schon deutlich weniger packend und innovativ erzählen; aber immerhin noch gut lesbar.
Die Fans werden natürlich Martins Novelle aus der Welt von „Game of Thrones” lieben, aber sicherlich haben auch die anderen Novellen die eine oder andere gute Idee zu bieten (nur leider dem Rezensenten nicht so zugesagt, weshalb sie hier keine ausdrückliche Erwähnung finden!).
Insgesamt wieder eine wunderbare Anthologie von teilweise mitreißenden Novellen, einer literarischen Länge, die viel Abwechslung und Ideen bieten kann, die aber leider „dank“ des heutigen literarischen Marktes in Deutschland fast im Aussterben begriffen ist. Schön dass Martin und Dozois hier etwas dagegen halten und gut, dass Martin inzwischen so bekannt ist, dass alleine seine Erzählung viele Leser zum Kauf dieses wunderbaren (wenn auch sperrigen) Bandes animieren wird. Und wer sich dann das Buch schon zugelegt hat, der kann ja auch den anderen Geschichten mal eine Chance geben!