Adrian J. Walker: Am Ende aller Zeiten (Buch)

Adrian J. Walker
Am Ende aller Zeiten
(The End of the World Running Club, 2016)
Übersetzung: Nadine Püschel und Gesine Schröder
Fischer Tor, 2016, Paperback, 432 Seiten, 14,99 EUR, ISBN 978-3-596-03704-9 (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Gunther Barnewald

Sogenannte Post-Doomsday-Romane sind klassische Sujets in der Science Fiction (siehe auch die Liste mit Literaturempfehlungen am Ende der Besprechung). Während in vielen Büchern der „Weltuntergang” (meist im Sinne von Untergang der modernen Zivilisation) beschrieben wird („Doomsday”), bestechen Post-Doomsday-Geschichten durch die Beschreibung der Zeit nach dem Zusammenbruch und dem Fortschreiten menschlicher Zivilisation unter erschwerten Bedingungen.

Einige Bücher beschreiben auch beide Situationen. So auch der vorliegende Roman von Adrian J. Walker, wobei der größere Teil der Handlung auf die Zeit nach dem Weltuntergang entfällt (man das Buch also eher den Post-Doomsday-Romanen zurechnen sollte).


In diesem Fall bringen herabstürzende Meteoriten auf der Nordhalbkugel der Erde die moderne Zivilisation zum Kollabieren. Zum Glück werden viele Menschen in Großbritannien von Expeditionen gerettet, die von der Südhalbkugel ausgehen und den Überlebenden anbieten, einige Migrationswillige per Schiff dorthin umzusiedeln, bevor die Barbarei wieder auf der Insel einzieht (ein leider eher unglaubwürdiger Plot, sieht man sich aktuelle Flüchtlingsproblematiken und das Verhalten der „Verschonten” an!).

Auch Edgars Familie, seine Frau und seine beiden kleinen Kinder, werden aus einem Militärlager nach Cornwall zur Verschiffung gebracht. Leider ist Edgar zu diesem Zeitpunkt auf einer Expedition unterwegs, um Nahrungsmittel und Technik zu beschaffen, so dass er nicht mitgenommen werden kann. Als Edgar ins Lager zurückkehrt, wird ihm schnell klar, dass er sich zu Fuß von Schottland aus auf den Weg nach England machen muss, will er seine Familie nochmals wiedersehen, denn ein weiterer Hubschraubertransport steht nicht mehr zur Verfügung. Und so brechen Edgar und vier weitere aus dem Lager auf nach Cornwall, durch ein verwüstetes Land, in dem die Sitten immer rauher werden und jeder bald nur noch um sein Überleben kämpft.

Da durch die Meteoriteneinschläge die meisten Straßen zerstört sind und gewaltige Krater immer wieder die Wege blockieren, müssen die fünf Reisenden den größten Teil der Strecke zu Fuß zurücklegen. Da die Zeit drängt, denn die Schiffe sollen bald ablegen, wird die ganze Expedition bald zu einer unmenschlichen Strapaze, zu einem Dauerlauf über Hunderte von Meilen, einem Marathon von exorbitanten Ausmaßen, der alle an den Rand ihrer Kräfte bringt...


Der Autor fügt dem Genre kaum neue Aspekte hinzu, wer bereits Bücher zu diesem Thema gelesen hat, wird schnell bekannte Topoi entdecken. Was das Buch jedoch so außergewöhnlich gut macht, ist der hervorragende Stil des Autors, der nicht nur Charaktere bewundernswert entwickeln kann, sondern auch ein Händchen für die passende Atmosphäre hat. Dabei ist es erstaunlich, dass ein Erstlingswerk dermaßen stark erzählt ist. Hier darf man sich sicherlich auch bei den beiden tollen Übersetzerinnen Nadine Püschel und Gesine Schröder bedanken, die tadellose Arbeit geleistet haben.

Schon auf den ersten Seiten merkt man, dass Walker (und der Name ist bei dem Thema dann wohl Programm!) ein brillanter Stilist ist, der zudem durch geschickte Aufteilung der Geschichte (nicht alles wird chronologisch erzählt, obwohl der Autor längst nicht so wild hin und her springt wie seine Kollegin Emily St. John Mandel in ihrem tollen Post Doomsday-Roman; siehe unten) an der Spannungsschraube zu drehen versteht. Insgesamt ist das vorliegende Buch, gerade trotz des ausgelutschten Themas, eine echte Offenbarung. Die Geschichte fließt beim Lesen nur so dahin, das Buch ist durchgängig fesselnd, gönnt dem Leser aber auch kurze Pausen, bevor die Handlung wieder mit Macht voranschreitet.

Wer das Thema der zusammenbrechenden Zivilisation mag (und gerade die politische Entwicklungen der letzten Monate und Jahre lassen dieses Thema wieder aktuell erscheinen), der sollte sich dieses Buch unbedingt zulegen. Aber auch andere Leser, die nicht gerade eine Abneigung gegen dieses Sujet hegen, sollten Adrian J. Walker eine Chance geben, denn dieser exzellente Stilist vermag sicher auch Leser in seinen Bann zu ziehen, die mit dem Thema nicht so viel anfangen können.

Ein durchaus würdiger Auftakt für die neue Science-Fiction-Reihe im S. Fischer Verlag, auch wenn der Plot mit der Rettung der Überlebenden auf die Südhalbkugel unglaubwürdig erscheint, denn ob man dort wirklich so human denken und handeln würde, dass man die Menschen von der Nordhalbkugel (und damit uns!) retten, evakuieren und aufnehmen würde, erscheint extrem zweifelhaft aus meiner Sicht.

Auf weitere Werke dieses begnadeten Autors darf man aber trotzdem gespannt sein, denn so gut schreiben wie Walker können sonst nur wenige Schriftsteller!


Eine Liste von 30 (aus Sicht des Rezensenten) empfehlenswerten Post-Doomsday-Romanen in alphabetischer Reihenfolge:

01) James Graham Ballard: „Welt in Flammen“ (auch: „Die Dürre“)
02) James Graham Ballard: „Karneval der Alligatoren“
03) James Graham Ballard: „Kristallwelt“ (alle zusammen auch in: James Graham Ballard: „Zeit endet“)
04) Algis Budrys: „Einige werden überleben“
05) Jeff Carlson: „Nano“
06) Jeff Carlson: „Plasma” (der letzte Band der Trilogie unter dem Titel „Infekt“ ist so grottenschlecht, dass er leider hier nicht empfohlen werden kann!)
07) David Chippers: „Zeit der Wanderungen“
08) John Christopher: „Das Tal des Lebens“
09) John Christopher: „Leere Welt“
10) Michael G. Coney: „Eiskinder“
11) Arnold Federbush: „Eis“
12) Dmitry Glukhovsky: „Metro 2033“
13) Hellmuth Lange: „Blumen wachsen im Himmel“
14) Sterling E. Lanier: „Hieros Reise“
15) Sterling E. Lanier: „Der unvergessene Hiero“
16) Emily St. John Mandel: „Das Licht der letzten Tage“
17) Richard Matheson: „Ich bin Legende“
18) Cormac McCarthy: „Die Straße“
19) Jack McDevitt: „Die ewige Straße“
20) Harold Mead: „Marys Land“
21) Walter M. Miller: „Lobgesang aus Leibowitz“
22) Sterling Noel: „Die fünfte Eiszeit“
23) Friedrich Scholz: „Nach dem Ende“
24) Arthur Sellings: „Schrottwelt“
25) Robert Silverberg: „Die Stadt unter dem Eis“
26) George R. Stewart: „Leben ohne Ende“
27) Hans Wörner: „Wir fanden Menschen“
28) John Wyndham: „Die Triffids“
29) Georg Zauner: „Die Enkel der Raketenbauer“
30) Georg Zauner: „Der verbotene Kontinent“

Auch wenn die Auswahl subjektiv ist und der eine oder andere Klassiker (Ward Moore, Carl Amery etc.) hier fehlt, da er dem Rezensenten unzugänglich erschien, dürfte diese Auswahl durchaus die meisten der großen Klassiker des Post-Doomsday-Genres (allerdings nicht der Doomsday-Romane, die hier ausgelassen wurden) enthalten (natürlich nicht alle, es gibt noch einige mehr: Zelazny, Dick, McIntosh, Yancey und so weiter!).

Ein besonderer Hinweis an dieser Stelle noch auf Mordecai Roshwalds beeindruckenden Klassiker „Das Ultimatum“, der allerdings komplett in einem Bunker spielt, deshalb sicherlich deutlich abweicht von den Werken oben, aber auch zu den empfehlenswerten Büchern gehört (ähnlich wie der leider vollständig unverfilmbare Roman „Dunkles Universum“ von Daniel F. Galouye, der eine Menschheit beschreibt, die sich nach einer Katastrophe in lichtlose unterirdische Höhlen geflüchtet hat und deren Mitglieder sich nach mehreren Generationen wie Fledermäuse orientieren können und so an die dortigen Bedingungen angepasst haben). In beiden Büchern entfällt jedoch die Erkundung der zerstörten Welt, die den anderen Romanen oft ihren besonders morbid-romantischen Charme verleiht.