Wrath James White: 400 Tage der Erniedrigung (Buch)

Wrath James White
400 Tage der Erniedrigung
(400 Days of Oppression)
Übersetzung: Simona Turini
Titelbild: Filip Obr
Festa, 2016, Taschenbuch, 268 Seiten, 13,95 EUR, ISBN 978-3-86552-518-5 (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Carsten Kuhr

Die Farbigen in den ach so gottgefälligen Vereinigten Staaten von Amerika mussten 400 Jahre der Erniedrigung, Vergewaltigung und Versklavung ertragen und überstehen. Ihr Martyrium aber ist bei Weitem noch nicht beendet. Andere entscheiden, wie weit ein Farbiger in der Hierarchie aufsteigen kann, die weiß besetzten Jurys und Richter urteilen über die Angeklagten, die ebenfalls weißen Politiker bestimmen, wie viel Geld in die Bildung gesteckt wird.

Kenyatta ist einer der Farbigen. In einem der Elendsviertel Philadelphias aufgewachsen, hat er es seiner allein erziehenden Mutter zu verdanken, dass er eine Chance bekam. Sie fälschte ihre Adresse, so dass er auf eine der besseren Schulen gehen konnte, inzwischen hat er seine Chance trotz eines Vorfalls in seiner Jugend genutzt, ist ein angesehener, vermögender Geschäftsmann.

Was seine Freunde und Partner nicht ahnen ist, dass er das Leid seiner Vorfahren verinnerlicht, ja zu seiner Obsession gemacht hat. Er, der äußerlich so umwerfende Mann, hat in der weißen Lehrerin Natasha sein Lustobjekt gefunden. Er führt sie in die SM-Szene ein, bereitet ihr Schmerzen und bringt sie so zum Gipfel der Lust. Doch eine gemeinsame Zukunft, eine Hochzeit gar, von der sie träumt, das hält er für ausgeschlossen. Gemischtrassige Beziehungen funktionieren nur im Bett, so seine Überzeugung.

Er macht Natasha einen Vorschlag: Wenn sie 400 Tage der Erniedrigung, wie sie seine Vorfahren ausgesetzt waren, erduldet, dann heiratet er sie. Er sperrt sie in einen an Ketten aufgehängten Sarg, um die Überfahrt im Sklavenschiff zu simulieren, verkauft sie bei einer SM-Auktion, deportiert sie auf eine kalifornische Plantage und lässt sie im Gesicht mit Schimpfworten tätowieren - ein Martyrium der besonders erniedrigenden Art erwartet die junge Frau, die genau weiß, dass sie das Safe-Word, mit dem sie alles sofort beenden könnte, nie aussprechen wird…


Wrath James White ist einer der interessantesten Autoren im „Stall“ des Festa Verlags. Seine Romane beinhalten nicht nur das alltägliche Grauen auf den Straßen der Elendsviertel amerikanischer Großstädte und/oder eine plakative Darstellung von sexuellen Besonderheiten, sondern auch immer eine deutliche gesellschaftskritische Aussage. Als Afroamerikaner weiß er dabei, von was er schreibt. Hier erhält der Leser in aller Regel wohl verpackt in plakativem Porn einen kleinen Einblick in die Abgründe der Ethnien, die in den USA existieren.

Allerdings nutzt er seinen klaren Blick auf gesellschaftspolitische Ungerechtigkeiten diese Mal kaum. Im Zentrum des Romans steht ganz klar die Beschreibung der Erniedrigung einer Frau. Nicht immer wird dies nur über die sexuelle Schiene erreicht, oft muss sie Böden schrubben, ihren Herren bedienen, wird in jedem kleinsten Detail ihres Lebens fremdbestimmt. Das simuliert überzeugend das Schicksal der schwarzen Sklaven, richtet den Fokus aber sehr genau auf die Erniedrigung des weiblichen Menschen, die ihrer Würde, Selbstachtung und Selbstbestimmung verlustig geht.

Natürlich mutet der Autor seinem Leser jede Menge unappetitliche Gewalt zu. Es werden Sadomaso-Praktiken beschrieben, Bondage und Gangbang thematisiert, so dass der lesende Voyeur in die Niederungen der sexuellen Perversionen eintauchen kann. Das ist definitiv nichts für zartbesaitete Leser, widert stellenweise an, stößt ab und verstört.

Allerdings ist vorliegender Roman sicherlich nicht Whites bestes Buch. Als größtes Manko sehe ich, dass es ihm nicht gelingt, uns seine Figuren wirklich überzeugend zu präsentieren. Natasha erduldet ihr Sklavendasein derartig ergeben und devot, dass dies schon wieder unglaubwürdig wirkt. Ist sie so abhängig oder schlicht geistig minderbemittelt, dass sie nicht sieht und begreift, was ihr angetan wird, wie sie benutzt und gebraucht wird? Kann ein Individuum, immerhin eine Lehrerin, also sicherlich nicht grenzdebil, ein solches Schicksal über sich ergehen lassen - aus Liebe zu einem Mann, der sie missachtet? Und was bewegt Kenyatta dazu, seine Obsession für die Qualen, die seine Vorfahren ausgesetzt waren, in seine persönliche Beziehung einzubauen? Geht es ihm wirklich nur darum, Rache für das Schicksal seiner Vorfahren zu nehmen, oder seiner Neigung, andere zu erniedrigen, ja zu vernichten nachzugehen, wo genau liegt seine Motivation?

Fragen, die sich stellen, die aber letztlich offen bleiben. So bleibt die innere Überzeugungskraft des Romans gegenüber anderen Titeln aus der Feder des Autors deutlich zurück, wirkt der Plot in sich nicht ganz überzeugend. Zwar erfährt der Leser so Einiges über das Schicksal der schwarzen Sklaven, die von Afrika in die Neue Welt kamen, letztlich aber fehlt dem Plot eine überzeugende Motivation der Handelnden.