Midnighter Megaband 1: Gnadenlos (Comic)

Steve Orlando
Midnighter Megaband 1
Gnadenlos
(DC Sneak Peek: Midnighter + Midnighter 1-12, 2015/2016)
Übersetzung: Josef Rother
Titelbild: Aco (Anne-Catherine Ott)
Zeichnungen: Aco, David Messina, Stephen Mooney, Alec Morgan u.a.
Panini, 2016, Paperback, 268 Seiten, 28,00 EUR, ISBN 978-3-95798-984-0

Rezension von Irene Salzmann

Midnighter ist eine Schöpfung von Autor Warren Ellis und Zeichner Bryan Hitch. Erstmals trat er in „Stormwatch“ 4 (Vol. 2) auf und wurde später ein Mitglied der Gruppe The Authority, bevor er seine eigene fortlaufende Serie erhielt und an der Seite von Grifter von den WildC.A.T.s in „Grifter & Midnighter“ eine Hauptrolle spielte. Alle Reihen wurden unter Jim Lees Image-Label Wildstorm veröffentlicht, bis dieses zu einem DC-Imprint wurde und man alle Charaktere ins DC-Universum einfügte.

 

Midnighter, der sich eine Weile Lucas Trent nannte, was aber offenbar nicht sein richtiger Name ist, wurde als Kind entführt, buchstäblich auseinandergenommen und re-designed. Seither verfügt er über Superkräfte, übermenschliche Reflexe und Geschwindigkeit, er ist nur schwer zu verwunden und besitzt einen Heilungsfaktor sowie einen Computer im Gehirn, der ihm erlaubt, jeden Schritt seines Gegners vorherzuberechnen. Einer futuristischen Technologie verdankt er eine Art selbst wachsendes Apartment und ‚Türen‘, durch die er nahezu jeden beliebigen Ort ohne Zeitverlust erreichen kann.

Man sieht Midnighter fast nur in seinem schwarzen Kostüm, das ein wenig an Batmans Outfit erinnert. Anders als dieser verfügt der Anti-Held jedoch über Superkräfte, seine Technologie ist deutlich fortschrittlicher, und für gewöhnlich tötet er seine Feinde. Außerdem zählt er zu den ersten Comic-Helden, die sich als homosexuell geoutet haben. Mit seinem Partner Apollo/Andrew Pulaski (erstes Erscheinen ebenfalls in „Stormwatch“ 4 (Vol. 2) und in „The Authority“) ist Midnighter verheiratet; in der vorliegenden zwölfteiligen Miniserie haben sich die beiden getrennt aufgrund von Midnighters Selbstzweifeln, dass ein gewalttätiger Killer wie er nicht gut genug ist für einen Mann und Helden wie Apollo.


Der Gott-Garten wurde überfallen und seiner mächtigen Alien-Technologie beraubt. Die Gärtnerin, eine von Midnighters Schöpfern, bittet ihn, obwohl er sich von ihr distanziert hat, die Artefakte aufzutreiben oder unschädlich zu machen, bevor mit ihnen Missbrauch getrieben wird. Tatsächlich stattet ein Unbekannter mit diesen Waffen Menschen aus, denen ein Unrecht zugefügt wurde und die nun Rache nehmen wollen. Aber auch Schurken werden damit aufgerüstet und bedrohen die Leben unzähliger Menschen.

Midnighter, der Unschuldige beschützen will - gerade weil für ihn niemand da war, als man ihn aus seinem Leben riss und zu dem machte, der er jetzt ist -, hat noch einen persönlichen Grund, der Bitte nachzukommen: Die Gärtnerin gab zu, dass sie ihn belogen hat, als sie behauptete, alle Informationen über seine Herkunft gelöscht zu haben. Wer die Technologie gestohlen hat, besitzt auch die Daten über Midnighters Vergangenheit.

Während Midnighter seinen Job erledigt, verbündet er sich mit dem Spyral-Spion Dick Grayson, ehemals Robin beziehungsweise Nightwing, und anderen Agenten der Organisation. Nicht nur bekommen sie es mit der Suicide Squad, zu der unter anderem Deathshot und Harley Quinn gehören, und anderen Verbrechern zu tun, auch jemand aus Midnighters Vergangenheit taucht wieder auf und bringt eine neue Bedrohung für die Menschheit ins Spiel.

In den wenigen Momenten, in denen Midnighter nicht Unschuldige beschützt und um sein Leben kämpft, versucht er, wie ein normaler Mensch zu sein und es besser zu machen als in seiner Beziehung zu Apollo, über den er ganz offensichtlich nicht hinweg ist. Zwar hat Midnighter Affären mit jungen Männern, die ihm viel Verständnis entgegenbringen, und mit einem könnte es sogar etwas Ernstes werden, doch die folgende Enttäuschung ist umso schlimmer und führt zu einer Entscheidung, die gar nicht anders ausfallen konnte. Und als es ganz übel um Midnighter steht, zeigt sich, wem er wirklich etwas bedeutet.


Im Vordergrund der futuristisch anmutenden Storyline steht sehr viel Action, die noch stärker mit Gewalt- und Splatter-Elementen versehen ist als die Handlung von „Wolverine“, „Punisher“ „Deadpool“ und „Spawn“ - „Batman“ ist im Vergleich der reinste Chorknabe. Mit diesem hat Midnighter tatsächlich in erster Linie nur die Optik gemein; mit den anderen teilt er sich die deftigen, markig-makabren Sprüche, das dicke Ego, was zur Selbstüberschätzung und entsprechend schmerzhaften Erfahrungen führt, und die Ansicht, dass Töten unter bestimmten Umständen notwendig ist.

Wie die Kollegen mit den Selbstheilungskräften und/oder ‚der dicken Wumme‘ setzt sich Midnighter, obschon er Schmerzen fühlt, oft unnötig Risiken aus, die mitunter vermeidbar wären. Er ist von seiner Überlegenheit, die er zahlreichen Fähigkeiten und technologischen Gadgets verdankt, überzeugt und liefert dadurch Angriffspunkte, denn so mancher findige Gegner verfügt ebenfalls über allerlei Möglichkeiten, um Midnighters Kräfte neutralisieren zu können, und unsterblich ist er nicht.

Sein Verhalten lässt den Schluss zu, dass er sich kaum als Mensch sieht, sich selbst nicht liebt und deshalb glaubt, dass auch niemand ihn lieben kann oder sollte. Natürlich will er nicht sterben, aber in erster Linie bloß deshalb, weil es, wie er sagt, für ihn viel Arbeit gibt und er Unschuldige beschützen will vor Killern, wie er selbst einer ist.

Das wiederum ist das verbindende Element zwischen den spannenden, vordergründigen Kämpfen und der persönlichen Ebene. Obwohl sich Midnighter tough gibt und so tut, als brauche er niemanden, erlaubt er immer wieder Einblicke in sein Seelenleben und lässt auch jene Menschen daran teilhaben, die er gelernt hat, als Freunde zu sehen. Er genießt diese Stunden, in denen er kurz das Kostüm ablegt, dennoch bleibt der Midnighter, der Mann ohne Vergangenheit und Namen, sich dabei aber nicht verstellen muss.

Er trennt zwischen guten Freunden und Männern, mit denen er ins Bett geht und die auch Freunde bleiben, wenn die Beziehung wieder vorbei ist. Sein Verhältnis zum Umfeld ist erstaunlich locker, und auch die fiesen Anmachen wegen seiner Homosexualität sind hier, anders als früher, kein nennenswertes Thema. Auf seine Lover lässt er sich mit großer Offenheit und Ehrlichkeit ein, ebenfalls ein Punkt, der ihn verwundbar macht, denn prompt gerät er an den Falschen, und die Angelegenheit nimmt eine tragische Wende. Trotz oder vielleicht gerade wegen der neuen Erfahrungen gehört Midnighters Herz immer noch Apollo, der für mehr als eine Überraschung gut ist.

Midnighter ist auf der Suche nach sich selbst. Zu gern wüsste er, wer er ursprünglich war, aber er ist zu sehr Realist, um dem Verlorenen nachzutrauern. Er lebt im Jetzt, hält sich keineswegs für ‚gut‘, sondern für einen Killer, und Gewalt anzuwenden, macht ihm durchaus Spaß, wodurch er sich von all den anderen Anti-Helden unterscheidet. Trotzdem will er um jeden Preis Gutes beziehungsweise das Richtige und Notwendige tun und sich dadurch definieren. Schon schwerer fällt es ihm, einfach nur Mensch zu sein und eine gewisse Normalität zu akzeptieren, doch auch hier lernt er und begreift, dass er nicht allein sein muss und es Menschen gibt, denen er etwas bedeutet.

Die Zeichnungen stammen von mehreren Künstlern, deren stilistischen Eigenarten nicht zu stark differieren. Die Darstellungen der Personen sind teils einfach und comichaft, teils realistisch, wenn auch ohne idealistische Überhöhung. Im Verglich zu früher sehen Midnighter und Apollo überhaupt nicht mehr wie ‚Laufsteg-Helden‘ aus, sondern wie harte Männer mit Bartstoppeln, unvorteilhaften Frisuren (Apollo hatte seinerzeit langes weißblondes Haar; Midnighter war blond und kurzhaarig - der jetzige braune ‚Irokese‘ ist einfach nur potthässlich) und dem Schmutz des letzten Kampfes. Etwas mutiger sind die Künstler bei den intimen Momenten geworden: Es wird nicht mehr nur angedeutet, auch wenn letztendlich nichts zu sehen ist. Auf die Gestaltung der Hintergründe wurde oftmals großer Wert gelegt. Immer wieder gibt es detailreiche Szenarien und eine Auflösung der traditionellen Panels, Letzteres meist dann, wenn Midnighter in den Kampfmodus geht und sich alles in Sekundenbruchteilen abspielt. Insbesondere diese Bilder sind optisch sehr ansprechend.

„Midnighter“ ist ein faszinierender Anti-Held, der sich bemüht, noch mehr Ego vor sich herzutragen und noch mehr Bösewichter aufzuschlitzen als Wolverine, Deadpool und alle anderen zusammen - und diesbezüglich ist er auf einem guten Weg. Steve Orlando gelingt es vortrefflich, die innere Zerrissenheit der Titelfigur und die Suche nach seinem Ich zu beschreiben und dies in eine packende Action-Story einzubauen. Die mitunter experimentell wirkenden Illustrationen unterstützen die Handlung.

Da das rasante Abenteuer in sich abgeschlossen ist und keinerlei Vorkenntnisse benötigt werden, können auch Leser, die nicht mit dem ehemaligen Wildstorm-Universum (insbesondere mit „Stormwatch“, „The Authority“, „Midnighter“) vertraut sind, bedenkenlos zugreifen. Der Titel wendet sich an das reifere Publikum ab 16 Jahre, das Titel wie „Moon Knight“, „Maverick“ oder „Spawn“ schätzt und mit dem hohen Maß an Gewalt umgehen kann.