Horus W. Odenthal: Das Rad der Welten - Ninragon - Verlorene Hierarchien 1 (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Sonntag, 09. Oktober 2016 10:02
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Horus W. Odenthal
Ninragon - Verlorene Hierarchien 1
Das Rad der Welten
Titelbild: Arndt Drechsler
Innenillustrationen: Horus W. Odenthal
2016, Hardcover, 738 Seiten, 59,90 EUR (auch als Paperback und eBook erhältlich)
Rezension von Carsten Kuhr
New Zion, das hört sich ein wenig an wie New Orleans oder New York. Und doch ist die Weststaaten-Metropole ganz anders als die beiden vorgenannten Orte. Hier herrscht das Vergnügen, doch anders als in Las Vegas ist das nichts für Zartbesaitete.
Auf der Vergnügungsmeile - eigentlich sind es mehrere Meilen, ja man kann auch die ganze Stadt als einzige Vergnügungsmeile ansehen - ist ein neuer, süchtig machender Stoff, der seine Opfer willenlos macht, unterwegs. Zwei Banden liefern sich einen gnadenlosen Krieg um die Vorherrschaft, und doch kommt es noch weit schlimmer.
Als die ersten Leichen auftauchen denken die Cops noch, dass es sich um die üblichen Auseinandersetzungen zwischen den Gangs handelt. Dann werden die Tatorte immer sonderbarer; den Opfern wird mit einer scharfen Klinge das Haupt abgeschlagen, es rührt sich etwas tief unter der Stadt. In den Höhlensystemen und Katakomben spürt man es. Das Böse, das lange verborgen war, regt sich und bereitet sich darauf vor, die alte Herrschaftsposition wieder anzustreben. Dass so etwas ohne Blutvergießen nicht abgehen kann und wird ist klar.
Jem van Rey ist ein Kind dieser Stadt. Einst gehörte auch er einer der beiden Banden an, doch inzwischen hat er seinen eigenen Weg gesucht und gefunden. Geholfen hat ihm dabei sein Freund und Mentor Richard. Dieser hat nicht nur seine Kampftechnik verfeinert, ihn Tricks und Kniffe gelehrt, sondern auch seine Selbstständigkeit und seinen Geist gefördert. Dieser Prozess soll über ein geheimnisvolles Ritual in der Wüste zum Abschluss gebracht werden - doch dann taucht just dort ein merkwürdiges Wesen auf und ermordet den Lehrer.
Die Diener der Verlorenen Hierarchien agierten bislang im Verborgenen - jetzt aber durchstreifen Schattenhunde die Straßen New Zions, der Grenzgänger macht von sich reden und die Welt der Adamssöhne steht vor ihrer größten Prüfung…
Ein paar Jahre lang war die Urban Fantasy the next bis thing. Kein Verlag, der nicht entsprechende Angebote in seinem Programm hatte, die Buchhandlungen quollen über vor den zumeist dicken Bänden um laszive Vampir-Beaus, waschbrettbauch gestählte Werwesen und sexsüchtigen Hexen. Die Welle ebbte ab, die besseren Serien wurden von ihren Verfasserinnen fast alle beendet, der Leser wandte sich neuen literarischen Ufern zu.
Doch Vorsicht - mit den oben beschriebenen Urban-Romance-Werken hat Horus W. Odenthals Schöpfung nichts, aber auch gar nichts gemein. Sicherlich, die Handlung spielt im Hier und Jetzt in einer fiktiven Stadt der USA, doch es geht nicht darum, sexuell frustrierten Frauen den Blutkuss zu verpassen oder Liebestränke anzurühren. Odenthal schreibt härter, brutaler, schneller und damit letztlich erwachsener, als die einstigen Bestseller-Autorinnen. Bei ihm wartet eine Handlung auf den Leser, die ihn mit großem Kopfkino der durchdachten Art verwöhnt.
Mehr noch: Aus den bisherigen sechs Teilromanen hat der Autor einen wahren Prachtband gebastelt. Schon das Paperback weist Ziegelsteinformat auf, die limitierte, signierte Hardcover-Ausgabe aber kommt noch weit beeindruckender daher.
Der Interessierte weiß, dass Horus W. Odenthal einst als Comic-Zeichner aktiv war. Nun hat er in vorliegender Ausgabe weit über 100 seiner früheren Zeichnungen mit einfließen lassen. So wird der Text immer wieder von entsprechenden Schwarzweiß-Illustrationen unterbrochen, nein, eigentlich ergänzt, die den Text nicht nur auflockern, sondern um eine grafische Variante ergänzen.
Inhaltlich wartet eine gar ungewöhnliche Mischung auf den Leser. Da mischen sich Großstadt-Mythen mit klassischen Elfen, Motorradgangs mit FBI-Ermittlern und einem markanten Filou als Erzähler. Das hat unheimlich Tempo, nimmt klassische Vorbilder aus der Fantasy - aber auch aus gängigen, erfolgreichen TV-Serien („Akte X“, „Sons pf Anarchy“) - und präsentiert uns ein Unikat an klasse beschriebenen Kampfszenen.
Dabei ist der Tonfall bewusst auf modern getrimmt, spiegelt gut das Milieu, aus dem Jem stammt wider, sucht man lustige Szenen vergebens. In der Welt, die Horus uns vorstellt geht es brutal zu, ist das Böse auf lauten Sohlen unterwegs und das merkt man sowohl dem Tonfall wie auch dem Inhalt an. Vieles lief bei mir während der Lektüre im Kopf wie ein Film ab, gerade die Kampf-Szenen erinnerten frappierend an entsprechende cineastische Beispiele. Dabei verbindet der Autor sehr geschickt, auch wenn man dies zunächst kaum für möglich hält, klassische Fantasy-Versatzstücke mit seiner aktuellen Jetztzeithandlung, vereinen sich Schwerter mit MP und einem Kabinett von schrägen Figuren sowie jeder Menge fieser Bösewichte als Kanonenfutter. Die vielen Perspektiv-Wechsel sorgen für weiteres Tempo und Detailreichtum, so dass man trotz der vielen Handlungsstränge weder die Übersicht noch die Lust oder gar Spannung verliert.
Das ist Urban Fantasy vom Feinsten; eigenwillig, düster, mystisch und gewaltbetont - aber auch gleichzeitig unterhaltsam, rasant und modern.