Die neuen X-Men 1 (Comic)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Freitag, 29. Juli 2016 11:11
Dennis Hopeless
Die neuen X-Men 1
(All New X-Men (2016) 1-6, 2016)
Aus dem Amerikanischen von Jürgen Petz
Titelillustration und Zeichnungen von Mark Bagley
Panini, 2016, Paperback, 140 Seiten, 16,99 EUR, ISBN 978-3-95798-832-4
Rezension von Irene Salzmann
Die Menschen fürchten Mutanten und andere Wesen mehr denn je, und einer, der daran schuld ist, ist Cyclops, der die jüngsten Ereignisse nicht überlebt hat: Das Raum-Zeit-Gefüge kollabierte, auf Battleworld fanden sich Überlebende aus unterschiedlichen Zeitlinien zusammen und schafften das schier Unmögliche, nämlich die einstigen Zustände - fast - wiederherzustellen. Allerdings hat die Terrigen-Bombe, welche die Inhumans im Kampf gegen Thanos gezündet hatten, jene Menschen, die über das Inhuman-Gen verfügen, mit ungeahnten Fähigkeiten ausgestattet. Für die Mutanten hat sich das Gas jedoch als tödlich erwiesen - und Cyclops gehört zu seinen Opfern.
„Die neuen X-Men“, die eigentlich die alten originalen X-Men aus der Vergangenheit sind und von Beast in die Gegenwart geholt wurden, sind nach wie vor in ihrer eigenen Zukunft gefangen und versuchen, sich mit den unvertrauten Gegebenheiten abzufinden. Sie haben sich vom verbliebenen Team der X-Men distanziert und wollen ihren eigenen Weg gehen, sogar mit teils neuen Mitgliedern.
Beast, Iceman, Kid Apocalypse, Oya, Angel und seine Partnerin Wolverine (vormals X-23) sind unterwegs, um zu helfen, wo sie gebraucht werden, und dazwischen auch ein wenig Spaß zu haben. Als Cyclops in einer Notsituation seine Kräfte einsetzt, entdecken sie seinen Aufenthaltsort und versuchen, ihm beizustehen. Tatsächlich hat sich ihr Freund Ärger eingebrockt, als er die ‚Ghosts of Cyclops‘, eine Gruppe Teenager mit Mutantenkräften, welche den verstorbenen Cyclops verehren und ihr Umfeld terrorisieren, zur Vernunft bringen wollte.
Gemeinsam müssen sie sich aber noch einem weiteren Problem stellen, dem Blob. Wieder einmal stürzt sich Wolverine allein in den Kampf, und weil sie ihren Gegner unterschätzt, tötet er sie. Angel ist fassungslos. Alle Bemühungen, sie aufzuhalten und zum Teamwork zu überreden, sind stets gescheitert. Seine Ängste um sie sind so groß, dass er es kaum noch aushält und die Beziehung beenden will. Und nun passiert das…
Dennis Hopeless führt die jungen X-Men zurück zu ihren Ursprüngen, als ihre Kämpfe zwar gefährlich waren, sie die üblichen Probleme lösen mussten, die jeden Teenager bedrücken, aber doch alles irgendwie bodenständiger und nachvollziehbar war - nicht von Heft zu Heft Universen gerettet werden mussten und Millionen Opfer zu beklagen waren. In Konsequenz läuft in „Die neuen X-Men“ im Hintergrund auch nicht die Angst vor den Folgen des Terrigen-Mists mit, für den die X-Men einer anderen Serie ein Gegenmittel suchen.
Daraus geworden ist letztlich ein Roadtrip-Abenteuer, denn die kleine Gruppe ist mit einem modifizierten Kleinbus unterwegs, der im Innern Villengröße erreicht, und mit Hilfe des Bampfs Pickles vermögen sie an jeden Ort zu teleportieren, an dem sie ihre Kräfte zum Nutzen der Menschen einsetzen können, auch um zu demonstrieren, dass von Mutanten keine Gefahr ausgeht, dass Professor Xaviers Traum von einem friedlichen Miteinander nach wie vor am Leben ist.
Wie in ihrer Anfangszeit bekommen es die jungen X-Men zunächst mit einem anderen Team zu tun, das durchaus an die Bruderschaft der bösen Mutanten erinnert, denn auch diese hatte einst Mitglieder - Quicksilver und Scarlet Witch -, die fehlgeleitet waren und nicht aus Überzeugung Magnetos Kampf um die Vorherrschaft des Homo Superiors unterstützten. Die Ghosts of Cyclops verehren den erwachsenen Cyclops und wollen sich die Angst, die oft in Hass umschlägt, nicht gefallen lassen und erreichen durch ihre Aktionen nur, dass der Mob erst recht gegen alle vorgeht, die über Kräfte verfügen oder eine physische Mutation aufweisen. Ob alle danach ihre Lektion gelernt haben, bleibt abzuwarten.
Auch Blob und Toad sind Gegner aus den frühen Stunden, doch durch die Erfahrungen vieler Jahre weit gefährlicher, als die X-Men ahnen, bei denen es mit dem Teamwork tatsächlich sehr hapert. Auch wenn die neue Wolverine, ein Klon des Originals, genauso unverwüstlich ist wie dieser und sich wie ihr Vorgänger in seiner Anfangs- und besten Berserkerzeit ohne Plan in den Kampf stürzt - der Heilfaktor wird schon alles richten -, wirkt sie dadurch außerordentlich arrogant und rücksichtslos, denn Angels Sorgen kümmern sie nicht. Natürlich fragt man sich, warum sie das macht, schließlich empfindet sie Schmerzen. Braucht sie genau das vielleicht?
Dieser Punkt liefert die Überleitung zu den privaten Problemen der X-Men. Durch ihr Verhalten setzt Wolverine ihre Beziehung zu Angel aufs Spiel und begreift nicht, dass er sich vor allem um ihre Seele sorgt. Cyclops will nicht der werden, zu dem sein älteres Selbst wurde, und fürchtet sich davor, doch eines Tages korrumpiert zu werden. Kid Apocalypse hat ähnliche Ängste. Die Katholikin Oya hadert mit ihrem Gott, der Menschen in Not nicht hilft. Iceman hat entdeckt, dass er schwul ist, ist aber noch nicht so weit, sich zu outen (gab es früher die Mädchen-Quote, so hat mittlerweile jedes Team seinen Farbigen und seinen Schwulen… nach Quote). Beast wundert sich, was mit seinem Freund los ist.
Natürlich gibt es auch einzelne heitere Momente, beispielsweise dann, wenn Kid Apcalypse seiner Leidenschaft, Sneakers zu sammeln, nachgeht, oder Pickles‘ Hunger in einem Restaurant eine mittlere Katastrophe auslöst.
Der Band endet mit einem Cliffhanger…
Mark Bagleys Illustrationen sind äußerst gefällig und runden die packende Story gelungen ab. Da kann man nur hoffen, dass er der Serie lange Zeit erhalten bleibt und nicht, wie das so oft passiert, nach einigen Episoden durch einen Newcomer oder einen Kollegen ersetzt wird, der sich eines gänzlich anderen Stils bedient. Seine Figuren sind attraktiv, ruhige und Action-Szenen gleichermaßen ansprechend gestaltet - alles sehr schön.
„Die neuen X-Men“ kann man problemlos lesen, auch wenn man die Ereignisse, die zuvor stattfanden, nicht kennt. Quereinsteiger dürfen hier von Anfang an dabei sein (wenn auch anzunehmen ist, dass es irgendwann wieder einen Neuanfang gibt, die ja in immer schnellerer Folge stattfinden, um junge Leser zu locken). Aber auch für langjährige Fans wird eine Gelegenheit offeriert, „Die neuen X-Men“ und die Schwester-Serien neu zu entdecken. Freilich geht man das Risiko ein, nach einigen packenden und schön gezeichneten Episoden vom Verlag wieder mal ‚hängen gelassen‘ zu werden, aber was ist heute noch ohne Risiko?!