Ravine 1 (Comic)

Ravine 1
Stjepan Šejić & Ron Marz
Artwork: Stjepan Šejić
Übersetzung: Gerlinde Althoff
Panini, 2015, Paperback mit Klappenbroschur, 164 Seiten, 19,99 EUR, ISBN 978-3-95798-501-4

Von Irene Salzmann

Der Tod seiner geliebten Frau Freya trieb Nebezial Asheri, König von Aphelion, in den Wahnsinn. Als entstellter Anführer einer Armee Untoter überzieht er das eigene Land mit Verderben. Notgedrungen stellen sich seine einstigen Getreuen unter der Leitung von Azriel Santreya gegen ihn. Als die beiden Männer aufeinandertreffen, wirft sich Prinzessin Calisto Asheri dazwischen, um sowohl ihren Vater als auch ihren Verlobten zur Vernunft zu bringen, denn sie möchte keinen sterben sehen. Doch ihr Opfer ist vergebens.

 

Generationen später wird der Kontinent Harrak, auch Ravine genannt, wegen der Kluft, die sich durch eines der Reiche zieht, erneut von Nebezial Asheri und seiner Frau Delphi Bellarya heimgesucht. Ziel des wahnsinnigen Königs ist es, die Menschen, die er einst liebte und die nun tot sind, zurückzuholen. Dafür schart er immer mehr Helfer um sich.

Von diesen Vorgängen ahnen die Herrscher der Königreiche nichts oder nur wenig, da sie mit vordergründigen Problemen beschäftigt sind. Zum einen sorgen sie sich um den stetigen Machtgewinn der Kirche Damanuls, zum anderen tauchen Lindwürmer auf, die sich, anders als die bekannten Tiere, häuten können und dadurch immer stärker und gefährlicher werden. Erste Opfer unter den Menschen sind bereits zu beklagen.

Während sich das Unheil zusammenbraut, absolviert Lynn de Luctes - eigentlich Evelynn de Corredan, zukünftige Herrscherin von Dregya - erfolgreich die Prüfung, die sie zu einem Drachenreiter macht. Als sie sich mit der Waffe verbinden soll, die der Faebaum für sie gewählt hat, und die Lanze sich als Grimlas entpuppt, kommt es zur Katastrophe: Magie wird freigesetzt und der Faebaum zerstört.  Lynns Freunde sorgen dafür, dass die junge Frau von einem Drachen in Sicherheit gebracht wird, bevor man sie, die an dem Geschehnis keine Schuld trägt, zur Rechenschaft ziehen kann. Die Bindung an die Grimlas-Waffe, in welcher der Geist von Calisto wohnt, macht Lynn zu einem Wanderer, der frei ist von jeglichen Loyalitäten ist und als Veränderer des Schicksals betrachtet wird.

Als sie wieder zu sich kommt, glaubt sie sich von Stein Phais angegriffen, der ihren Drachen nur hatte markieren wollen, um ihm an einen Ort folgen zu können, an dem er große Reichtümer zu finden hofft. Auch er ist ein Wanderer und wird von einem Geist geleitet, und zwar von Azriel Santreya…


Stjepan Šejić dürfte nahezu allen Lesern fantastischer US-Comics bestens bekannt sein, prägt er doch mit seiner Digital Art optisch seit geraumer Zeit Top-Serien wie „Artifacts“ und „Aphrodite IX“. Mit „Ravine“ darf er erstmals eine eigene Idee realisieren und holte als Autor Ron Marz, mit dem er bereits erfolgreich zusammengearbeitet hat („Witchblade“, „First Born“) mit an Bord der Fantasy-Reihe.

Der erste Band stellt den Hintergrund vor: die Welt, in der die Geschichte spielt, den tiefgreifenden Konflikt, der alle weiteren Entwicklungen bestimmt, und die Hauptfiguren. Ein Teil der Informationen ist den Dialogen zu entnehmen, das meiste jedoch dem illustrierten Anhang, der ein Glossar, eine Übersicht über die Personen, Erläuterungen zur Geschichte von Ravine, den dort lebenden Völkern, den Göttern, früheren Wanderern und der Art und Weise, wie die Magie funktioniert, bietet.

Man erkennt durchaus die eine oder andere Quelle der Inspiration, zum Beispiel die der indischen Mythologie entnommenen Shivas, vogelartige Wesen mit vier Armen; die Kluft, die an die Mauer aus „Game of Thrones“ erinnert; sowie die Faebäume, die ebenfalls dort ihre Vorbilder in den Wehrholzbäumen oder auch in Terry Brooks’ Elcrys aus den „Shannara“-Romanen haben könnten. Drachenreiter gab es ebenfalls verschiedentlich, wobei einige der prominentesten in Anne McCaffreys „Drachenreiter von Pern“ und Michael Moorcocks „Elric von Melniboné“ zu finden sind.

Da sich die Autoren bekannter Versatzstücke bedienen, zu denen auch die diversen Genre-Archetypen zählen - Könige/Fürsten, Gottheiten/Geister, Priester, Soldaten/Drachenreiter, Wanderer, Diebe, entstellte Verrückte, Drachen/Lindwürmer … -, findet man sich in einer relativ vertrauten Welt wieder, in der persönliche Probleme, Intrigen und ein mächtiger Feind die Handlung vorantreiben.

Man kennt nach einem Band die wichtigsten Protagonisten, doch liegen ihre Motive und die Pläne, die sie neu entwerfen müssen, nachdem das Schicksal sie für etwas anderes vorgesehen hat, noch weitgehend im Dunkeln. Absehbar ist, dass sich die beiden Wanderer Lynn und Stein wegen einer großen Aufgabe arrangieren müssen, wofür gewiss ihre Leitgeister Sorge tragen werden, die zweifellos noch immer in Liebe verbunden sind. Ob es Autor und Zeichner gelingt, aus diesen Standard-Gegebenheiten etwas Neues, Überraschendes zu machen, bleibt abzuwarten.

Die Illustrationen sind dynamisch, detailreich, fotorealistisch und farbenprächtig, wie man es von Stjepan Šejić gewohnt ist. Einziges Manko ist weiterhin das ähnliche Mienenspiel aller Figuren, das sie meist sehr bekümmert wirken lässt. Bezüglich der Perspektiven und Proportionen, die nicht immer gestimmt haben, ist eine deutliche Weiterentwicklung festzustellen.

„Ravine“ 1 ist der optisch sehr gefällige Auftakt einer neuen Fantasy-Serie, die bald auch vom Erzählerischen überzeugen sollte, indem sie nicht nur mit für die Funktion notwendigen Motiven aufwartet, sondern auch frische Ideen bringt.