Emily St. John Mandel: Das Licht der letzten Tage (Buch)

Emily St. John Mandel
Das Licht der letzten Tage
(Station Eleven, 2014)
Aus dem Englischen von Wiebke Kuhn
Piper, 2015, Paperback mit Klappenbroschur, 406 Seiten, 14,99 EUR, ISBN 978-3-492-06022-6 (auch als eBook erhältlich)

Von Gunther Barnewald

Das vorliegende Buch wird von Kritikern und Schriftstellern einhellig gelobt und teilweise sogar hymnisch gefeiert (siehe zum Beispiel den Kommentar von George R. R. Martin), die Übersetzungsrechte wurden laut Verlagsinformation inzwischen in 23 Länder verkauft und der Roman stand monatelang auf der Bestsellerliste der „New York Times“.

Bei so vielen Vorschusslorbeeren könnte man fast misstrauisch werden. Aber Autorin Emily St. John Mandel widerlegt alle Befürchtungen mit ihrem grandiosen Stil und ihrer unnachahmlich bitter-zarten Geschichte.


Erzählt wird von nichts Geringerem als vom Untergang unserer derzeitigen technischen Zivilisation.

Ein mutiertes Grippevirus, dem man den Namen Georgische Grippe verpasst hat, wütet weltweit mit einer Sterblichkeitsrate von 99 Prozent. Binnen kürzester Zeit sind durch den Tod so vieler Menschen die meisten technischen Errungenschaften der Menschheit perdu. Kein Internet mehr, keine Handys und Smartphones, selbst Autos werden nicht mehr lange halten, der Flugverkehr erlischt. Vor diesem Hintergrund erzählt die Autorin eine anrührende Geschichte, die fast wild immer wieder in Vergangenheit und Zukunft springt.

Dreh- und Angelpunkt des Romans ist der „berühmte“ Schauspieler Arthur Leander, der am Vorabend der Erkrankungswelle durch einen Herzinfarkt auf der Bühne aus dem Leben geholt wird. Von seiner Person ausgehend erzählt die Autorin vom Schicksal vieler Menschen, die Kontakt zu Arthur hatten. So reist 20 Jahre später eine junge Frau, die als kleines Mädchen an Arthurs letzter Aufführung teilgenommen hatte, mit einer Truppe gleichgesinnter durch die USA, um Menschen die Stücke des unsterblichen Barden William Shakespeare nahe zu bringen. Mit einer Art Zigeunerwagen reist die „Fahrende Symphonie“, wie sich die Gruppe nennt, durch das Land und besucht letzte kleine menschliche Zentren, die sich mehr oder minder bemühen, die Zivilisation aufrecht zu erhalten.

Die Autorin springt aber auch immer wieder in die Vergangenheit, um Arthurs Leben zu zeigen, das seiner Freunde oder berichtet von der Entstehung einer zweibändigen Comicreihe, welche im Original dem Buch seinen Titel gibt, und die durch eine der ehemaligen Ehefrauen Arthurs erschaffen wurde.


Dass der episodenhafte Roman trotzdem spannend bleibt, ist ein wahres Wunder und liegt an der überragenden Erzählweise der Autorin (und damit auch an der ausgezeichneten Leistung von Übersetzerin Wiebke Kuhn).

Ein nicht nur poetisches, sondern auch sehr emotionales Werk, welches trotz der inneren zeitlichen Zerrissenheit den Leser mit Haut und Haaren zu packen und nicht nur zu begeistern vermag, sondern auch noch viele andere Emotionen auszulösen in der Lage ist, wenn man sich auf das Buch einlassen kann.

Deshalb ist es auch kein Wunder, dass ausgerechnet George R. R. Martin von diesem Roman so schwärmt, denn nicht nur sein Faible für Comics wird hier bedient, sondern auch die vielen Emotionen, welche die Autorin beim Leser zu wecken in der Lage ist, macht ihre Art zu Schreiben vergleichbar mit der des Bestsellerautors.

Bleibt zu hoffen, dass dieses, durch seine komplexe Struktur nicht immer einfaches Werk, beim Leser den entsprechenden Anklang finden wird. Verdient hätte es diese erschütternde Geschichte, die so wunderbar erzählt ist, auf jeden Fall.

Emily St. John Mandel startet mit ihrem Erstlingswerk auf höchstem literarischen Niveau und man darf gespannt sein, ob die junge Autorin (Jahrgang 1979) mit zukünftigen Werken die großen Erwartungen an sie wird erfüllen können.