Michael J. Sullivan: Zeitfuge (Buch)

Michael J. Sullivan
Zeitfuge
(Hollow World, 2014)
Deutsche Übersetzung von Oliver Plaschka
Heyne, 2015, Taschenbuch, 438 Seiten, 9,99 EUR, ISBN 978-3-453-31678-2 (auch als eBook erhältlich)

Von Gunther Barnewald

Das Leben von Ellis Rogers ist leider nicht so zufriedenstellend, wie er sich dies wünschen würde. Sein Sohn hat Selbstmord begangen, indem er sich erhängt hat. Unglücklicherweise hat Ellis Rogers zu diesem Suizid einen Beitrag geleistet, den er sich kaum verzeihen kann.

Mit seiner Frau hat er sich, nicht zuletzt aufgrund des Schicksals des Sohns, auseinander gelebt. Als er dann auch noch erfährt, dass er an einer tödlichen, unheilbaren Lungenerkrankung leidet, die ihn bald umbringen wird, beschließt er, die von ihm gebaute Zeitmaschine zu benutzen und in die Zukunft zu reisen. Zuerst informiert er seinen besten Freund und übergibt ihm zudem die Pläne der Maschine.

Als er kurz vor der Abreise Briefe seiner Frau und seines besten Freundes findet, aus denen hervorgeht, dass diese miteinander geschlafen haben, beschließt er, ohne einen weiteren Abschiedsgruß sein Glück zu versuchen mit der von ihm entwickelten Zeitmaschine, mit der er jedoch nur einmalig in die Zukunft reisen kann.

Rogers landet in einem idyllisch wirkenden Landstrich ohne Menschen, findet jedoch nach längerer Wanderung heraus, dass er statt 200 über 2000 Jahre in die Zukunft gereist ist. Die Menschen der Zukunft haben sich sehr verändert. Alles ist ungewohnt für den Reisenden, er erkennt jedoch bald, dass Vieles besser geworden ist.

Leider wird er bei seiner Ankunft in einen Mord verwickelt, was für diese Zeit unerhört ist, denn Verbrechen gibt es schon lange nicht mehr. Bald wird Rogers klar, dass diese Entgleisung mit ihm und seiner Reise zu tun hat, denn er trifft, nach vielen verwirrenden Erfahrungen, auf einen alten Bekannten...


Sullivans Roman ist eine unterhaltsame und über weite Teile spannende SF-Erzählung, die ohne größere Logiklöcher eine clevere Geschichte erzählt.

Hervorzuheben ist vor allen Dingen, dass der Autor sich tatsächlich der Mühe unterzogen hat, eine Utopie zu entwerfen, was im Genre eher die absolute Ausnahme ist, da negative Vorhersagen erstens deutlich einfacher zu konstruieren sind und zweitens zudem auch dem negativen Welt- und vor allem Menschenbild vieler Zeitgenossen eher entsprechen. Zwar ist die hier entworfene Zukunft nicht fehlerfrei, aber doch in vielem deutlich besser als die Gegenwart.

Deshalb ist es kaum überraschend, dass die meisten Zeitreisen in die Zukunft den Protagonisten meist mit einer dystopischen Gesellschaft konfrontieren. Hierfür gibt es viele Beispiele, hier mal exemplarisch drei davon, mehr oder auch weniger berühmt: So trifft der Zeitreisende bei H. G. Wells berühmtem Roman „Die Zeitmaschine“ auf eine kannibalistische Gesellschaft, in der Menschen als Nahrungsmittel gezüchtet und bei Bedarf ins Schlachthaus gerufen werden. In Laurence Mannings wunderbarem Episodenroman „Der Jahrtausendschläfer“ (im Original: „The Man Who Awoke“) findet sich der Reisende in vielen verschiedenen Zeitepochen wieder, in der die Entwicklung der Menschheit immer skurriler wird. Ein echter Klassiker! Selbst bei Walter Ernstings alias Clark Darltons „Die letzte Zeitmaschine“ bringen die Reisenden nur Todesgefahr für die Bewohner der Zukunft, da letztere aufgrund fehlender Krankheitserreger kein Immunsystem mehr aufweisen, weshalb alle Zeitreisenden sofort kaserniert und unschädlich gemacht werden sollen.

Michael J. Sullivan zeigt jedoch eine Zukunft, die nicht nur plausibel, sondern durchaus auch in vielen (aber natürlich nicht allen) Teilen wünschenswert erscheint. Bei ihm gibt es auch keine verborgene Diktatur (oder zumindest noch keine), die hinter der heilen Fassade dann doch durchschimmert und den Reisenden in die Irre führt (ein ebenso klassischer wie mittlerweile klischeehafter Twist in vielen Geschichten).

Stattdessen eine Welt, in der gesellschaftliches Zusammenleben anders abläuft und viele Notlagen den Menschen erspart bleiben. Und solange der Autor diese Welt beschreibt, ist es faszinierend, den Abläufen dieser fremden Gemeinschaft zu folgen und in diese einzutauchen.

Leider verlässt der Autor diese Ebene jenseits der Seite 200 zu schnell und konstruiert dann einen arg ausgelutschten Gut/Böse-Plot, dessen Ende sehr absehbar ist und welcher wieder allzu sehr das Klischee vom schlechten Menschen strapaziert. Hier verliert der Spannungsbogen dann leider etwas an Energie.

Trotzdem ist Sullivan ein wunderbares und selbst für Genre-Kenner überraschendes Buch gelungen, welches tatsächlich den glaubhaften Versuch macht, eine ideale Gesellschaft zumindest ansatzweise zu entwerfen. Zwar noch immer nicht perfekt, aber doch so logisch und ausgefeilt, dass man dem Autor hierfür Anerkennung und Lob entgegen bringen sollte.

Wer gerne SF liest und sich für Zeitreise-Geschichten begeistert, der sollte unbedingt zu diesem Buch greifen, zumal Sullivan die Fehler vieler Vorgänger vermeidet und den Leser nicht mit allzu grobem Unfug und unlogischen Wendungen beleidigt. Logiklöcher in Geschichten dieses Untergenres der Science Fiction gibt es nämlich wie Sand am Meer. Nicht jedoch in „Zeitfuge“. Und schon alleine dafür sollte man dem Autor ewig dankbar sein, der übrigens im Nachwort erhellendes zu Publikationsgeschichte des Romans und zum Verlagswesen in den USA zu berichten hat!