Robert M. Talmar: Der verlorene Brief – Gilwenzeit 2 (Buch)

Robert M. Talmar
Der verlorene Brief
Gilwenzeit 2
Titelbild: Hrvoje Belic
Bastei Lübbe, 2013, Paperback, 480 Seiten, 14,00 EUR, ISBN 978-3404-20750-3 (auch als eBook erhältlich)

Von Christel Scheja

Auch heute müssen sich Autoren immer noch an „Der Herr der Ringe“ messen lassen, wenn sie sich im Genre der High Fantasy austoben wollen. Daher nehmen das viele zum Anlass, ihre Geschichte auch gleich vor einem ähnlich episch gestalteten Hintergrund zu verfassen. Die Helden dagegen sind eher Menschen wie du und ich, die zwar Träume von Abenteuern in ihrem Leben haben, aber nicht wirklich darauf vorbereitet sind, wenn sie sich ihnen stellen müssen. Das ist auch im zweiten Teil der Saga „Gilwenzeit“ von Robert M. Talmar der Fall, der unter dem Titel „Der verlorene Brief“ erschienen ist.

Dreitausend Jahre sind verstrichen, seit der finstere Lukather es wagte, den „Wahren Meistern“ die sogenannten „Gilwen“ zu stehlen, Kristallkugeln, die in der Lage waren, magische Kraft ebenso zu speichern wie auch besondere Gaben, um sich später daran zu bedienen. Er errichtete eine Schreckensherrschaft, konnte dann aber besiegt werden.

Längst sind die Vorfälle von damals zu reinen Legenden verkommen, denn seit damals herrscht Frieden auf Kringerde. Vor allem die Bewohner des Hügellandes, die kleinwüchsigen Vahatin, schätzen das ruhige und in klaren Bahnen verlaufende Leben, in dem jeder seine Aufgabe hat. Nur wenige, wie der Tintnersohn Finn Fokklin, blicken über den Tellerrand hinaus. Der junge Mann soll eigentlich das Handwerk und die Werkstatt seines Vaters übernehmen, aber es kommt alles anders als gedacht. Eine geheimnisvolle Botschaft und der Kriegermönch Circendil bescheren ihm das Abenteuer seines Lebens.

Finn nimmt die Herausforderungen, die an ihn gestellt werden, an und gerät mehr als einmal an den Rand seiner Kräfte und in Lebensgefahr. Aber immer wieder kann er im letzten Augenblick entkommen. Durch seinen wachen Geist versteht er schon bald, dass nicht nur seine Heimat, sondern auch das Leben aller Bewohner Kringerdes bedroht ist, denn die dunklen Mächte schicken sich an, den Hass des Tyrannen wieder über alle Länder zu verbreiten und die Herrschaft zu übernehmen. Finn ist bereit, alles zu tun, was er kann, um das zu verhindern. Allerdings ahnt er nicht, welch hohen Preis er dafür bezahlen wird…

„Der verlorene Brief“ setzt dort ein, wo das letzte Buch aufhörte, daher ist es bitter notwendig, auch den ersten Band der „Gilwenzeit“ zu kennen, da es weder eine Zusammenfassung gibt, noch notwendige Erklärungen.

Ansonsten ist es so, wie gehabt. Robert M. Talmar steht immer noch ganz in der Tradition von Tolkien. Finns Volk weist nicht von ungefähr auch äußerliche und gesellschaftliche Ähnlichkeiten mit den Hobbits auf. Mehr als einmal hat man eher das Auen- als das Hügelland vor Augen, gerade was die Beschreibungen des täglichen Lebens angeht.

Die Gefahr für die Welt mag zwar episch angelegt sein, bleibt aber weiterhin gesichtslos und in Mythen verborgen. Nur gelegentlich treten Handlanger in Erscheinung und machen den Helden zu schaffen. Diese Augenblicke scheinen auch nur dazu da zu sein, um wenigstens etwas Spannung in die Geschichte zu bringen, die in erster Linie aus Beschreibungen und Dialogen besteht. Der Autor nimmt sich nämlich sehr viel Zeit, um den Hintergrund auszubauen und die Mythen um die Gilwen und deren Macht nach und nach zu verdichten. Auch hier lassen sich immer wieder Parallelen zu Tolkien finden.

Auf der anderen Seite geht es sehr beschaulich zu. Der Held muss sich mit den üblichen Schwierigkeiten herumschlagen, da er ein Außenseiter in seinem Volk bleibt, erlebt eine eher zaghafte und niedliche Romanze – entwickelt sich aber irgendwie auch nicht weiter. Circendil, der Kriegermönch, bleibt auch weiterhin eine geheimnisvolle Gestalt. Überhaupt mag man zwar immer wieder etwas über die Helden und die Nebenfiguren erfahren, nichts davon macht die Charaktere aber plastischer und lebendiger.

Alles in allem verläuft die Handlung auf sehr ausgetretenen Pfaden, was vor allem im Mittelteil des Romans zu erheblichen Längen führt. Man merkt zwar, dass der Autor sehr viel Herzblut in die Beschreibung seiner Welt steckt, darüber vergisst er aber leider auch, dass zu einer Geschichte auch Spannung und interessante Figuren gehören – beides ist hier eher Mangelware.

„Der verlorene Brief“ mag zwar die konsequente Fortsetzung von „Der vergessene Turm“ sein, dürfte aber auch nur Lesern gefallen, die die Geduld aufbringen, sich auf eine detailverliebte und an alltäglichen Szenen reiche Geschichte einzulassen, bei der leider die Spannung und die Charaktere zu kurz kommen. Und es mag auch passieren, dass die eind oder andere Ähnlichkeit der „Gilwenzeit“-Saga zum „Herrn der Ringe“ Fans unangenehm aufstoßen könnte.