Kai Meyer: Die Seiten der Welt (Buch)

Kai Meyer
Die Seiten der Welt
Fischer FJB, 2014, Hardcover, 556 Seiten, 19,99 EUR, ISBN 978-3-8414-2165-4 (auch als eBook erhältlich)

Von Christel Scheja

„Die Seiten der Welt“ ist der Start einer neuen Fantasy-Reihe, durch die Kai Meyer Erwachsene wie auch Jugendliche gleichermaßen ansprechen will. Die phantasievolle Geschichte spielt sich diesmal ganz in der geheimnisvollen Welt der Bücher und Bibliotheken ab, die gefährlicher sein kann, als man denkt.

Das bekommt nun auch die fünfzehnjährige Furia Salamandra Faerfax zu spüren, obwohl sie bereits ganz anders aufgewachsen ist als normale Teenager, weil sie niemals zur Schule gegangen ist, sondern ihr ganzes Leben zusammen mit ihrem Vater Tiberius und ihrem kleinen Bruder Pip auf dem großen Anwesen der Familie im ländlichen England verbrachte. Den einzigen Kontakt nach außen stellen ein älteres Ehepaar, das sich um Haus und Garten kümmert, und der Chauffeur dar.

Dennoch vermisst das Mädchen nicht viel, denn sie lebt ganz und gar in der Welt der Bücher und kennt das Geheimnis ihrer Familie. Diese gehörte einst zu den aus Deutschland stammenden fünf großen Familien der sogenannten Bibliomanten, der Buchmagier, und trug früher den Namen Rosenkreutz.

Allerdings hat im 19. Jahrhundert ein Familienmitglied namens Siebenstern die sogenannten „Leeren Bücher“ geschaffen, die tickende Bomben darstellen, sind sie doch in der Lage, die Buchstaben aus jedem anderen Druckwerk in ihrer Umgebung zu entfernen. Zwar hat es sich Furias Vater in den Kopf gesetzt, diese gefährlichen Werke zu finden und zu vernichten, aber das erweist sich schon bald aus lebensgefährliches Unterfangen, macht er damit doch Kräfte auf sich aufmerksam, die diese Macht zu ihren Zwecken nutzen wollen.

Es kommt wie es kommen muss: Der Vater wird getötet und Unbekannte fallen über das Anwesen her, so dass dem jungen Mädchen und ihrem Bruder nur die Flucht bleibt. Dabei ist Furia selbst noch keine Buchmagierin, sie hat ihr Seelenbuch noch nicht aufspüren können was sie umso angreifbarer macht. Aber sie haben keine andere Wahl, denn es gibt nur wenige, denen die Kinder wirklich vertrauen können. Und Antworten auf ihre Fragen dürfte es zudem auch nur in Libropolis geben, der unsichtbaren Bücherstadt im Herzen Londons.

„Die Seiten der Welt“ beweist wieder einmal, dass Kai Meyer selbst ein „Wortmagier“ ist, gelingt es ihm doch aus vertrauten Elementen phantasievolle neue Settings zu schaffen, die ebenso vorstellbar wie auch exotisch und neu sind.

Den ersten Band nutzt er daher erst einmal, um in die Welt der Bibliomanten einzuführen und die wichtigsten Figuren vorzustellen. Dabei vergisst er aber auch die Handlung nicht, so dass sich spannende mit hintergründigen Momenten abwechseln, die Hinweise und Andeutungen gut verteilt sind, ohne dass die Spannung darunter leidet.

Furia mag zwar ein außergewöhnliches Leben führen, sie ist aber im Grunde ihres Herzens trotzdem ein ganz normaler Teenager; rebellisch und unzufrieden, immer gegen ihren Vater schimpfend und sich über seine Ge- und Verbote hinweg setzend. Sie ist aber auch das Medium, durch die der Leser in die Welt der magischen Bücher eingeführt wird und erfährt, wie „Seitenherzen“ oder „Seelenbücher“ und nicht zuletzt die „Exlibris“ funktionieren.

Nach der längeren Einführung beginnt das eigentliche Abenteuer mit einem ziemlichen Paukenschlag und lässt den Leser bis zum Ende nicht mehr zur Ruhe kommen. Furia muss nun selbst aktiv werden und verstehen lernen, warum ihre vertraute Welt zerstört und ihr Vater getötet wurde. Zudem haben die Unbekannten ihren Bruder entführt.

Zusammen mit den teilweise recht kauzigen Nebenfiguren kommt das Mädchen so nach und nach dem eigentlichen Geheimnis ihrer Familie auf die Spur. Zu weiteren Identifikationsfiguren werden auch die bodenständige Diebin Cat, die Furia immer wieder erdet, und der idealistisch veranlagte Rebell Finnian.

Die Handlung mag zwar am Anfang märchenhaft und verspielt wirken, verliert aber schnell jede naive Kindlichkeit, denn Gefahr und Tod gehören ebenso dazu wie bittere Erkenntnisse, so dass das Buch nicht ohne Grund erst ab zwölf Jahren empfohlen wird.

Kai Meyer führt die Leser in eine interessante Welt ein, über die man gerne mehr erfahren möchte, wartet mit facettenreichen und interessanten Figuren auf, die sich auch weiterentwickeln, wie die Agentin Isis Nimmernis, und auch wenn der Roman in sich geschlossen ist, bleiben doch genug Fragen und Andeutungen offen, die Lust auf weitere Abenteuer machen.

Wer phantasievolle aber auch spannende Urban-Fantay-Abenteuer mag, die halbwegs in sich geschlossen sind, sollte ruhig einen Blick in „Die Seiten der Welt“ werfen. Die Geschichte ist spannend und vielschichtig genug, um auch erwachsene Leser zu fesseln und schafft es schon auf den ersten Seiten ohne viel Aufwand und Gerede, das Kino im Kopf anzuschalten, so dass man seine Lektüre gar nicht mehr zur Seite legen möchte.