Interviews
Im Gespräch mit: Dirk van den Boom
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- Veröffentlicht: Donnerstag, 28. Oktober 2010 12:08
Dirk van den Boom, 1966 in Fürstenau geboren, lebt und arbeitet in Saarbrücken. Er ist verheiratet und Vater zweier Kinder. Sein erstes Roman-Honorar erhielt er 1998 für einen „Ren Dhark“-Roman aus dem „Projekt 99″, 2000 startete die von ihm initiierte SF-Serie „Rettungskreuzer Ikarus“. Diesen Sommer erschien mit „Die Ankunft“ der Auftaktband des Alternativwelt-Zyklus’ „Kaiserkrieger“ als Hardcover, Paperback und eBook bei Atlantis. Unser Mitarbeiter Carsten Kuhr hat sich mit dem Autor unterhalten.
Hallo Dirk. Nach unserem letzten Gespräch ist literarisch doch einiges bei Dir passiert. Immer noch bist Du Hauptideenlieferant der Serie „Rettungskreuzer Ikarus“, daneben aber hast Du bei Atlantis mit der „Tentakel“-Trilogie ein Military-SF-Projekt vorgelegt und vor Kurzem den Auftakt zu einer etwas anderen Zeitreise-/Alternativweltgeschichte mit dem Roman „Kaiserkrieger: Die Ankunft“ publiziert. Lass uns mit „Ikarus“ beginnen. Der erste Zyklus um die Invasion der Outsider wurde abgeschlossen. Was hast Du (oder gibt es da ein Brainstorming des Teams?) überlegt, wie es wohl weitergehen sollte? Gab es Überlegungen die Handlung anders auszurichten – noch mehr in Richtung Military SF zu gehen, oder sozial-gesellschaftspolitische Aspekte mehr zu betonen?
Tatsächlich war es so, dass Sylke Brandt recht frühzeitig ein eigenes Konzept für den Folgezyklus vorlegte. Von dem war ich persönlich sofort überzeugt und ich habe es dem Team vorgestellt. Wir haben dann gemeinsam Details diskutiert und auf der Basis habe ich dann die einzelnen Exposés entwickelt. Seit Band 38 wird dieser neue Zyklus ja bereits geschrieben, und bis jetzt sind wir sehr zufrieden. Abgesehen von der neuen großen Gesamthandlung wollten und wollen wir am bewährten Mix der Serie aber nichts ändern. Es wird weiterhin eine Mischung aus vielen Subgenres bleiben, damit sich auch jeder Autor darin wiederfindet – und hoffentlich auch möglichst viele Leser.
Auffällig ist ja, dass immer wieder neue Autoren zum Team dazustoßen – ein fester Stamm scheint es hier, einmal abgesehen von Irene Salzmann, Sylke Brandt und Dir, nicht mehr zu geben. Ist das für die Neuen nicht schwierig sich, in die Serie hineinzufinden, hast Du hier eine Bibel mit den Hintergrundinfos für die Dazugestoßenen bereit?
Na, diese Beobachtung ist so nicht richtig. Wir haben immer mal wieder Gastautoren – zuletzt Erik Schreiber –, aber die Mehrzahl der Romane wird doch von einem festen Team geschrieben, das sich seit vielen Jahren nicht verändert hat: Sylke Brandt, Irene Salzmann, Achim Hiltrop, Thomas Folgmann und ich. Der aktuelle Band 43, der in Kürze erscheint, ist von mir, die 44 von Irene und Tom und die 45 von Achim. Es geht also alles seinen gewohnten Gang. Allerdings wird es bald auch wieder einen Gastautor geben, nämlich Armin Möhle. Nur in der neuen Storyanthologie, die parallel zur Nr. 43 erscheinen wird, wird es viele neue Namen geben. Aber dafür sind die Anthos ja auch gedacht. Es gibt eine Serienbibel, die ist aber leider lange nicht aktualisiert worden. Wenn wir Gastautoren haben, dann sind das meist Leute, die die Serie seit Beginn verfolgen und so in etwa wissen, worum es geht.
Die „Tentakel“-Trilogie war reinste Military SF. Was findest Du persönlich so faszinierend an dem Sub-Genre, wie kam Deine Trilogie beim Leser an?
Military SF interessiert mich schon lange, und das vor allem, weil dieses Subgenre eine gute Basis für actionreiche, spannende Romane bietet, in denen es auch mal richtig rummst – und das ist die SF, die ich gerne lese. Und was ich gerne lese, das schreibe ich auch. Es gibt natürlich solche und solche MilSF, ich habe mal in einem Artikel versucht, dies etwas auszudifferenzieren. Und es gilt natürlich für MilSF das gleiche wie für alle anderen Spielarten: ein schlechter Autor kann auch da viel kaputt machen. Was die „Tentakel“-Trilogie angeht, so habe ich durchaus polarisierende Reaktionen bekomme, sehr positive wie auch eher negative. Naturgemäß wurden die Romane eher von denen gekauft, die eine natürliche Affinität zum Subgenre haben, also überwogen die positiven Reaktionen. Interessant ist, dass der Verkauf sich seit 2007, als der erste Band erschien, kontinuierlich fortgesetzt hat. Dabei reden wir nicht von gigantischen Zahlen. Bis vor einem halben Jahr haben wir von „Tentakelschatten“, dem ersten Roman, vielleicht 400-500 Exemplare insgesamt verkauft. Vor einigen Monaten erschien dann „Die Ankunft“, dieser Titel hat sich blendend verkauft, und plötzlich schnellt auch der „Tentakel“-Absatz nach oben. Da gibt es einen erkennbaren Nachzieheffekt.
Wird es eine Neuauflage und/oder eine Omnibusausgabe der „Tentakel“-Romane geben?
Alle drei Romane sind lieferbar und werden weiterhin lieferbar bleiben, das heißt auch ständig nachgedruckt. Guido Latz will tatsächlich für die ganz Harten eine Omnibus-Hardcoverausgabe auflegen, aber das wird ganz sicher ein Produkt für einen letztlich nur sehr erlesenen Käuferkreis sein...
Es ist auffällig, dass Du fast nur bei Atlantis veröffentlichst. Gibt es für deutschsprachige Talente außerhalb der Romance- und Völker-Fantasy-Romane bei den großen Publikumsverlagen keinen Platz?
Hm, es gibt für SF auch im Kleinverlagsbereich nicht viel zu holen. Im Oktober auf dem BuchmesseCon waren viele Kleinverlage vertreten, und die allermeisten publizierten Fantasy. SF war nur bei sehr wenigen vertreten. Die Auswahl im Kleinverlagsbereich ist da nicht groß, vor allem, weil die einigermaßen seriösen – da muss man ja auch nochmal die Gurkenverlage aussortieren – ihren festen Autorenstamm haben. Also bin ich froh, Atlantis gefunden zu haben. Was die Publikumsverlage angeht, so höre ich nach jeder Buchmesse „Wir suchen deutsche Talente!“, doch im Bereich der SF sehe ich das weitaus weniger bestätigt als im Fantasy-Bereich. Vielleicht ändert sich das ja jetzt, nachdem Markus Heitz auch mit SF auftrumpft, kann ja sein, dass das was nach sich zieht. Ich kann es ganz schlecht beurteilen, weil ich nicht immer verstehe, nach welchen Kriterien die Publikumsverlage ihre Manuskripte auswählen. Das ist wohl auch viel Bauchgefühl des zuständigen Redakteurs.
Nun hast Du ein neues Projekt gestartet, „Kaiserkrieger“, eine Alternativwelt-Geschichte. Wie kamst Du auf die Idee, wo recherchiert man hier die Details?
Die Idee trage ich schon ewig mit mir herum, und mit dem Schreiben des ersten Romans habe ich parallel zum zweiten „Tentakel“-Roman begonnen. Als Inspiration nenne ich zwei Autoren: Eric Flint und David Drake, vor allem den „1632“-Zyklus und den „Belisarius“-Zyklus. „Sowas“ wollte ich immer mal schreiben. Und ich wollte es mal ohne die typischen amerikanischen oder amerikanisierten Helden machen. Sozusagen die deutsche Variante. So nahm die Idee im Laufe der Zeit immer konkretere Gestalt an. Natürlich musste ich sehr viel recherchieren. Ich kenne mich aus Neigung etwas mit der Geschichte des Römischen Reiches aus, aber weniger mit der Spätphase, die ich als Ausgangspunkt gewählt hatte. Und die Interna der kaiserlichen Kriegsmarine waren mir vorher völlig fremd. Von den technisch-wissenschaftlichen Fragen einmal ganz abgesehen – ich habe sehr viel gelesen, vielen Leuten viele Fragen gestellt und bekomme jetzt schon eMails, in dem mir sehr wohlmeinende Leser, die sich wirklich gut auskennen, alle Fehler aufzählen, die ich gemacht habe...
Haben solche Hinweise dann Auswirkungen auf die noch nicht erschienen Romane, stellst Du hier etwas um oder richtig?
Nein, denn das müsste ich dann ja rückwirkend tun. Nur, wenn die Informationen nicht im Widerspruch zu den im ersten Band bereits „etablierten“ Tatsachen stehen, kann ich sie nachträglich einbauen. Die innere Konsistenz muss gewahrt bleiben.
Warum hast Du die Reihe auf sechs, jeweils recht kurze, Bände konzipiert?
Habe ich gar nicht. Eigentlich ist es eine Trilogie. Die ersten beiden Bände sind ein Roman, in der Mitte geteilt. Erst ab Band 3 schreibe ich auf den „neuen“ Umfang. Guido Latz vom Atlantis-Verlag war der erste Band zu umfangreich – das Buch wäre bei einer Kleinverlagskalkulation sehr teuer geworden. Aber so ist es eben, wenn man nicht in einem großen Verlag veröffentlicht. Die Romane 2 und 3, die bereits fertig vorliegen, sind aber beide schon etwas umfangreicher als der erste Band. Ich reize das jetzt mit jedem Band etwas mehr aus, bis Guido aufschreit. Er wird spät schreien, denn „Die Ankunft“ verkauft sich so prächtig, dass er jetzt etwas anders kalkulieren kann, wenn die Folgeromane sich ähnlich gut absetzen lassen.
Wieso eine Trilogie wenn Du schon drei Romane fertig hast, aber noch drei schreiben willst?
Die ersten beiden Bände sind der geteilte erste Band der Trilogie. Die nachfolgenden vier Bände schreibe ich ausgerichtet auf den kürzeren Umfang. Da aber die generelle Gesamthandlung „gleich lang“ sein soll wie bei der ursprünglich geplanten Trilogie dicker Romane, müssen es halt jetzt insgesamt sechs Romane werden.
Wieweit hast Du die Romane im Vorfeld bereits fertig konzipiert? Machst Du Dir ein detailliertes Exposé für jeden Roman, oder lässt Du Dich mehr von Deiner Muse leiten?
Ich schreibe keine Exposés, ich habe kein Konzept, ich habe gar nichts. Ich schreibe drauflos. Das Einzige, was ich erahne, ist, wo ich am Ende von Band 6 angekommen sein will. Wie ich dorthin gelange – ich habe derzeit noch nicht den leisesten Schimmer, abgesehen von dem, was ich bereits geschrieben habe.
Ist das nicht ungewöhnlich, gar kein Konzept zu haben, wo die Handlung hinlaufen wird, welche Punkte man bis dorthin streift? Ich denke hier auch und insbesondere an andere Handlungsstränge, die sich mit der Haupthandlung logisch vereinen sollten, aber auch an die Recherche – wenn Du plötzlich und unerwartet in Nordafrika landest, dann musst Du ja erst einmal im Schaffensprozess eine Pause einlegen, um Dich in die Fakten einzulesen?
Klar. Aber was ich im Kopf habe, sind wirklich nur ganz, ganz grobe Handlungsstränge, die sich auch wieder ändern können. Wenn dann was nicht passt, muss es halt bei der Nachbearbeitung passend gemacht werden. Die Arbeit ist dann manchmal nicht immer sehr linear. Das ist eben die Konsequenz, wenn man sich als Autor von dem überraschen lässt, was man selbst schreibt.
An welchem Band schreibst Du gerade?
Band 4. Ich hoffe, den Roman bis Ende des Jahres zur Hälfte fertig zu haben.
Wie, besser: wann nimmst Du Dir eigentlich die Zeit zum Schreiben? Du bis beruflich viel im Ausland unterwegs, unterrichtest an der Uni, übersetzt für Basilisk und Atlantis, betreust „Ikarus“, bis Ehemann und Vater und schreibst daneben noch Romane – wo findest Du die Zeit und Ruhe zum Schreiben?
Tatsächlich lehre ich ziemlich wenig an der Uni, das macht zeitlich nicht viel aus. Viel mehr hauen die beruflichen Auslandsreisen rein, denn mein Geld verdiene ich als freiberuflicher Berater. Wenn ich unterwegs bin, kann ich nicht schreiben, das ist wie eine Blockade. Da bleibt alles liegen. Was das Übersetzen angeht, so werde ich das in Zukunft aus exakt dem Grund reduzieren müssen. Da habe ich mir zuletzt etwas zuviel aufgebürdet, und es lohnt sich finanziell nicht besonders. Tatsächlich schreibe ich also nicht sehr viel am Tag. Vielleicht 30 Minuten täglich, wenn es gut läuft. Aber ich bin dafür recht fix, wenn ich mal anfange. Das kompensiert es dann etwas.
Welche Übersetzungen wirst Du nicht weiter betreuen?
Das werde ich zu Beginn des kommenden Jahres entscheiden.
Sieht man sich die amazon.de-Kundenbewertungen an, so wird oftmals – meiner Meinung nach zu Unrecht – ein Vergleich zu Reihen aus dem Unitall Verlag gezogen, die inhaltlich eher rechtes Gedankengut aufgreifen. Wie stehst Du dazu? Heißt Military automatisch Fremdenfeindlichkeit und/oder Militarismus in Form von blinder Aggression gegen alle Andersdenkenden?
Natürlich ist Aggression ein wesentlicher Bestandteil von Romanen, in denen auch das Militär eine tragende Rolle spielt. Sonst würde man es doch nicht einbauen, oder? Aber es kommt natürlich darauf an, was für ein Ziel man mit einem solchen Roman verfolgt: will man einfach nur gut unterhalten und ein spannendes Garn spinnen oder will man unterschwellig eine politische Botschaft verkaufen? Ich bin ein Schriftsteller, kein politischer Agitator. Das sehen andere Autoren und Verlage anders, das ist aber ihr Bier. Und wenn jemand dann „Die Ankunft“ liest und sich wundert, dass ich den Roman nicht benutze, um Propaganda zu betreiben, dann wird er natürlich enttäuscht sein, vor allem dann, wenn er eine bestimmte Propaganda erwartet hat. Sein Pech.
Das heißt nicht, dass es in einem Zyklus, der zwei historisch weit voneinander getrennte Glaubenswelten aufeinandertreffen lässt, keine politischen oder philosophischen Diskurse gibt, das ist sogar unausweichlich. Nur sind das immer die Aussagen der Protagonisten, die eine Agenda verfolgen, damit der Roman funktioniert. Das ist der wichtigste Punkt: die Beschreibung von Politik u. a. muss der Handlung des Romans und seinem Unterhaltungswert dienen – der Roman darf sich nicht der Propaganda des Autors unterwerfen. Dann wird er nämlich im Regelfalle schlecht. Ein schönes Beispiel ist dafür John Ringo, den ich wirklich gerne gelesen habe, der aber mit jedem neuen Roman den von mir eben beschriebenen Irrweg einen Schritt weitergegangen ist, die Handlung seiner Werke seinen politischen Ansichten zu unterwerfen. Dann wird die Lektüre doch sehr anstrengend.
Dennoch wird gerade dies, dass Du eben nicht blind den Militarismus verherrlichst, Dir fast schon vorgeworfen. Wird man, wenn man das deutsche Militär, egal ob man das Wilhelminische oder die Streitkräfte der Nazis auftreten lässt, als deutscher Autor nicht automatisch, ohne dass so manche Kritiker den Text überhaupt lesen, in eine Ecke gestellt? Andere wiederum, die das Buch lesen, bemängeln ausgerechnet, dass man das Militär nicht verherrlicht – ein typisch deutsches Phänomen?
Keine Ahnung. Ich glaube nicht. Wenn ich mir manche Diskussion in amerikanischen Foren so ansehe, so finden sich da gewisse Muster wieder, die ich auch aus der hiesigen Szene kenne. So richtig überrascht mich da gar nichts mehr. Letztlich muss man mal eines festhalten: Ich schreibe das, was ich auch selbst gerne lesen würde. Und das gefällt dem einen und missfällt dem anderen. Damit werde ich wohl leben müssen...
Wie kann man hier als Autor deutlich machen, dass man eben nicht aus einer gewissen ideologischen Ecke kommt, und trotzdem eine deutschen Militäreinheit ins Zentrum seines Romans stellt?
Das muss aus dem Roman, dem Kontext der Handlung, der Interaktion der Protagonisten, deutlich werden – ein Roman wird damit doch letztlich selbsterklärend, wenn er einigermaßen gut geschrieben wurde. Das sollte das Ziel des Autors sein, dass er nicht dauernd alles erklären und nachinterpretieren muss. Ich hoffe doch, dass mir das gelingt.
Vielen Dank, dass Du Dir für unsere Leser Zeit genommen hast. Wir wünschen Dir für die Zukunft alles Gute!