Interviews

Im Gespräch mit: Ernst Wurdack

Seit Jahren schon beleben die so genannten Kleinverlage die Szene. Nachdem sich die namhaften Verlagshäuser sukzessive von der Publikation von Storysammlungen, Anthologien und talentierten Newcomern verabschiedet haben, schlossen diese Verlage die Lücke und legen seitdem immer wieder entsprechende Bücher auf. Einer der umtriebigen Verleger ist Ernst Wurdack, der in seinem gleichnamigen Verlag nicht nur zu unrecht vergessene Preziosen neuauflegt, sondern auch talentierten Autoren eine Bühne für ihre Werke bietet. Unser Mitarbeiter Carsten Kuhr sprach mit dem Verleger.

Wie fanden und finden ihre Leser und Käufer zu Deinen Büchern? Du bist ja auch oft auf Cons vertreten, aber die Masse geht sicherlich über den Internetauftritt an den Mann – läuft da nicht Vieles über Mundpropaganda?

In der Anfangszeit waren es vor allem Leser aus dem Fandom, die Bücher weiterempfohlen haben, dann kam der Shop im Internet hinzu, danach der Vertrieb über verschiedene Internetanbieter wie Amazon und momentan wächst die Zahl der Buchhändler, die unsere Bücher ins Sortiment aufnehmen. Über diesen Vertriebsweg wurden im letzten Quartal erstmals mehr Bücher verkauft als über alle anderen Vertriebswege zusammen. Eines ist mir in den zurückliegenden Jahren klar geworden: Um als neuer und kleiner Verlag Fuß zu fassen, braucht man viel Geduld und Durchhaltevermögen. Und ich bin gespannt, wie sich die Sache weiterentwickelt, denn seit einiger Zeit kann ich feststellen, dass Leser, die zunächst über den Buchhandel und das Internet Bücher kauften, nun dazu übergehen, die Bücher direkt beim Verlag zu ordern.

Immer wieder legst Du in Deinem Verlag Originalanthologie auf – Preise für die darin enthaltenen Geschichten legen beredt Zeugnis von der Qualität ab. Ist die gängige Auffassung, die gerade bei den großen Publikumsverlagen an der Tagesordnung ist, dass sich Kollektionen und Anthologien nicht verkaufen, aus Deiner Sicht zutreffend? Gibt es wirklich zu wenig Leser für Kurzgeschichten, um hier wirtschaftlich solide rechnen zu können?

Die Anzahl der Kurzgeschichten-Leser im deutschsprachigen Raum ist überschaubar. Ob es zu wenige sind, um solide kalkulieren zu können, ist eine Frage des Blickwinkels. Für große und selbst mittlere Verlage, die eine gewisse Mindestauflage brauchen, wird es sich in den allermeisten Fällen nicht rechnen. Für Kleinverlage wird es bestenfalls auf ein Nullsummenspiel hinauslaufen. Ich sehe Anthologien eher als eine gute Möglichkeit, neue Autoren zu entdecken und den Lesern nahezubringen. Bei Kollektionen sieht die Sache ein wenig besser aus. Wenn sie von einem bekannteren Autor ist, dann verkauft sie sich durchaus, wenn auch bei weitem nicht so gut wie ein Roman.

Neben neuen Werken, zu denen wir später noch kommen, legst Du auch zwei ältere Reihen auf. Zum einen wird die legendäre „Mark Brandis“-Reihe von Nikolai von Michalewsky bei Dir endlich komplett dem Leser wieder zugänglich gemacht. Wie kamst Du hier auf die Idee, die gerade was den humanistischen Inhalt und die ansprechende Umsetzung der Titel anbelangt, herausragende Serie bei Dir neu herauszubringen?

Ich wollte schon immer eine SF-Serie herausbringen. Mit Dieter Schmitt, Mitherausgeber unserer SF-Reihe, hatte ich damals einige Vorschläge durchgesprochen und „Mark Brandis“ war sein Favorit. Auch Michael Ehrt, der das Mark-Brandis-Wiki betreibt, und Regina Schleheck, eine meiner Stammautorinnen, die das Skript zum ersten „Mark Brandis“-Hörspiel verfasst hat, waren von der Idee begeistert und haben mir einen Kontakt mit Reinhild von Michalewsky hergestellt. Ich sicherte ihr zu, alle Bände der Reihe komplett neu aufzulegen und so bekam ich den Zuschlag. Ich habe dieses Wagnis bis heute nicht bereut, auch wenn ich so manchen bangen Moment hatte, als die ersten beiden Bände erschienen sind. Würden sich genügend Leser finden? Würden diese Leser der Serie dann auch bis zum Schluss treu bleiben? Die erste Frage kann ich inzwischen eindeutig mit „Ja“ beantworten. Die zweite mit „höchstwahrscheinlich“.

Hast Du da einen Einblick, wer die Reihe bei Dir ordert? Sind das nur Leser, die sie aus ihrer eigenen Jugend kennen und schätzen, Nostalgiker, die auf den Spuren ihrer Bücherei-Favoriten wandeln? Oder gibt es auch neue Leser, die „Mark Brandis“ erst über Dich entdecken?

Es sind in erster Linie die Fans von früher, die die Abenteuer in ihrer Jugend gelesen haben oder die ihre Sammlung komplettieren wollen, weil nicht mehr alle Bände der Originalausgabe problemlos zu bekommen sind. Aber auch Leute, die „Mark Brandis“ zunächst nur als Hörspiel kannten, haben zu den Büchern gegriffen. Was mich besonders freut, ist das regelmäßige Feedback, das ich von den Fans dieser Serie bekomme.

Letztes Jahr hast Du mit der Publikation Guy Neville Buthbys „Doctor Nikola“-Reihe begonnen. Nun sollte man dazu wissen, dass Boothby zu seiner Zeit, Ende des 19. Jahrhunderts, zu den Bestsellerautoren gehörte, und sich seine Spannungsromane, die er immer wieder mit phantastischen Elementen anreicherte, millionenfach verkaufte. Dennoch schafften es die fünf Bände um den genialen Serienverbrecher nicht alle in den deutschen Buchmarkt. Wie kam es zu dem Projekt, einen meines Erachtens zu unrecht vergessenen Unterhaltungsautor einem aktuellen Publikum vorzustellen?

Michael Böhnhardt, den ich seit vielen Jahren kenne, hatte lange Zeit eine Webseite betrieben, auf denen er die Abenteuer kapitelweise übersetzte. Irgendwann hat er die Seite vom Netz genommen und so habe ich bei ihm angefragt, ob wir es wagen sollten, „Doctor Nikola“ in einer ansprechend gestalteten Sammlerausgabe mit Klappenbroschur herauszugeben. Er war von der Idee begeistert, wir klärten ab, in welchem zeitlichen Abstand die Bücher erscheinen könnten und Michael machte sich an die Arbeit. Einen der fünf Bände, in dem der Doctor nur Randfigur ist, werden wir nicht bringen, dafür gibt es in Band 3 und Band 4 Bonusmaterial in Form einer Kurzgeschichte von Guy Boothby.

Wie sind die Reaktionen des Publikums? Wird die Reihe angenommen, und erschließen sich dem Verlag hier nicht auch ganz andere, neue Leserschichten?

Uns war von Anfang an klar, dass derartige Bücher einen ganz speziellen Leserkreis ansprechen würden, und dass die Leser innerhalb des Fandoms zu finden sein würden – Freunde Phantastischer Literatur eben. Völlig überrascht hat uns dann, dass die Bücher von Anfang an über den Großhandel an die Buchhandlungen gingen, die Verkäufe über den eigenen Shop und das Internet dagegen gering waren. Anscheinend sprechen diese Bände eine andere Leserschaft an, außerhalb des Fandoms, und ich würde viel dafür geben, zu erfahren, wer denn nun diese Leser sind.

Boothby ist meines Wissens das erste Projekt, das als Übersetzung bei Dir erscheint. Zwischenzeitlich gehen auch die Kleinverlage zunehmend dazu über, ausländische Rechte einzukaufen – wie siehst Du dies? Als eine eher bedenkliche Entwicklung, weil damit Raum für deutschsprachige Talente wegfällt, oder als Öffnung für interessante, aber dem Massengeschmack nicht unbedingt folgende Autoren?

Ich halte diese Entwicklung eher für erfreulich. Kleinverleger sollten eigentlich immer auch etwas von einem Jäger und Entdecker haben, der verborgene Schätze für seine Leser aufspürt, ausgräbt und sie ihnen zugänglich macht. In kleinen Verlagen kann ein Verleger noch Verleger sein, ohne sich den Zwängen des Massenmarktes unterwerfen zu müssen. Als Kleinverleger ist man ziemlich nah dran an seinen Autoren und seinen Lesern, und diese Nähe ist genau der Vorteil, den jeder Kleinverleger unbedingt ausnützen sollte, wenn er gegen die Großen der Branche bestehen will. Ein kleiner Verlag, der das nachahmt, was die großen Verlage vormachen, wird zwangsläufig scheitern. Es ist klüger, sich voll und ganz auf seine Stärken zu konzentrieren, anstatt von allem etwas zu verlegen.

Wirst Du Dich diesem Trend anschließen, oder bleibst Du, mal abgesehen von Boothby, ausschließlich den heimischen Autoren weiterhin verbunden?

In der SF-Reihe werden wir weiterhin deutschsprachige Autoren bringen, da ist eine Menge in der Pipeline, und es besteht kein Grund, daran etwas zu ändern. Ein wenig anders sieht es in der Sparte Horror & Phantastische Literatur aus. Hier hatte ich ja von vorneherein eine Übersetzung pro Jahr eingeplant, aber es könnten durchaus mehr Übersetzungen werden, denn wirklich gute Manuskriptangebote heimischer Autoren habe ich hier bisher nicht bekommen.

Siehst Du Dich auch als Talentförderer, macht es Dich stolz, wenn Deine eigenen Autoren prämiert werden?

Ich sehe mich – wie weiter oben schon erwähnt – eher als Jäger und Entdecker, der neugierig und offen für alles ist, und immer auf der Suche nach guten, spannenden, lesbaren Geschichten. Was die Preise angeht, mit denen unsere Autoren ausgezeichnet wurden, so bin ich natürlich mächtig stolz darauf. Aber da die Preise alle in der Sparte SF vergeben wurden, gebührt das Lob allein dem Herausgeberteam – Armin Rößler, Heidrun Jänchen und Dieter Schmitt. Sie sind es, die die Geschichten auswählen, deren Potenzial erkennen, im Lektorat formen und zusammen mit den Autoren wirklich gute Geschichten daraus machen. Wenn jemand Talentförderer ist, dann die SF-Redaktion.

Inhaltlich legst Du Dich nicht fest. High-Fantasy, Vampirromane, oder Military-SF/Space Opera – der Leser findet bei Wurdack eine reiche Auswahl an Genres. Warum verzichtest Du auf eine Spezialisierung?

Ich bin durchaus dabei, mich zu spezialisieren. Nur ist das ein langsamer Prozess. Von Hauruckaktionen halte ich nämlich nichts. Letztendlich werden, so wie es jetzt aussieht, zwei Haupt-Schienen übrigbleiben: Science Fiction mit all ihren Spielarten und Phantastische Literatur & Abenteuer. Innerhalb dieser beiden Schienen ist alles möglich, was das jeweilige Genre zu bieten hat, Schubladen und Schubladendenken wird es nicht geben.

Was liest Du selbst am liebsten? Hast Du persönliche Vorlieben das Genre betreffend?

Phantastik in jeder Form, spannende Thriller und vor allem Abenteuer auf fernen Planeten mit wundersamen Lebensformen etc. Ich würde letzteres als Science-Fiction-Fantasy bezeichnen. Davon kann ich nicht genug kriegen.

Was muss ein unbekannter Autor, der sich bei Dir um eine Veröffentlichung bewirbt, mitbringen? Wirst Du nicht auch von Manuskripten förmlich erschlagen? Gibt es hier von deiner Seite aus Vorgaben was Umfang oder Inhalt anbetrifft?

Seit ich auf meiner Webseite konkrete Angaben dazu mache, was ich aktuell suche und vor allem, was ich nicht suche, kommen nur noch sehr wenige Manuskriptangebote. Das hat sowohl für uns als auch für die Autoren Vorteile, denn sie brauchen nicht Manuskripte auf gut Glück einsenden und müssen anschließend nicht fingernägelkauend mehrere Monate warten, bis sie eine Antwort erhalten. Es gibt pro Jahr maximal 20 Programmplätze, davon sind schon 8 durch „Mark Brandis“ belegt, weitere 4 durch SF und 4 durch Phantastische Literatur. Bleiben in den nächsten Jahren also noch 4 wirklich freie Programmplätze pro Jahr, und wenn mir jemand nicht irgendetwas anbietet, sondern ein Manuskript oder Buchprojekt, das genau zur Ausschreibung auf der Webseite passt, dann bin ich sehr interessiert. Ab 2013, wenn die „Mark Brandis“-Reihe vollständig erschienen ist, werden die Chancen für Autoren generell wieder besser, bei mir im Verlag unterzukommen.

Wenn Du einen Wunsch frei hättest, welchen Autor, gleich ob national oder international, würdest Du gerne in Deinem Verlag publizieren?

Terry Pratchett.

Auf welche Bücher-Highlights kann sich der Fan in der nächsten Zeit freuen? Kannst Du uns ein wenig den Mund wässrig machen? Was hast Du in Vorbereitung?

Ganz aktuell die „Hinterland“-Anthologie mit SF-Erzählungen bekannter Autoren, inspiriert von der Musik David Bowies. Dann natürlich die beiden nächsten Bände um Doctor Nikola, und wenn es irgendwie möglich wäre, würde ich diese Abenteuer-Reihe gerne weiterführen – mit Romanen von Michael Böhnhardt, dem Übersetzer, und anderen jungen, talentierten Autoren. Ich hoffe, dass wir im nächsten Jahr dann auch endlich eine Kollektion von Michael Iwoleit bringen können und eine von Heidrun Jänchen. Und ich werde nach Boothby einen weiteren Australier verlegen, einen lebenden diesmal. Ziemlich harter Tobak. In den USA wurde der Roman an einigen Stellen stark gekürzt, damit er überhaupt erscheinen durfte; ich werde die ungekürzte Originalausgabe bringen, der Vertrag ist gerade auf dem Weg nach Australien. Vielleicht kann ich auf dem BuchmesseCon Anfang Oktober schon mehr dazu sagen.

Vielen Dank für das Interview. Wir wünschen Dir und dem Verlag für die Zukunft alles Gute.


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