Interviews

Im Gespräch mit: Holger Kliemannel

Die Edition Roter Drache ist ein Kleinverlag mit Sitz in Thüringen. Er ist einer der wenigen Verlage, die neben Belletristik auch Sachbücher führen, die sich durch eine Kombination aus wissenschaftlichen Erkenntnissen und Erfahrungen aus der Praxis auszeichnen. Thematische Schwerpunkte bilden Steampunk, Fantasy, Phantastik und Heidentum. Daneben veröffentlicht man Satire und Biografien. Unser Mitarbeiter Carsten Kuhr hat mit dem Verleger Holger Kliemannel ein interview geführt.

 

Hallo Holger. Erzähl doch erst mal wie Du auf den Gedanken gekommen bist, einen Buchverlag und dann auch noch ausgerechnet für Phantastische Literatur zu gründen?

Ursprünglich war die ERD ein Fachverlag für okkulte und heidnische (Sach)-Bücher. Eine Freundin aus Polen hat seinerzeit ein kleines Büchlein über Mephisto geschrieben und fragte mich, ob mir ein Verlag bekannt sei, der das veröffentliche. Ich las es mir durch und es gefiel mir, weshalb ich antwortete, ich werde es machen. Es erschien erst auf englisch und kurz danach auch auf deutsch. Erst Jahre später widmete ich mich der Phantastik, als sich mein persönliches Interesse in diese Richtung entwickelte. Das Verlagsprogramm spiegelt das wider, was ich gerne lese, deshalb auch diese breite Vielfalt an Themen.

Welche Spielart der Phantastik bevorzugst Du selbst, wie kamst Du selbst zur Phantastik?

Ich habe bereits viel Phantastik gelesen bevor mir bewusst war, dass es Phantastik ist. Über eine Definition habe ich mir zuvor nie Gedanken gemacht, sondern las, was mich angesprochen hat, wie zum BeispielPoe oder Verne, also eher die Klassiker. Erst im Nachhinein bin ich zu den Autoren von heute gekommen, zurzeit lese ich zum Beispiel gerne Humorvolles wie Pratchett oder düstere Phantastik.

Nun gibt es weitaus einfachere Wege um Geld zu verbrennen und seine Zeit zu vergeuden - beides natürlich provokativ und wahrlich nicht ernst gemeint. Warum hast Du Dich entschlossen, viel Deiner Zeit in Buchprojekte zu stecken?

Den Verlag gründete ich im Januar 2006, seit 2008 lebe ich von ihm. Wenn der Verlag nicht erfolgreich ist, hab ich kein Einkommen. Schon allein deshalb muss ich viel Zeit investieren, er ist mein Job. Aber abgesehen davon macht es einfach viel Spaß, und ich liebe die Arbeit mit Autoren, Lektoren, Künstler, Kunden, Blogger etc. Das würde ich nicht missen wollen. Ich lese die Bücher teilweise zwei Jahre vor dem Erscheinen und bin dem Publikum somit weit voraus .-)

Lohnt es sich?

Abgesehen von schlaflosen Nächten, Magengeschwüren und Stress? Ja, auf jeden Fall. 

Wie sieht der typische Weg eines Buches in Deinem Verlag von Manuskripteinsendung bis zum verkaufsfertigen Titel aus und wie lange dauert es (Lektorat, Korrektorat, Satz, Covergestaltung, Werbung und Veröffentlichung)?

Ein Manuskript wird von einem Autor oder einer Agentur angeboten, ich versuche es zeitnah zu lesen (was aber nicht funktioniert, weshalb ich ein Annahmestopp für Einreichungen habe) und lasse es von Autoren und Lektoren prüfen. Wenn die Mehrheit dafür ist, bekommt der Autor einen Vertrag angeboten (jeder Autor hat bei mir den gleichen Vertrag, egal ob Debütant oder Bestsellerautor, ich mache da keinen Unterschied). Im Anschluss sammeln wir gemeinsam Ideen für Cover, erstellen einen Klappentext und lassen das Manuskript frühzeitig in das Lektorat gehen. Danach mache ich oder meine Auszubildende den Satz, wird das Korrektorat gemacht, melden wir den Titel überall an, planen Werbung und geben es vier Wochen vor dem geplanten Erscheinungstermin in Druck. Das ist der Idealfall, in der Realität schreiben Autoren erst noch das Manuskript nach Vertragsabschluss. Unser Programm steht immer für zwei Jahre im Voraus fest, weshalb es sich auch so lange von Angebot bis Veröffentlichung hinzieht. 

Nach welchen Kriterien suchst Du die Manuskripte, die bei Roter Drache veröffentlicht werden, aus?

Als erstes wird geschaut, ob der Autor in die Verlagsfamilie passt, was das wichtigste Kriterium für uns alle ist. Sollte er menschlich hinein passen, wird das Manuskript geprüft, und da schauen wir darauf, ob es in das Programm passt oder ob ein anderer Verlag besser geeignet wäre. Dabei achten wir darauf, ob es handwerklich gut ist - perfekt muss es noch nicht sein, dafür stehen die Lektoren später dem Autor mit Rat und Tat zur Seite.

Ist es ein Ein-Mann-Job oder hast Du Helfer im Hintergrund?

Ich habe eine Auszubildende und bin somit der einzige Ausbildungsbetrieb in der Phantastik. Ansonsten greife ich nur auf freie Mitarbeiter (hauptsächlich Lektoren & Künstler) zurück.

Es fällt auf, dass Du Dich immer bemühst, Deine Veröffentlichungen mit besonderen optischen Gestaltungen, etwa auch Einbandvarianten (Kladden mit Gummiband als Verschluss und abgerundeten Ecken etwa) und ähnlichem aus der Masse der Publikationen herauszuheben - lohnt sich der Aufwand?

Jein. Finanziell meist nicht, bei den beschriebenen Büchern hab ich draufgezahlt, weil es sehr teuer ist und Anthologien nicht so hohe Absatzzahlen haben; aber man erregt damit Aufmerksamkeit und gewinnt neue Autoren hinzu, und dafür alleine lohnt es sich. Und die Autoren und Herausgeber sind mit dieser Aufmachung natürlich unheimlich zufrieden, was wichtig für mich ist.

Fantasy inklusive der Urban-Variante, Steampunk, SF, Thriller jetzt gar ein Comic - die Palette ist weit gespannt, warum konzentrierst Du Dich nicht auf eine einzelne Sparte?

Weil mir das zu langweilig wäre. Und dem Leser auch. Ich könnte natürlich für jede Sparte ein Imprint gründen, um möglichst groß zu wirken, wie es gerade einige Verlage machen. Aber warum sollte ich? Das gehört alles zur ERD, und ich bin auf jeder einzelnen Veröffentlichung stolz. Wie weiter oben gesagt, das Programm spiegelt meine eigenen Interessen wider, daher auch die Vielfalt.

Es gibt in Deinem Verlag keine Übersetzungen, Du konzentrierst Dich auf deutschsprachige Verfasser - ist das Sendungsbewusstsein, ist es Überzeugung, dass unsere Autoren mithalten können, oder was hat Dich dazu bewogen, deutschsprachige Verfasser zu publizieren?

Ursprünglich habe ich nur Übersetzungen veröffentlicht, und hin und wieder kommen welche hinzu. „Nightwish“, „Amorphis“ oder der angesprochene „Walhalla“-Comic sind Übersetzungen aus dem Finnischen und Dänischen, ältere Titel wurden aus dem Englischen und Schwedischen übersetzt. Primär versuche ich jedoch, deutschsprachige Autoren zu veröffentlichen, weil wir einfach extrem Gute davon haben. Übersetzungen bilden eher die Ausnahmen, lassen sich aber nicht ganz vermeiden.

Anthologien verkaufen sich - gar nicht. Selbst die Kleinverlage haben Probleme, derartige Bücher an den Leser zu bringen - wie siehst Du das?

Gar nicht ist übertrieben, überdurchschnittlich schlecht trifft es besser… Im Ernst, bei mir laufen sie sehr bescheiden, andere Verlage haben da wohl mehr Erfolg. Oft decken sie gerade mal die Lektoratskosten ab, mehr auch nicht.

Man konnte lesen, dass gerade die inhabergeführten Verlage durch die Insolvenz von KNV und der Auslistung bei Libri stark gebeutelt wurden. Wie sieht es da bei Dir aus?

Durch KNV hab ich um die 15.000 Euro verloren, was natürlich ein tiefes Loch in die Kasse gerissen hat. Aber dank den weltbesten Autoren, die ich habe, konnte ich beide Krisen gut überstehen und sehe optimistisch in die Zukunft. Libri hat bei mir nur die Titel ausgelistet, die so oder so nicht viel verkauft wurden. Aus wirtschaftlicher Sicht kann ich diese Entscheidung nachvollziehen. Nur dass sie in ihrem System diese als nicht mehr verfügbar kennzeichnen, was dazu führt, dass sie für den Einzelhandel unsichtbar sind, ist nicht nachvollziehbar. KNV hat schon immer „schlecht“ verkäufliche Titel aus dem Programm genommen, aber für den Handel weiterhin sichtbar gehalten. So eine Handlung hätte ich mir von Libri auch gewünscht. Bei Fortsetzungsgeschichten verkauft sich der erste Teil immer am besten, jeder Nachfolgeband nur noch halb so gut wie sein Vorgänger, trotzdem hat Libri bei Trilogien teilweise den ersten Band aus dem Programm genommen und die Folgebände weiterhin gelistet. Welche Logik dahinter steckt, erschließt sich mir nicht.

Wie bringt Du deine Bücher unter die Leute – sprich, besuchst Du regelmäßig Messen, geht das über das Internet oder Mundpropaganda? Lohnt sich der Aufwand?

2019 waren wir auf sechzehn Messen und Cons, von denen drei sich nicht direkt gelohnt haben. Aber auf jeder Veranstaltung gewinnt man neue Kunden, wird man wahrgenommen, Kataloge werden verteilt und so weiter, dadurch allein lohnt sich jede Veranstaltung. Ansonsten wird viel Werbung gemacht („Orkus!“, „Sonic Seducer“, Gothic-Taschenkalender etc.), Blogger werden beliefert und viele Autoren organisieren selbst noch Einiges (Leserrunden, Lesungen und so weiter). Das alles zusammen bringt den nötigen Erfolg.

Für einen Kleinverlag produzierst Du erstaunlich dicke Bücher - lohnt sich das verlegerisch? Die kosten in der zeitaufwendigen Vorbereitungsphase und beim Druck viel, ohne dass Du den Buchpreis entsprechend anheben kannst, sonst geht wenig über den Ladentisch?

Bei den Romanen bergen die dicken Wälzer immer ein hohes Risiko, alleine schon durch die hohen Kosten im Vorfeld. Der Leser zahlt nicht gerne mehr nur weil ein Buch 600 bis 700 Seiten hat anstatt 300 Seiten. Bei Sachbüchern verkaufen sich dicke Bücher besser wie dünne zum niedrigeren Preis, da bergen sie kein Risiko. Das liegt daran, dass Sachbücher immer wieder zum Nachschlagen genutzt werden, während Romane fast immer nur einmal gelesen werden und der Leser für einmal Lesen nicht viel ausgeben mag.

Viele Dank, dass Du Dir für uns Zeit genommen hast. Wir wünschen Dir und Deinem Verlag alles Gute!