Dracula – Die Graphic Novel (Comic)

Bram Stoker (Original), Leah Moore & John Reppion (Adaption)
Dracula – Die Graphic Novel
(The Complete Dracula # 1-5, 2010)
Aus dem Amerikanischen von Joachim Körber
Titelillustration und Zeichnungen von Coulton Worley
Panini, 2010, Paperback mit Klappenbroschur, 180 Seiten, 19,95 EUR, ISBN 978-3-86201-014-1

Von Christel Scheja

Bram Stokers Roman „Dracula“ ist nicht nur einer der Standpfeiler des Horror-Genres, er prägte auch für Jahrzehnte das Bild des Vampirs und schuf den Archetypen des untoten transsylvanischen Grafen, der von nun an durch weitere Erzählungen, später auch Filme und andere Medien, geistern sollte. Allerdings wagt sich heute kaum einer mehr an das Originalwerk, das durch seinen Aufbau als Briefroman sehr schwer zu lesen ist und nicht die Action und Dramatik besitzt wie moderne Werke. Seine Figuren agieren eher distanziert viktorianisch und sind deswegen trotz des Einblicks in ihre Seelenwelt nicht so leicht zu fassen.

Mit ihrer Comic-Adaption versuchen Leah Moore und John Reppion genau diese Stimmung einzufangen. Zusammen mit dem Künstler Coulton Worley haben sie sich daran gemacht, die Geschichte möglichst genau wiederzugeben.

Alles beginnt mit der Reise des jungen Jonathan Harker in einen abgelegenen und wildromantischen Teil Rumäniens. Hier, im Herzen Transsylvaniens, soll er einem Grafen mehr von England berichten und ihn ein wenig von der britischen Lebensart lehren. Doch schon die Anreise wird von unheimlichen Begebenheiten begleitet, und bei seiner Ankunft trifft der Brite auf eine Atmosphäre von Furcht. Die einfachen Menschen haben vor etwas Angst, wollen ihm aber nicht sagen, vor was. Er ahnt nur, dass das mit seinem Gastgeber zusammenhängt. Auf dem Schloss angekommen gerät er in den Bannkreis des Grafen ohne es zu wollen und seinem Schicksal entkommen zu können. An Leib und Seele gebrochen kehrt er nach England heim.

Gleichzeitig landet ein Schiff in einem kleinen Badeort an der Südküste Englands an, an dem Jonathans Verlobte Mina und ihre Freundin Lucy Urlaub machen. Die Mannschaft ist verschwunden, nur der tote Kapitän befindet sich an Bord. Die Fracht besteht aus wertlosem Sand und Erde. Während die Menschen noch rätseln nimmt das Verhängnis seinen Lauf. Plötzlich beginnt die schöne und lebenslustige Lucy über Schwäche zu klagen, wird bleich und krank. Dr. Seward kann sich die plötzliche Erkrankung nicht erklären und bittet Abraham van Helsing, einen guten alten Freund um Hilfe...

Die Geschichte dürfte jedem in groben Zügen durch andere Adaptionen bekannt sein. Allerdings erlauben sich viele Filme und Comics, die im Roman eher ruhige und sperrige Geschichte durch Action und dramatische Abwandlungen aufzupeppen. Andere wieder picken sich nur kleine Teile aus dem Buch heraus. Genau das macht diese Adaption nicht. Sie verfolgt in statischen und eher illustrierenden Bildern die Handlung, so wie sie im Roman nachzulesen ist. Der Comic wird dadurch sehr textlastig, da es wenig Dialoge gibt, es gibt mehr erklärende Textboxen mit den entsprechenden Briefzitaten.

Die Lebenden stehen im Mittelpunkt von Bram Stokers Roman. Der Graf bleibt über weite Strecken – selbst am Anfang – eher schattenhaft und ist nicht zu greifen. Dafür erfährt man umso mehr von der Wirkung, die er auf Jonathan, Mina und Lucy hat. Die einzige Vampirin, die tatsächlich offen agieren darf, ist letztere. An ihr wird gezeigt, wie das Wüten eines Blutsaugers aussehen kann. Nicht einmal am Ende kommt es zu handfesten Auseinandersetzungen. Der Kampf gegen Dracula wird eher mit Wissen und einem starken Willen geführt, der Gemeinschaft von Männern und Mina als einziger Frau, die am Ende genau wissen, was sie wollen und das auf die Gefahr durchziehen, ihr eigenes Leben zu verlieren.

Auch wenn man durch die Briefe viel erfährt, bleiben sie wie im Original eher auf Distanz. Dennoch entwickelt die Graphic Novel durch die sorgfältig gestalteten Bilder und die klassische Erzählweise eine intensive Atmosphäre, die locker mit denen des Schauerromans mithalten kann. Am Ende ist man gleichermaßen erleichtert wie auch beeindruckt und zufrieden.

Daher sei „Dracula – Die Graphic Novel“ denjenigen Genrefans ans Herz gelegt, die ebenso stimmungsvolle wie werkgetreue Adaptionen von Klassikern schätzen, aber bisher nicht glauben wollten, dass dies auch im Comic gelingt. Dieser Band ist der Gegenbeweis.