Thomas Ziegler: Stimmen der Nacht (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Samstag, 30. August 2014 11:06
Thomas Ziegler
Stimmen der Nacht
Umschlaggestaltung: benswerk
Golkonda, 2014, Paperback mit Klappenbroschur, 194 Seiten, 16,90 EUR, ISBN 978-3-944720-43-2 (auch als eBook erhältlich)
Von Carsten Kuhr
Gut 40 Jahre ist es jetzt her, dass die erste Atombombe über dem Berliner Führerbunker abgeworfen wurde und die Weltmacht-Träume des kleinen Österreichers für immer unter sich begrub. Morgenthau sorgte mit seinem Plan dafür, dass das Gebiet des ehemaligen Deutschen Reiches geschliffen, all seiner Industrie und Zukunftsperspektiven beraubt wurde. Was zurückblieb, waren tote, menschenleere Städte und ein Bauernstaat, dessen Bewohner von der Hand in den Mund lebten. Die Nazis und die klügsten Köpfe der Arier wanderten nach Südamerika aus, gründeten dort Deutsch-Amerika. In der Andenfestung harrt Bormann auf den Endsieg.
Längst hat deutscher Erfindergeist die Welt erobert, sind Maschinen und Innovationen aus Deutsch-Südamerika aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken. Da werden die Konzentrationslager auf Feuerland gerne und schnell vergessen, zieht das wirtschaftlich wie politisch am Boden liegende Britannien seine Truppen vor Falkland nur allzu bereitwillig zurück.
Dann aber erheben die Toten ihre Stimmen. Zunächst ist es nur die Frau eines US-amerikanischen Fernsehmoderators, später erklingen im menschenleeren Köln die Stimmen von Goebbels, Himmler und des Führers und predigen einmal mehr die Weltherrschaft der Arier…
Thomas Ziegler (1956-2004) war ein Ausnahmetalent der deutschen SF. Mit seiner Phantasie prägte er die Heftserien „Die Terranauten“ und „Perry Rhodan“, seine viel zu wenigen eigenständigen Romane lesen sich auch heute noch aktuell und packend. So ist es kein Wunder, dass vorliegender Roman bereits zum dritten Mal (1984: Ullstein, 1993: Heyne) aufgelegt wird, zeigt er doch geradezu exemplarisch die Stärken des Autors auf.
Ich möchte behaupten, dass es kaum einen Autor gab oder gibt, der ein solches Buch hätte schreiben können.
Mit wortgewaltigen Bildern, mit Schreckensvisionen der besonderen Art und mit intelligentem Spiel des „Was wäre wenn“, berichtet er uns von einer Alternativwelt, in der die Nazis nicht nur überlebt, sondern selbst nach der Vernichtung ihres Führungskaders letztlich prosperiert haben.
Der Roman ist dabei erschreckend aktuell, thematisiert er doch überaus gekonnt und schonungslos eine schockierend realistische Vision, was hätte passieren können, wenn sich Morgenthau mit seinem Plan der Deindustrialisierung Deutschland durchgesetzt hätte. Phantastisch überspitzt zeigt er uns die Folgen für ein in diesem Fall verarmtes Europa ohne Aussöhnung auf, berichtet uns von tiefbraunen Rebellen und einer Welt am Rande der Vernichtung.
Das ist schockierend, aufrüttelnd und packend zugleich. Und was kann man über einen SF-Roman Besseres sagen.