Der Kartograph (Comic)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Montag, 13. Januar 2014 21:02
Jiro Taniguchi
Der Kartograph
(Furari, 2011)
Aus dem Japanischen von John Schmitt-Weigand
Carlsen, 2013, Paperback mit Klappenbroschur, 216 Seiten, 16,00 EUR, ISBN 978-3-551-75102-7
Von Irene Salzmann
Obwohl er bereits pensioniert wurde, arbeitet Ino Tadataka immer noch und das oft sogar auf eigene Rechnung: Er geht viel spazieren, zählt dabei seine Schritte und erfindet Hilfsmittel, die zu einem gleichmäßigen Schritt und einheitlichen Zählmaß beitragen, um Edo (Tokyo) und Japan zu vermessen und kartographisch zu erfassen. Auf seinen Wegen beobachtet er die Natur und die Menschen und erfreut sich an den mitunter selbstverständlich erscheinenden Dingen, die das Leben lebenswert machen.
Ino Tadataka ist eine historisch belegte Persönlichkeit. Geboren wurde er am 11. Februar 1745 in Kozeki, Provinz Kazusa, und starb am 17. Mai 1818 in Edo. Als Sohn eines Fischers erfuhr er einen deutlichen sozialen Aufstieg durch seine Heirat und die Adoption durch die Familie seiner ersten Frau. Als Kaufmann gelangte er zu einigem Wohlstand und konnte es sich erlauben, sich aus dem Geschäft zurückzuziehen und westliche Astronomie, Mathematik und Geographie zu studieren. Der Shogun erteilte Ino Tadataka die Erlaubnis, Japan zu bereisen und zu vermessen. Sein Lebenswerk, die erste vollständige kartographische Erfassung des Landes, wurde nach seinem Tod von seinen Mitarbeitern vollendet und 1821 veröffentlicht.
Jiro Taniguchi („Die Sicht der Dinge“, „Vertraute Fremde“, „Der spazierende Mann“ und so weiter) konzentriert sich in „Der Kartograph“ auf die spätere Phase von Ino Tadatakas Leben, während der er Edo kartographisch erfasst und bevor er freudig dem Auftrag des Shoguns folgt, ganz Japan zu vermessen.
Der Leser darf an den Gedanken des Protagonisten teilhaben, der sich ernsthaft mit seiner Aufgabe beschäftigt und regelmäßig über das Problem des ungleichmäßigen Schrittes und mit welchen Mitteln man sich behelfen kann, um sich beim Messen der Perfektion zu nähern, sinniert. Ab und zu hält „Der Kartograph“ inne, um Edo zu betrachten: die geschäftigen Arbeiter, schöne Frauen in Festtagsgewändern, die blühenden Kirschbäume. Er nimmt sich auch Zeit, um etwas zu essen und zu trinken und mit den Menschen, darunter andere Persönlichkeiten, zu sprechen.
Auf unaufdringliche und unspektakuläre Weise zeichnet Jiro Taniguchi ein realistisches, beeindruckendes Bild von Edo im frühen 19. Jahrhundert. Obwohl es keine besonderen Ereignisse gibt, die für Spannung oder dramatische Entwicklungen sorgen, folgt man den Spaziergängen neugierig und gewinnt so einen Eindruck vom damaligen Leben in den besser situierten Vierteln.
Die Illustrationen sind detailreich und wirklichkeitsnah und setzen die Geschichte gelungen um.
Wie auch die anderen Gekigas/Graphic Novels aus der Feder von Jiro Taniguchi ist dieser Titel an ein reiferes Publikum adressiert, das auf billige Effekthascherei gern verzichtet und der seriösen Unterhaltung den Vorzug gibt. „Der Kartograph“ erzählt ein Stück im Westen wenig bekannte japanische Geschichte und gewährt einen Blick in das Leben der Menschen vor rund zweihundert Jahren – und das in ansprechenden, dem Ukyo-e-Stil angelehnten Zeichnungen.