Bruce J. Hawker Gesamtausgabe 1 (Comic)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Sonntag, 29. Dezember 2013 20:01
Bruce J. Hawker Gesamtausgabe 1
(Bruce J. Hawker: L'integrale 1)
Text & Zeichnungen: William Vance
Übersetzung: Tanja Krämling
Splitter, 2013, Hardcover, 192 Seiten, 34,80 EUR, ISBN 978-3-86869-608-0
Von Frank Drehmel
Der im September 1935 in Anderlecht geborene William van Cutsem alias William Vance gehört zu den Granden des frankobelgischen Comics, sind doch „Bruno Brazil“, „Bob Morane“ und „XIII“ mit seinem Namen verbunden. Mit „Bruce J. Hawker“ entwickelt Vance Mitte der 70er Jahre eine Serie, die einerseits seinem grundsätzlichen Interesse an maritimen Themen und Abenteuern entgegenkommt und in der er anderseits seine auf umfangreichen Hintergrundrecherchen basierende Arbeitsweise vervollkommnen kann.
Der erste Sammelband der zweibändigen Gesamtausgabe enthält die vier Abenteuer „In den Tiefen der HMS Thunder“ („Les entrailles du H.M.S. Thunder: La ruche infernale“), „Kurs auf Gibraltar“ („Cap sur Gibraltar“), „Die Orgie der Verdammten“ „(L'orgie des damnés“) sowie „Press Gang“ („Press gang)“, die zwischen 1976 und 1985 erschienen sind. Die Handlung der einzelnen Alben baut aufeinander auf und nimmt ihren Anfang Ende des 17. Jahrhunderts unweit der Meerenge von Gibraltar in den Gewässern vor Algeciras.
Das englische Schlachtschiff „HMS Thunder“, das unter der Flagge der Weißen Flotte der Royal Navy kreuzt, gehört mit einer Bewaffnung von 104 Kanonen und 865 Mann Besatzung zum Stolz der Kriegsmarine. Einer der vielen „Namenlosen“, die auf den Kanonendecks des Dreideckers in ständiger Dämmerung, in Schmutz und Enge und unter dem Terrorregime der Offiziere dem nächsten Seegefecht entgegen fiebern, ist der junge Bruce J. Hawker. Als die „HMS Thunder“ eine spanische Fregatte sowie zwei Begleitschiffe aufbringt, ergreift er die Gelegenheit, sich zu bewähren.
Im Januar 1800 erhält Bruce J.Hawker im Alter von kaum zwanzig Jahren, nachdem er sich in der Schlacht von Abukir weitere Meriten verdienen konnte, erstmalig den Befehl über ein eigenes Kriegsschiff, die „Lark“. Sein Auftrag lautet, zwei Frachtschiffe von London nach Gibraltar zu eskortieren, welche Waffen und Munition für den dortigen Mittelmeerstützpunkt der Engländer transportieren. Zwar besteht die Mannschaft der „Lark“ aus Freiwilligen und damit guten Leuten, jedoch zeigte sich die Admiralität bei der Bestückung mit Kanonen umso geiziger, sodass der Großteil der Geschütze alt oder defekt ist. Als der kleine Konvoi Dover passiert, erhält Kapitän Hawker eine kurze Depesche, in der er nicht nur daraufhin gewiesen wird, dass vor der Küste des Golfs von Cadiz ein spanischer Flottenverband kreuzt, sondern auch darüber informiert wird, dass eins der beiden Frachtschiffe eine Geheimwaffe befördert. Zudem wird ihm klar gemacht, dass ein Scheitern der Mission seine Degradierung nach sich ziehen wird.
Es kommt, wie es kommen muss: die Mission endet in einem Desaster. Schiffe und Waffe fallen den Spaniern in die Hände, Hawker und einige Offiziere geraten in Gefangenschaft. Während die Gefangenen in den Kerkern von Cadiz die Folter erwartet, trifft vor Ort eine Weisung ein, sie auf eine Galeere zu verlegen, und das, obgleich sie englische Offiziere sind. So verbringt man sie zunächst zur Festung El Ferrol, wo sie nochmals verhört werden, um sie anschließend per Schiff zur ihrem endgültigen Ziel zu transportieren. Für die Gefangenen bedeutet dieser Transport die letzte Gelegenheit zu Flucht. Und in der Tat gelingt es ihnen, eine Meuterei zu inszenieren und an Bord des Transportschiffe Chaos zu entfachen, in dessen Verlauf sie mit einem Beiboot entkommen.
Als sie schließlich von einer englischen Fregatte aus der tosenden See gerettet werden, gerät Hawker vom Regen in die Traufe, da man ihn aufgrund des Scheiterns der Mission und des Verlustes der „Lark“ nun des Hochverrats bezichtigt und ihn an Bord unter Arrest stellt. Zurück in London wird der junge Offizier infolge seines Scheiterns nicht nur gesellschaftlich geächtet, sondern auch seine Verlobte sagt sich von ihm los. Rückhalt findet Bruce bei der schönen Andalusierin Rawena, der er hilft, ihren neunjährigen Bruder gegen die Press Gang zu verteidigen, rücksichtslosen Männern, die im Auftrag der Krone selbst Kinder für den harten Dienst auf Kriegsschiffen des Empires zwangsrekrutieren. Allerdings bringt ihn dieses Tat in Konflikt mit den brutalsten Männern seiner Majestät und führt ihn schließlich dorthin zurück, wo alles begann: auf die Kanonendecks der „HMS Thunder“.
Wer bei der Lektüre von „Bruce J. Hawker“ Seefahrerseligkeit, Abenteuerromantik und pittoreske Sonnenuntergänge erwartet, wird schon auf Seite 2 jeglicher Illusionen beraubt, denn William Vance hat sich Authentizität auf die Fahne geschrieben. Und diese Authentizität transportieren Texte wie Bilder gleichermaßen: den Terror und die Willkür der Offiziere, Dunkelheit und Schmutz auf den überfüllten, engen Decks, den Kampf ums nackte Überleben im Gefecht und schlussendlich den dreckigen Tod. Die Zeichnungen sind von einer Rauheit, Härte und Intensität und zugleich voller Details, die einen den Pulverdampf, den Schweiß, das Bersten der Planken, die Schreie der Sterbenden, das Tosen eines Sturms auf offener See und das Peitschen des Regens an Land geradezu körperlich miterleben lässt. Vance Bilder gehören damit zu den eindringlichsten und stimmigsten des gesamten Genres. Entsprechendes gilt für die schnörkellosen Texte, die mit zahlreichen militärischen und marinetechnischen Begriffen angereichert sind, welche jeweils in Fußnoten kurz und bündig übersetzt werden und die einem im Laufe der Handlung in Fleisch und Blut übergehen.
Bedauerlicherweise geht über die Authentizität, den Detailreichtum und die historische Genauigkeit die Plausibilität des großen Handlungsbogens über die Planke, denn wie man es dreht und wendet, die Degradierung und die gesellschaftliche Ächtung infolge einer Mission, die von vorneherein zum Scheitern verurteilt ist, ist zumindest erklärungsbedürftig – Stichwort: Bauernopfer – und diese Erklärung erfolgt nicht.
Ein umfangreicher redaktioneller Teil, der zwar äußerst ansprechend layoutet ist, dem es aber inhaltlich an Struktur und Verve mangelt, runden diesen hervorragend edierten Sammelband ab.
Fazit: Eine etwas weiche Geschichte vor einem knallharten, hochauthentischen Hintergrund, der nicht das Geringste mit Seefahrerromantik und episch überzeichneten Seeschlachten zu tun hat, sondern der sich durch Schmutz und Tod auszeichnet.