Sarah Stoffers: Wainwood House – Rachels Geheimnis (Buch)

Sarah Stoffers
Wainwood House – Rachels Geheimnis
cbj, 2013, Hardcover, 528 Seiten, 16,99 EUR, ISBN 978-3-570-15759-6 (auch als eBook erhältlich)

Von Irene Salzmann

Nachdem die 16jährige Jane Swain ihre Eltern, ein Archäologen-Paar, bei einem tragischen Unfall in Ägypten verloren hat – so heißt es zumindest –, wird sie von Colonel Thaddeus Feltham nach Wainwood House geschickt, wo sich Charles Goodall Earl of Derrington und seine Familie um das mittellose Mädchen kümmern sollen. Obwohl der Earl wenig begeistert von dieser Bitte seines Schwagers ist, erlaubt er Jane zu bleiben und an die Stelle des Hausmädchens zu treten, das vor kurzem kündigte.

Für Jane beginnt eine harte Zeit, denn sie ist für diese Aufgabe überhaupt nicht qualifiziert, und das übrige Personal begegnet ihr voller Misstrauen und Ablehnung. Allein in Samuel Kingston, dem zweiten Hausdiener, und später in Hanna Baker, dem zweiten Hausmädchen, mit der sie das Zimmer teilt, findet sie Freunde. Diese hat sie auch bitter nötig, denn ein Unbekannter, der eine Horus-Maske trägt, schleicht sich in das Haus, offenbar auf der Suche nach etwas – oder nach Jane.

Penelope Goodall, die jüngere Tochter des Earls, und sein Mündel Julian Rushforth erfahren durch mehr oder minder zufällig belauschte Gespräche und den Brief des Colonels, dass Jane ein gefährliches Geheimnis hütet, welches offenbar bereits zum Tod einer gewissen Rachel führte, die sich als Schwester des Earls und Frau des Colonels entpuppt. Dass Penelope und Julian Nachforschungen anstellen, wird von Claire, der älteren Tochter, verraten, woraufhin der Earl Penelope zusammen mit Jane zu einer Verwandten und Julian mit dem Colonel nach London schickt, um die drei vor den Unbekannten zu schützen.

Die jungen Leute geben jedoch nicht so schnell auf und stoßen schon bald auf neue, rätselhafte Hinweise…

Die Handlung ist im England des frühen 20. Jahrhunderts angesiedelt, als die Begeisterung für alles, was aus Ägypten stammte, groß war. Die nach-viktorianische Gesellschaft befand sich im Umbruch. Während sich der Adel noch an seine Privilegien klammerte, gewannen reiche Kaufleute zunehmend an Macht und Einfluss. Das einfache Volk diente seinen Herrschaften oder fand Arbeit in den Fabriken. In den besseren Gegenden gab es Gaslicht und fließendes Wasser, das Automobil ersetzte allmählich die Kutsche. Der in „Wainwood Hose“ geschilderte Hintergrund erinnert an Filme und Serien/Bücher wie „Das Haus der Lady Alquist“, „Das Haus am Eaton Place“, „Forsyte Saga“ etc.

Sarah Stoffers gelingt es, ihre Leser sofort zu fesseln und in die Handlung hineinzuziehen. Nimmt man zu Beginn noch an, Jane Swain stünde im Mittelpunkt der Geschehnisse, so sieht man sich einige Seiten weiter eines Besseren belehrt, wenngleich sie in gewisser Weise Dreh- und Angelpunkt bleibt. Fast nahtlos wird innerhalb der Kapitel zu den weiteren Handlungsträgern umgeschaltet: Penelope Goodall, Julian Rushforth, Samuel Kingston, Ruben Crockford Lord Nyles, den Claire Goodall für einen geeigneten Heiratskandidaten hält, und auch Maurice Blythe, ein Schulfreund von Julian, gibt Impulse.

Die erwachsenen Charaktere erfüllen ihre Rollen als Geheimnisträger, Mahner und Beschützer oder auch als Nervensägen – schließlich ist der Titel in erster Linie an ein Publikum zwischen 12 und 16 Jahre adressiert. Da jedoch die jungen Protagonisten durch die gesellschaftlichen Konventionen früh erwachsen werden mussten, wirken sie nicht gar so kindlich wie Figuren im gleichen Alter in anderen Jugendbüchern, so dass auch die reifere Leserschaft gern Anteil an den nachvollziehbaren Sorgen und Freuden der Akteure nimmt.

Vordergründig schildert die Autorin eine spannende Krimi-Handlung. Nicht minder interessant beschreibt sie die strikt getrennten Lebensbereiche der Herrschaft und der Dienstboten. Während der Adel scheinbar ein glamouröses, sorgenfreies Leben führt und sich um nichts anderes als Bälle und Fuchsjagden kümmern muss, rackert sich die Dienerschaft für eine geringe Entlohnung ab und ist dabei noch stolz auf die jeweilige Position, die der Einzelne in einem angesehen Haus innehat. Hinter dieser Fassade sieht es jedoch anders aus: Beispielsweise wünscht sich Penelope die Freiheiten, die nur Männern zustehen, denn sie würde gern Forschungsreisen unternehmen und nicht als die zweite Tochter des Earl of Derrington irgendeinem adligen Notkandidaten in den Rachen geworfen werden. Julian sollte ursprünglich den Titel und Besitz des Earls erben, doch wurde diesem spät ein eigener Sohn geboren, sodass dem Mündel bloß die Wahl zwischen einer Karriere beim Militär und der Laufbahn eines Geistlichen bleibt, denn Arbeiten ist beim Adel verpönt. Samuel ist zwar der perfekte Hausdiener, doch war diese Anstellung nie sein Traum; leider erfährt man nichts über seine tatsächlichen Ambitionen. Ruben schlägt regelmäßig über die Stränge und hofft, sich dadurch seinen gesellschaftlichen Verpflichtungen noch eine Weile entziehen und Abenteuer erleben zu können. Maurice ist der Einzige, der konkrete Zukunftspläne schmiedet, da er als Zweitgeborener kein Erbe zu erwarten hat und aufgrund seiner Position einen Platz in der Politik anstrebt.

Es geht aber noch eine Ebene tiefer, denn Julian, Maurice und Samuel hüten ein Geheimnis, das sie, öffentlich gemacht, ins Gefängnis bringen könnte und das mit ein Grund ist, warum sie ihr Leben gern in die eigenen Hände nehmen möchten. Die durch entsprechende Lektüren, insbesondere aus dem Manga-Bereich, sensibilisierte Leserin ahnt sehr schnell, worum es geht und dass nicht die romantischen Beziehungen zustande kommen, die aufgrund der Konventionen vorprogrammiert scheinen.

Tatsächlich wartet das Buch mit so manchen Überraschungen auf, wodurch das Rätsel um Rachel und Jane fast schon untergeht und am Ende etwas zu knapp gelöst und aufbereitet wird. Dennoch fühlt man sich bestens unterhalten und legt „Wainwood House“ erst aus der Hand, nachdem man die letzte Seite gelesen hat.