Mel Odom: Die Halblinge (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Samstag, 26. Oktober 2013 09:15
Mel Odom
Die Halblinge
(The Rover)
Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Hans Link
Titelillustration von Isabelle Hirtz
Blanvalet2013, Taschenbuch, 605 Seiten, 9,99 EUR, ISBN 978-3-442-26964-8 (auch als eBook erhältlich)
Von Carsten Kuhr
Die Mär von einem der auszog, das Abenteuer zu suchen. Gestatten, dass ich Ihnen einen der ungewöhnlichsten Helden der Fantasy vorstelle? Edeltocht Lampenzünder, genannt Tocht, Bibliothekar dritten Ranges im „Gewölbe Allen Bekannten Wissens“ von Graudämmermoor, ein echter Halbling.
Nun ist es allgemein bekannt, dass die kleingewachsenen Halblinge keine Schuhe tragen, einer Pfeife nie abgeneigt sind, und essen können wie ein Scheunendrescher, aber dass sie abenteuerlustig seien, davon hat man, abgesehen von den doch etwas merkwürdigen Beutlins noch nie gehört. Und wirklich ist unser Tocht gar nicht sonderlich aus der Art geschlagen. Seit Jahren nun geht er aufopfernd und pflichtbewusst tagsüber seiner Tätigkeit als Bibliothekar nach. Des Nachts aber schwelgt er über entwendeten Abenteuerschinken, verfolgt gebannt die Kämpfe und Fährnisse seiner imaginären Helden.
Eines Tages, nicht Böses ahnend, schlägt das Schicksal gar erbarmungslos und recht schmerzhaft zu. Nachdem sein Kopf die Bekanntschaft mit einer recht robusten Keule gemacht hat, wacht er an Bord eines Schiffes auf. Schlimmer noch, er findet sich in der achso liebreizenden Gesellschaft von Piraten wieder. Tja, da steht er nun, mitten in der raubeinigen Gesellschaft zwergischer Piraten. Jetzt heißt es, Durchsetzungskraft und Initiative zu beweisen, und mit Feuereifer macht sich Tocht ans – Kartoffelschälen.
Doch nur zu bald ist es vorbei mit dem ungeliebten Kombüsendienst; Stürme, Meeresungeheuer, eine Loheley und Kobolde machen ihm und der Crew der Einäugigen Peggie das Leben schwer. Immer wieder aber erweisen sich seine angelesenen Weisheiten als letzte Rettung aus größter Gefahr.
Doch als gleich zwei Piratenschiffe der Kobolde die Peggie angreifen, ist das Schicksal des stolzen Schiffes besiegelt. Um seine Kameraden vor dem sicheren Tod zu bewahren, beweist Tocht echte Größe. Freiwillig liefert er sich den Kobolden aus und wird als Sklave in die vor Jahrtausenden zerstörte Metropole Traum verfrachtet. Noch bevor er in der Arena der Kobolde als Bestienfutter verheizt werden kann, erwirbt ein Renegat unseren wackeren Halbling. Brant und seine Bande suchen als freie Diebe die Heimstatt der Kobold-Armee heim. Gejagt von Kobolden und purpurnen Roben gelingt es Tocht, vier geheimnisvolle Bücher aus dem Mausoleum eines Zauberers an sich zu bringen, die vergessenen Zwergminen unter dem Vulkangebirge zu entdecken und ihre Flucht zu bewerkstelligen. Obwohl unser Halbling dabei weit über sich selbst hinauswächst, meint das Schicksal es nicht gut mit unserer Heldentruppe, denn dummerweise führt ihre Fluchtroute direkt durch den Hort eines Drachen, nein des Drachen, des Königsdrachen. Und man weiß ja, mit welcher Inbrunst und welcher Habgier die Lindwürmer ihre in Jahrzehntausenden gehorteten Schätze vor ungebetenen Besuchern zu schützen wissen…
„Fantasie ist, wie ich bei mehr als einer Gelegenheit ausführlich erläutert habe, nicht mehr und nicht weniger als die Vermählung der Unkenntnis mit der allzu ungeduldigen Leidenschaft.“ (S. 19)
Der 1957 in California geborene Mel Odom ist einer der Vielschreiber der US-amerikanischen Szene. Dabei hat er sich auf Bücher zu Filmen wie „Blade“ und zu erfolgreichen TV-Serien wie „Buffy“, „Sabrina“ und „Angel“ spezialisiert, fühlt sich aber auch im „BattleTech“-Universum und bei „Diabolo“ zu Hause. Insofern macht ich mich mit einigen Ressentiments an die Lektüre dieses, 2002 mit dem Alex Award ausgezeichneten Buchs, dem der Autor zwischenzeitlich drei Fortsetzungen hat folgen lassen. Angesichts der Zeit, die seit der Originalveröffentlichung vergangen ist, schien das Werk sich für eine Herausgabe bislang zumindest nicht unbedingt aufgedrängt zu haben.
Das Gebotene hält sich dann auch ziemlich strikt an das Rezeptbuch „Wie verfasse ich einen erfolgreichen Fantasy-Roman“. Man nehme einen Underdog, eine Figur, die das Mitleid der Leser erweckt, und gibt diesem die Gelegenheit, sich seiner Stärken bewusst zu werden und sich in der rauen Welt zu beweisen. Das ist die Geschichte von Aschenputtel zur Prinzessin mit anderen Vorzeichen. Hier müsste es heißen, vom Stubenhocker zum Helden. Um die Leser bei Laune zu halten, greifen wir dann tief in den Topf der beliebtesten Topics: Piraten müssen her, Stürme und Meeresungeheuer, verfluchte Geister, dazu der Sklavenkragen und ein charismatischer Robin Hood der Diebe. Angereichert durch uralte Geheimnisse, Elfenmaiden, die aus großer Not zu retten sind, Zwerge und Kobolde, stürmt unsere Handlung voller Elan voran. Das ist beliebe nicht eben neu oder innovativ, aber das sind die Wenigsten der Völker-Romane, die uns die Verlage beinnahe jeden Monat kredenzen.
Weder die Charakterisierung noch die Weltenschöpfung hält als sonderlich Erwähnenswertes für den Leser bereit. Aber, und darauf kommt es letztlich an, die Mischung stimmt. So teilweise abgedroschen die Versatzstücke, aus denen sich die Handlung zusammensetzt, auch sind, das Gesamtwerk liest sich flüssig und spannend in einem Rutsch durch. Routiniert, zwar nicht eben stilistisch glanzvoll aber doch gefällig, entführt uns der Autor in eine Welt, in der sich der Leser wohlfühlt. Man kann sich bequem in seinem Sessel zurücklehnen und sich der Action öffnen, man kann hineintauchen in die Abenteuer eines sympathisch gezeichneten Helden, der eigentlich keiner sein will.
Das ist dann das Pfund, mit dem Odom wuchert. Er bietet seinen Lesern Fantasy, wie sie sie kennen und schätzen, streut aber genügend eigene Elemente und Entwicklungen ein, um die Handlung über die gesamte Länge des Bandes interessant und spannend zu halten. Das hat keine große Aussage, keine literarische Qualität, ist aber die ideale Ferien- und Feiertagslektüre zum Entspannen und um dem tristen Herbstwetter zu entfliehen. Gerade auch im Vergleich zu einigen der Völker-Titel, die bei den Konkurrenten in den letzten Jahren erschienen sind, schlägt sich unser Halbling gar nicht mal so schlecht!