Aprilynne Pike: Der Kuss der Göttin (Buch)

Aprilynne Pike
Der Kuss der Göttin
Tavia 1
(Earthbound, 2013)
Aus dem Amerikanischen von Karen Gerwig
cbj, 2013, Hardcover, 414 Seiten, 16,99 EUR, ISBN 978-3-570-15618-6 (auch als eBook erhältlich)

Irene Salzmann

Tavia ist die einzige Überlebende eines Flugzeugabsturzes, dem auch ihre Eltern zum Opfer fielen. Nach zahlreichen OPs kann sie endlich wieder ein normales Leben führen; zum Glück blieb kaum etwas zurück. Um sie vor den neugierigen Medien abzuschirmen, holten Tante Reese und Onkel Jay sie zu sich und in eine andere Stadt. Tatsächlich ist es Tavia ganz recht, alles hinter sich lassen zu können, ihr Trauma durch Sitzungen bei der Psychologin Elizabeth zu verarbeiten und ihren Abschluss an einer Fernschule zu machen. Ihr Ziel, an einer renommierten Universität Kunst zu studieren, hat sie aufgegeben, ebenso das Zeichnen – denn dieser harmlose Wunsch hat Tavia alles genommen.

Allmählich findet die Jugendliche wieder zu sich. Die Verwandten sind nett, und der Student Benson, den sie in der Bibliothek kennengelernt hat, zeigt viel Verständnis für ihre Probleme, so viel, dass sie sich in ihn verliebt, obwohl es angeblich jemanden gibt, dem sein Herz gehört. Ihre Gefühle für ihn geraten ins Wanken, als ihr der attraktive Quinn begegnet. Sie sieht ihn erstmals vor einem alten Haus in historischen Gewändern. Danach taucht er immer wieder auf und spricht sie schließlich an. Allerdings sind diese Unterhaltungen seltsam, und so unerwartet wie er auftaucht, verschwindet er stets wieder.

Tavia weiß nicht, was sie davon halten soll. Ist Quinn ein gefährlicher Stalker? Weshalb verursacht er ihr solches Herzklopfen, dass sie in seiner Gegenwart sogar Benson vergisst? Und wer ist der Mann mit der Sonnenbrille, der sie beobachtet? Aber es kommt noch schlimmer: Plötzlich hat Tavia Visionen und kann Dinge aus dem Nichts erschaffen. Sie vertraut sich Benson und Elizabeth an, die Näheres erfahren wollen. Zufällig belauscht sie ein Telefonat zwischen der Psychologin und Reece, das sie in Panik versetzt. In ihrer Not flieht sie zu Benson.

Damit beginnt eine abenteuerliche Flucht. Mehrmals geraten die beiden in Lebensgefahr und können nur knapp einiger Anschläge und der Gefangennahme entkommen. Auch Quinn lässt sich wieder blicken, doch was er zu erzählen und zu zeigen hat, ist schier unglaublich. Wem kann Tavia wirklich vertrauen, nachdem sie wieder und wieder belogen wurde?

„Der Kuss der Göttin“ ist der Auftaktband zu einer neuen Fantasy-Serie von Aprilynne Pike. Waren zunächst die Elfen an der Reihe, so greift die Autorin nun ein anderes beliebtes Thema auf, das hier nicht benannt werden soll, da für den Leser sonst kaum noch Überraschungen bleiben. Es macht viel mehr Spaß, zusammen mit Hauptfigur Tavia die Puzzlestücke zusammenzutragen und zu rätseln, bis sich das Bild zu vervollkommnen beginnt.

Tatsächlich ist nichts so, wie es auf den ersten Blick hin scheint. Wann immer Tavia glaubt, der Wahrheit auf der Spur zu sein, passiert etwas, wodurch alle Vermutungen zunichte gemacht werden. Es sieht auch ganz so aus, als ob scheinbare Zufälle keine wären und jene, denen das Mädchen vertraut, ein böses Spiel mit ihr trieben. Oder auch nicht. Jedenfalls gibt es mehrere Personen, die unterschiedliche Absichten verfolgen, und Tavia auf ihre Seite beziehungsweise in ihre Gewalt bringen wollen. Einige von ihnen schrecken selbst vor Mord (an Unbeteiligten) nicht zurück.

Vor diesem Hintergrund lernt man Tavia als eine recht distanziert wirkende Jugendliche kennen, die immer noch unter dem Trauma des Flugzeugabsturzes und dem Verlust der Eltern leidet. Schon bald muss sie sich weiteren Problemen stellen, die das Bisherige noch in den Schatten stellen. Plötzlich wird sie gejagt, muss um ihr Leben fürchten und über sich hinauswachsen, um das Schicksal, das man ihr und Quinn zugedacht hat, abzuwenden.

Der Band endet relativ abgeschlossen, beantwortet aber nicht alle Fragen. Die Weichen für die Fortsetzung sind gestellt. Ob es zu einer Dreiecksbeziehung kommen wird und ob Tavia bald jene ausschalten kann, die ihr und den Menschen, die sie liebt, schlimmste Dinge angetan haben, bleibt abzuwarten.

Die Autorin schreibt flüssig und unterhaltsam und bietet ihrem Publikum – Mädchen ab 12 Jahre – fantastischen Stoff zum Träumen und Mitfiebern. War man bereits von ihrer vierteiligen „Elfen“-Serie angetan, wird man gewiss auch dieser Reihe gern eine Chance geben. Eine etwas andere Heldin, eine neue Problematik: Man darf gespannt sein, wie sich die „Tavia“-Reihe entwickelt.