Mark Hodder: Der wundersame Fall des Uhrwerkmannes(Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Mittwoch, 28. August 2013 10:00

Mark Hodder
Der wundersame Fall des Uhrwerkmannes
(The Curious Case of the Clockwork Man)
Aus dem Englischen übersetzt von Michael Krug
Titelillustration von Jon Sullivan
Bastei Lübbe, 2013, Paperback mit Klappenbroschur, 522 Seiten, 15,00 EUR, ISBN 978-3-404-20730-5 (auch als eBook erhältlich)
Von Carsten Kuhr
Die Welt, wie wir sie aus dem Geschichtsunterricht kennen, hat sich verändert. Wegen eines Zeitreisenden, der in die viktorianische Ära zurückreiste, nimmt die bekannte Geschichte eine neue, eine andere Wendung. Eugeniker und Technokraten liefern sich ein Wettrennen darin, die Welt und ihre Bewohner zu verbessern, mediale Begabungen und Astralenergien werden Realität und der Erste Weltkrieg droht weit früher als bekannt auszubrechen.
Auch das Leben von Sir Richard Francis Burton, der Mann der die Quelle des Nils entdecken wollte, hat sich seit seinem Abenteuer um den kuriosen Fall des Spring Heeled Jack gewandelt. Als Forscher und Wissenschaftler verleumdet, ja kaltgestellt ist er, neben seiner publizistischen Tätigkeit, mittlerweile als Agent des Königs und des Premierministers tätig. Zusammen mit seinem trink- und dirnenfreudigen Freund, dem Dichter Swinburne, ist es einmal mehr an ihm, das Empire vor dem Untergang zu retten.
Alles beginnt damit, dass überall in London Uhren stehenbleiben und die Abzüge von Pistolen und Gewehren nicht mehr funktionieren. Als mitten auf einem Platz ein künstlicher Messingmann gefunden wird, ist es für Burton offensichtlich, dass ein Verbrechen verübt wird. Aus dem verschlossenen Tresor eines Juweliers werden Diamanten und Edelsteine entwendet. Doch die Agenten des dampfbetriebenen Ingenieurs Brunel, der hinter dem Verbrechen steckt, waren zu spät dran – die schwarzen Diamanten waren schon vorher aus dem geschlossenen Tresor entwendet worden. Wie, warum und von wem, das ist die Frage.
Kurz darauf beschäftigt ein Erbstreit die britische Öffentlichkeit. Seit Jahren war Sir Roger Tichborne verschollen, nun meldet er seine Erbansprüche an. Handelt es sich um einen Hochstapler – hat doch der aufgetauchte Tichborne keinerlei Ähnlichkeit mit dem Verschollenen –, und wenn ja, warum beschwören selbst altgediente Diener der Familie seine Existenz? Und was hat es mit dem Fluch der Tichborns und dem Gerücht, dass einer ihrer Vorfahren in Südamerika einen riesigen schwarzen Diamanten gefunden hat, auf sich?
Schwarze Diamanten – war da nicht etwas? Richtig, der Diebstahl aus einem verschlossenen Tresor. Die Spuren führen zu einer russischen Wahrsagerin, die einen Aufstand der Proletarier anstiften will – und zur Heimsuchung der britischen Hauptstadt durch Geister und belebte Leichen...
Die Steampunk-Welle, deren Werke im deutschen Sprachraum nie so beliebt war wie im angloamerikanischen, ebbt langsam ab. Dabei sind die Gedankenspiele – was wäre wenn – in Verbindung mit dampfbetrieben Erfindungen inhaltlich doch reizvoll und bergen Potential für mannigfaltige Spannung. Wenn dann noch ein literarisches Schwergewicht wie Michael Moorcock eine Reihe derartiger Bücher lobt, dann kann man gewiss sein, dass ein besonderer Lesegenuss auf einen wartet.
Mark Hodder hat es sich dabei nicht unbedingt einfach gemacht. Zum einen baut er seine Handlung um den Forscher und britischen Gentleman Sir Richard Burton um eine historische Figur herum auf, recherchiert Begebenheiten, Verhaltensweisen und Ortschaften minutiös, und fügt dem dann seine ganz eigene Mär hinzu. Herausgekommen ist, nach dem fulminanten Debütroman, erneut ein fesselndes Werk, das den Leser zudem noch mit philosophisch angehauchten Fragen konfrontiert.
Natürlich darf der große Konflikt des britischen Empires mit dem von Bismarck geeinten Deutschen Reich im Hintergrund nicht fehlen, wobei Hodder den Briten die dampfbetriebenen Erfindungen überlässt, während sich die Teutonen mit biologisch aufgerüsteten Wesen und Ideen brüsten (gerade andersherum als dies Scott Westerfeld in seiner „Leviathan“-Trilogie angelegt hat).
Hinzugefügt hat er nicht nur das Rätsel um einen verschollenen Adeligen sowie den längst überfälligen Aufstand des geknechteten Proletariats gegen den herrschenden Adel, sondern auch Seancen, Geister und Astralkörper, die eine beklemmende Realität in und um London annehmen.
Das ist überkandidelt, verrückt und so manches Mal in sich selbst unlogisch – aber herrlich packend und spannend zu lesen. Gerade weil der Autor seine Handlung auf eine sorgfältig recherchierte und ausgearbeitete Bühne stellt, wirken die übernatürlichen Beimischungen nicht wie ein Fremdkörper, sondern fügen sich nahtlos in das faszinierende Bild ein. Verbunden mit den faszinierenden Charakteren erwartet einmal mehr eine Tour deForce den Leser, die bestens unterhält und Appetit auf mehr macht.