Chuck Wending: Blackbirds (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Samstag, 25. Mai 2013 17:06

Chuck Wending
Blackbirds
Aus dem Amerikanischen von Axel Franken
Titelgestaltung von Tanja Østlyngen unter Verwendung einer Illustration von Joey Hi-Fi
Bastei Lübbe, 2013, Paperback mit Klappenbroschur, 304 Seiten, 12,00 EUR, ISBN 978-3-404-20710-7 (auch als eBook erhältlich)
Von Irene Salzmann
Miriam ist Anfang 20, zieht von Motel zu Motel und hat schon mehr und Schrecklicheres gesehen als die meisten Menschen. Sobald sie Hautkontakt herstellt, beobachtet sie den Tod des Betreffenden, kennt seinen Namen, den Zeitpunkt und die Ursache. Früh begreift sie, dass sie das Schicksal nicht ändern kann, und gibt ihre Bemühungen, andere zu warnen oder einzugreifen, auf. Stattdessen hängt sie sich an jene, deren Tod unmittelbar bevorsteht, und nimmt ihnen dann Geld und Kreditkarte ab.
Das funktioniert ganz gut, bis sie auf Ashley trifft. Miriam ahnt, dass der Kerl Ärger bedeutet, aber sie lässt sich auf einen One Night Stand mit ihm ein. Anderntags eröffnet er ihr, dass er sie schon seit einer Weile verfolgt und mit ihr zusammenarbeiten will. Lehnt sie ab, soll ihre Mutter erfahren, was aus Miriam geworden ist. Notgedrungen fügt sie sich – ein großer Fehler. Denn Ashley wird von Gangstern wegen des schwarzen Koffers, den er bei sich hat, gejagt. Es gelingt ihnen, das Paar aufzustöbern, und Miriam nutzt die erste Chance, die sich ihr bietet, um fortzulaufen und sich von Ashley zu trennen. Der Weg führt sie zu dem Trucker Louis, der ihr schon einmal geholfen hatte und dem sie seither immer wieder begegnet ist, obwohl sie sich fernhalten wollte, da sie auch seinen gewaltsamen Tod gesehen hat. Durch seine Gutmütigkeit rückt nun auch Louis in den Fokus der Gangster. Miriam, die sich die Schuld an seiner Situation gibt, möchte ihn retten, wüsste sie nur wie…
„Blackbirds“ ist ein Mystery-Thriller im Roadmovie-Stil, der knapp am Splatter vorbeischrammt. Die Handlung spielt praktisch auf der Straße, denn Hauptfigur Miriam ist ein Tramp, der auf der Flucht vor sich selbst ist. Sie versucht vergeblich, ihre Empfindungen durch Alkohol zu betäuben und ihre Nerven durch Nikotin zu beruhigen, aber die Schicksale der Menschen gehen ihr auch nach all der Zeit noch nahe, worüber selbst ihr großes Mundwerk nicht hinwegzutäuschen vermag.
Allein durch ihre Gabe, die sie hasst und benutzt, um immer weiter zu fliehen, gelangt das fantastische Element in den Roman. Andere wie Ashley und der Boss der Gangster wollen Miriam für ihre Ziele einspannen, um sich durch das Wissen eines bevorstehenden Todes in einem größeren Maßstab bereichern zu können. Auch Louis soll, ginge es nach Ashley, ausgeplündert werden. Längst ist die junge Frau an einem Punkt angelangt, an dem sie resigniert hat, sich für ein ‚böses Mädchen‘ hält und dem Schicksal die Schuld an allem gibt. Zweifellos bringt eine solche psychische Belastung jeden an den Rand des Abgrunds und irgendwann einen Schritt weiter. Von daher sind Miriams Selbstmitleid und ihr Fatalismus, die Suche nach Ärger, um sich zu betäuben, in gewisser Weise nachvollziehbar. Louis weckt letztlich den Wunsch in ihr, das Schicksal auszutricksen, und obwohl sie nicht glaubt, dass es ihr gelingen könnte, will sie es versuchen.
Die Gegenspieler sind weitgehend psychopathische Perverse, die große Freude daran haben, ihre Opfer zu quälen und zu verstümmeln, bevor sie sie ermorden. Auch diese Passagen werden ungeschönt beschrieben, um zu veranschaulichen, dass es noch schlimmere Menschen gibt als Miriam und Ashley. Wirklich sympathisch ist keiner.
Die Geschichte wird in einem schnellen Tempo erzählt, ist reich an Dialogen und inneren Monologen, dazu in einer sehr deftigen Sprache, wie sie von Frauen eher nicht benutzt wird. Allerdings ist die Wortwahl einer von Miriams Schutzschilde und verdeutlicht zugleich, in welches Milieu sie gerutscht ist.
Schätzt man Romane von Brett McBean, Sebastian Fitzek, Edward Lee, Bryan Smith und Kollegen, wird man sicher auch „Blackbird“ eine Chance geben wollen. Mag man es weniger brutal und derb, lässt man besser die Finger von diesem Titel.