Sun Koh – Der Erbe von Atlantis 1: Ein Mann fällt vom Himmel, P. A. Müller (Buch)

Sun Koh – Der Erbe von Atlantis 1
Ein Mann fällt vom Himmel
P. A. Müller
Titelillustration: Fritz Lattke
Verlag Dieter von Reeken, 2013, Paperback, 490 Seiten, 27,50 EUR, ISBN 978-3-940679-73-4

Von Carsten Kuhr

Meine erste Begegnung mit dem Erben von Atlantis hatte ich vor gut 30 Jahren. Der Kiosk, an dem ich wöchentlich meine Leseration an „Perry Rhodan“, „Atlan“ und „Terra Astra“ abholte, hatte etwas Neues im Programm. Gelbe Taschenbücher mit einem roten Schriftzug und einem gebräunten Heroen vor einer Pyramide – mein Interesse an „Sun Koh“ war geweckt.

Nach der Lektüre der Pabel-Taschenbücher erfuhr ich dank eines Sammlers und überaus kundigen Rezensenten namens Hermann Urbanek und dem SFCD-Periodikum „Andromeda Nachrichten“ davon, dass ein Wiener Kleinverleger, der sich auf den Nachdruck von Faksimile-Ausgaben vergriffener Vorkriegs-Hefte spezialisiert hatte, auch die klein-oktaven Hefte der „Sun Koh“-Serie im Programm hatte.

In der Prä-Internet-Ära war es gar nicht so einfach, auf die Suche nach entsprechenden Überbleibseln zu gehen. Antiquariate hatten den Schund- und Schmutz nur selten im Angebot, wenn einmal ein Heft auftauchte, dann zu einem exorbitant hohen Preis – und die Suche auf den Flohmärkten barg auch mehr Frust als Entdeckungslust in sich. Während meine Freunde also ihr mittels eines Ferienjobs schwer verdientes Geld in einem Mofa oder einer Party-Reise Richtung Lorette-del-Mar anlegten, überwies ich per Postüberweisung mein Geld nach Wien – fragen Sie nicht, ja. ich war damals schon verrückt. Kurz darauf hielt ich 150 kleine in Faktur gesetzte Heftchen in Händen und begab mich mit dem Erben von Atlantis auf Abenteuerreise.

Nachdem die im Schweizer SSI Verlag gestartete Neuausgabe der ursprünglichen Hefte nicht von Erfolg gekrönt war, die Rechte für die Veröffentlichung aber bei SSI lagen, brachte Dieter von Reeken zunächst „Jan Mayen“ im Neusatz auf den Markt. Als dann der Mohlberg Verlag ankündigte, die Borgsmüller-Leihbuchausgabe von „Sun Koh“, die nicht nur gekürzt worden war, sondern in der der Autor auch Romane aus „Jan Mayen“ und „Rah Norton“ mit aufnahm, neu herauszugeben, schien der Zug für eine werkgetreue, ungekürzte Neuausgabe des Erben von Atlantis verbaut. Umso begeisterter bin ich nun, dass Dieter von Reeken und mit tatkräftiger Unterstützung des Nachlassverwalters P. A. Müllers, des Sammlers Heinz J. Galle, die 150 zwischen 1933 und 1936 erstveröffentlichten Romane doch noch publiziert. Jeweils 17 der ursprünglichen Hefte werden in einem „Sammelband“ zusammengefasst, der Text neu und zweispaltig gesetzt; die Jiu-Jitsu-Anleitungen der ursprünglichen Hefte sind ebenso enthalten, wie Hintergrundinformationen und Abbildungen sämtlicher Titelbilder.

Dabei wird auch darauf eingegangen, wie die ständig sich ausweitende Zensur der Nationalsozialisten auf die Texte Einfluss nahm. Auf entsprechende Textstellen wird hingewiesen, diese werden aber nicht bearbeitet oder gar gestrichen.

Auffällig zunächst, dass gar noch eine recht deutlich SM-Szene eingefügt ist, in der ein Schwarzer eine weiße Frau körperlich schwer züchtigt – eigentlich ein Unding zur damaligen Zeit und in der Zweitauflage auch entschärft.

Zum Inhalt. Eines Abends taucht ein körperlich überragender junger Mann an einem Fallschirm schwebend über London auf. Wer er ist, woher er kommt und was sein Ziel ist, ist dem Mann unbekannt. Im Nobelhotel, in das er einchecken will, gibt er eine erste, beeindruckende Vorstellung von seinen Kräften und trifft auf spätere Gefährten und Widersacher.

Im Verlauf der ersten Hefte lernt er Joan Martini, seine spätere platonische Liebe kennen, erfährt von der Prophezeiung, die ihn als Herrscher über einen wieder aus den Wogen des Meeres auftauchenden Kontinents sieht, und macht die Bekanntschaft zweier späterer Feinde: Lady Houston, einer verschmähten Multi-Milliardärin, und Garcia, dem Erzschurken, der Sun Koh in den nächsten Heften bis zum Finale das Leben schwer machen wird.

Bereits in den ersten Bänden der Serie wird deutlich, wie Müller seine Leser einfängt. Immer wieder greift er aktuelle Ideen, Forschungsergebnisse und Entwicklungen auf, führt diese in sich logisch fort und präsentiert dem technisch-wissenschaftlichen Leser ein beeindruckendes Bild einer möglichen Zukunft. So berichtet er von holographischen Filmen ebenso wie von einer genialen Erfindung, die das Abstürzen von Flugzeugen verhindert, setzt aber auch ein tödlich wirkendes Nervengift ein und stellt uns, zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung, die kaum bekannten Existenz von gigantischen Ruinenstädten im mittel- und südamerikanischen Dschungel vor. Immer wieder stellt er dabei Bezüge zwischen den Mittelamerikanischen Hochkulturen, den Ägyptern und seinen Atlantiden her, deren Erben er in den genialen Forschern aus Deutschem Lande sieht. Vieles ist hier dem Zeitgeist geschuldet, dennoch lesen sich die Abenteuer – der Kampf gegen skrupellose Verbrecher, die Unschuldige überfallen und um ihr geistiges Gut bringen taucht als Motiv immer wieder auf – auch heute noch interessant und spannend durch. Gerade weil Vieles inzwischen überholt ist, wirken die Schilderungen anheimelnd, dabei aber auch packend und interessant.

Ein Anfang ist gemacht, Sun Koh hat eine Basis in den Ruinen einer Maya-Stadt gefunden, Reichtümer und Gefährten entdeckt und seine Gegner von ihrer schlechtesten Seite kennengelernt. Die Abenteuer haben, vergleicht man sie mit „Jan Mayen“, eine deutlich aggressivere Note, legen mehr Wert auf mythologische Wurzeln und bieten einen überlebensgroßen Helden, der mit seinen besonderen Gaben im Stande ist, Übermenschliches zu leisten. Als solches ist die Lektüre nach wie vor, auch im Abstand von 80 Jahren, noch faszinierend und kurzweilig, zeigt PAM einmal mehr, welch vielseitiger und versierter Autor er war.