Kerstin Pflieger: Wenn die Nacht beginnt – Sternenseelen 1 (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Mittwoch, 17. April 2013 11:56
Kerstin Pflieger
Wenn die Nacht beginnt
Sternenseelen 1
Goldmann, 2013, Paperback mit Klappenbroschur, 416 Seiten, 12,99 EUR, ISBN 978-3-442-47707-4 (auch als eBook erhältlich)
Von Irene Salzmann
Nach dem Tod des Vaters war es nicht immer leicht für Lilly und ihre Mutter Moni. Deren Beziehungen waren nie von Dauer, so dass ein Umzug auf den anderen folgte und das Mädchen weder Fuß fassen noch Freunde finden konnte. Als der nächste Wohnungswechsel ansteht, wird sie von ihrem Freund sang- und klanglos abserviert. Dass Monis neuer Lebenspartner Thomas einen attraktiven Sohn namens Samuel hat, der genauso alt ist wie Lilly, ist bloß ein geringer Trost, denn er ist ja so etwas wie ein ‚Bruder‘.
Infolgedessen ist der schöne Raphael ein wahrer Lichtblick. Auf einer Party begegnen sie sich zum ersten Mal und können nicht die Augen voneinander lassen, sehr zum Verdruss einiger Internats-Zicken und von Raphaels Kumpel Felias. Im Unterricht jedoch ist Lillys Schwarm wie ausgewechselt: Er scheint sich gar nicht mehr an sie zu erinnern, ist unfreundlich und lässt sie zugunsten der Zicke Calista links liegen. Zu allem Überfluss weist auch noch die Rektorin Lilly zurecht, dass sie Raphael nicht belästigen solle.
Natürlich kann sie sich darum auch nicht freuen, als er am Abend wieder nett zu ihr ist. Enttäuscht, weil er ihr keine Antworten geben will, geht sie nach Hause und wird Zeuge eines Rennens zwischen zwei Sportwagen – und Samuels Tod, nachdem er angefahren wurde. Doch plötzlich erhebt sich der Junge, als sei ihm nichts geschehen. Lilly ist verwirrt, denn sie weiß doch, was sie gesehen hat. Auf Samuels Bitte hin schweigt sie über den Vorfall und ist von nun an allein mit ihrer Angst, denn ihr ‚Bruder‘ ist plötzlich … böse.
Es kommt aber noch schlimmer: Raphael, Felias und einige andere machen Jagd auf Samuel und wollen ihn umbringen. Indem sie bei einem Kampf dazwischen geht, bringt sich Lilly erst recht in Gefahr, weil sie nun von Dingen weiß, an denen sie besser nie gerührt hätte. Aber noch immer schweigt Raphael beharrlich.
Zombies in Love, denkt man spätestens in dem Moment, als Samuel sich nach seinem tödlichen Unfall als immer böser werdendes Monster erhebt. Das Verhalten von Raphael und seinen Kameraden erlaubt die Spekulation, dass auch sie gestorben und auf merkwürdige Weise wiederbelebt wurden, da sie dasselbe ambivalente Verhalten zeigen. Doch Kerstin Pflieger bemüht sich, sich von den traditionellen Zombie-Klischees zu lösen, indem sie zwei antagonistische Kräfte einführt, die die Körper der jungen Menschen zu unterschiedlichen Zwecken benutzen. Mehr möchte man an dieser Stelle gar nicht verraten, um wenigstens ein paar Überraschungen zu bewahren.
Denn die Handlung folgt dem bewährten Muster eines romantischen Jugend-/All-Age-Buchs mit phantastischen Elementen: Hauptfigur Lilly verliebt sich in den mysteriösen Raphael und kann nicht einmal dann aufhören, an ihn zu denken, wenn er sie in der Schule beleidigt und beschämt. Natürlich weiß man sofort, dass er ein Geheimnis hütet und ‚anders‘ ist, genauso wie seine Freunde. Obwohl ihr immer wieder Hindernisse in den Weg gestellt werden, will Lilly das Rätsel lösen und gleichzeitig Samuel retten. Dadurch wird sie in den Konflikt hineingezogen, der zwischen jenen Mächten herrscht, bringt dadurch sich selbst und andere in noch größere Gefahr. Schließlich tappt sie in eine Falle und muss eine schwere Entscheidung treffen. Dass es letztlich ein Happy End gibt, überrascht nicht, denn weitere Bände sollen folgen.
Die Autorin schreibt unterhaltsam, doch nachdem man den Beginn zuerst mit Spannung verfolgte, lässt das Interesse nach, kaum dass man das modifizierte Zombie-Motiv erkannt hat und ab dann alles in recht vorhersehbaren Bahnen verläuft. Schade, denn nach den reizvollen „Icherios Ceihn“-Romanen (eine „Sleepy Hollow“- und Ichabod Crane/John Irving-Hommage) hatte man sich ein bisschen mehr erhofft.
Eine Nebensächlichkeit stößt dem reiferen Leser zudem unangenehm auf: Nachdem Lilly ihren Vater verloren hatte, ließ sie sich ziemlich gehen. Sie erinnert sich an diese Zeit und auch daran, dass sie sich gern Luft verschafft hätte, indem sie Mercedes-Sterne abbricht, Porsche zerkratzt und so weiter. An ihrem Internat hat sie es mit superreichen, arroganten Kids zu tun, und es sind ja auch zwei teure Sportwagen, durch die Samuel zu Tode kommt... Hier bedient sich die Autorin des Klischees vom fiesen Geldsack bzeziehungsweise dem Berufssohn/der Berufstochter, der/die ein Angeber-Auto fährt und damit Leute umbringt. So einem geschieht es doch recht, wenn ihm den Wagen demoliert wird, oder nicht? – Egal, was man darüber denkt, so etwas ist eine Straftat, die hier zum Kavaliersdelikt bagatellisiert wird. Die Realität sieht nämlich anders aus: Da hat sich vielleicht ein Lehrling von seinem kleinen Lohn einen alten Porsche gekauft und ihn Stück für Stück restauriert, um bei schönem Wetter am Sonntag damit zur Eisdiele fahren zu dürfen. Oder ein Rentner hat sich von seinen Ersparnissen einen Mercedes gegönnt, der ihm in seinen letzten Jahren ein treuer Begleiter sein soll. Werden diese Fahrzeuge Opfer von Vandalen, ist das für ihre Besitzer ein wirtschaftlicher Totalschaden, da keiner von ihnen das Geld für die teuren Reparaturen aufwenden kann. – Und jetzt der sanktionierte Vandalismus…
Wahrscheinlich ist die Autorin, falls sie überhaupt ein Auto besitzt, selber nie in diese Situation geraten, sonst würde sie das Thema gar nicht oder vernünftiger aufgreifen. Vor allem Autoren, die auch für Jüngere schreiben, sollten mit ihren Äußerungen bedächtiger umgehen – und nicht falsche Klischees fördern und Straftaten (Drogenkonsum, Alkoholismus, Diebstähle…) verharmlosen, nicht einmal im Nebensatz!
Das Fantasy begeisterte Publikum zwischen 13 und 20 Jahre dürfte sich gut unterhalten fühlen, während reifere Leser den „Sternenseelen“ nicht viel Neues abgewinnen können (Däniken, Charoux & Co. lassen grüßen). Am besten blättert man ein wenig in dem Roman, um sich selbst einen Eindruck von Inhalt und Stil machen zu können.