Steffen Janssen (Hrsg.): Styx – Fluss der Toten (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Sonntag, 31. März 2013 10:54
Steffen Janssen (Hrsg.)
Styx – Fluss der Toten
Titelillustration von Jessica May Dean
Luzifer, 2012, Taschenbuch, 366 Seiten, 13,95 EUR, ISBN 978-3-943408-00-3 (auch als eBook erhältlich)
Von Carsten Kuhr
Der Fluss der Toten und Charon sein Fährmann, das sind Bilder, die gewisse Assoziationen in jedem Leser auslösen. Ein gewaltiger Strom eisigen Wassers, bevölkert von verlorenen Seelen, dazu eine alte Barke, die die Verstorbenen nur betreten dürfen, sofern sie ihren Obolus in klingender Münze beglichen haben. Steffen Janssen hat in der ersten Veröffentlichungen seines Verlages gerufen und Autoren unterschiedlichster Couleur haben sich vom Thema inspirieren lassen, und ihre Phantasie spielen lassen. Das Taschenbuch beinhaltet nicht weniger als 14 Geschichten, lange und kurze, klassische wie experimentelle, Storys, die mich gerührt haben, einige, die mich geängstigt haben und andere, die mich relativ unberührt gelassen haben.
Dies ist bei jeder Sammlung der Fall, das Interessante, wenn man als Leser zu einer Anthologie greift ist doch immer, was mich als Leser zwischen den Buchdeckeln erwarten wird. Und hier hält der Band so Einiges an abwechslungsreichen Geschichten für uns bereit.
Bevor ich mich mit den jeweiligen Beiträgen in Detail beschäftige noch ein Wort zu der Buch als solches. Der Einband ist gerade für ein Taschenbuch recht solide, Knickfalten im Rücken bei der Lektüre sind angesichts eines dicken Kartons kaum aufgetreten, der Satz angenehm, der Druck sorgfältig. Mit beigegeben hat der Verlag dem Band dann noch einige zum Inhalt passende Innenillustrationen unterschiedlicher Künstler. Das Ergebnis kann sich sehen und lesen lassen, muss den Vergleich zu Produktionen aus Großverlagen nicht scheuen.
Zum Inhalt:
In Karl Plepelits „Verhasster Fluss, verhasstes Land“ wandeln der Autor und sein Protagonist auf den Spuren von Odysseus. Ein berühmter Opernsänger, dessen Frau kürzlich überfahren wurde, steigt in die Unterwelt hinab, um mit seiner Gabe des betörenden Gesangs den Totenengel zur Herausgabe der jüngst Verblichenen zu bewegen. Auch wenn das Ende keine großen Überraschungen für den Leser bereithält überzeugt der Beitrag durch eine atmosphärisch dichte Beschreibung des Totenreichs und seiner, der griechischen Mythologie entlehnten Gestalten.
In Annika Dicks sehr kurzem Beitrag „Nach Hause“ geht es um Demeter und ihre Tochter, die als Gemahlin des Hades nach Hause zurückkehrt. Eine sehr kurze Geschichte, der ein wenig der Aha-Erlebnis fehlt.
Bernd Teuber macht es in „Hinter den Masken“ besser. Wir begleiten zwei junge Frauen zum Karneval nach Venedig. Dass eine der Beiden in einem der heruntergekommenen Palazzos von Charon zum Tanz gebeten wird, kommt sowohl für sie als auch den Leser überraschend.
Steve Kußin wandelt in „Das Loch“ auf den Spuren Lovecrafts, In der Nähe des Strandes einer US-amerikanischen Kleinstadt befindet sich am Meeresboden ein Loch. Seit Jahrhunderten, lange bevor die weißen Siedler das Land eroberten, existiert ein Pakt. Kommt dem Loch nicht nahe, dann lassen wir euch in Ruhe. Als ein paar übermütige Jungs einmal zu viel ins Loch tauchen, ist die Geduld der Wesen erschöpft. Obwohl die Geschichte mit dem Styx nichts zu tun hat, und es auch stilistisch ein wenig holpert, weiß der Autor seine Leser in einem der längeren Beiträge des Buches zu faszinieren. Inhaltlich zwar nichts wirklich Neues, aber geschickt mit gängigen Versatzstücken angereichert fühlt man sich als Leser in altvertrauter Umgebung heimisch.
Marius Kuhles Beitrag „Der Fährmann, der Tote und der Obolus“ führt uns zurück zur griechischen Mythologie. Ein neuer Fährmann wird auf dem Styx eingelernt. Er erhält den Ratschlag, nur ja keine Seele ohne Bezahlung übersetzen zu lassen. Was aber, wenn dem Toten seine Münze gestohlen wird, oder er sie gar verschluckt hat? Unauffällig aber auch gefällig zieht sich der Autor ganz auf die Vorgaben Styx und seine Fährmänner zurück.
Achim Amme wandelt in „Kafkas Geburtstag“ auf dem Spuren des großen Vorbilds. Ein Schauspieler, der einen Richter spielen soll, kommt ins Gericht, findet aber seinen Drehort nicht. Als er endlich, nach dem Herumirren in Treppen- und Gangschluchten, doch noch ankommt, erwartet ihn … Kafakesque sind insbesondere die Beschreibungen der leeren Gänge, des Verlorenseins des Protagonisten, besonders gelungen.
Emil Berel berichtet uns in „Das letzte Geschenk“ in einem wiederum recht kurzen Text von einer jungen Frau, die, nachdem sie den Fluss durch einen beängstigenden Wald gefunden hat, dort auf gleich zwei Fährmänner trifft. Pointiert, kurz, mit einem überraschenden Schluss – einer der besten Beiträge des Buches.
Dennis Hubers „Der dunkle Fluss“ beschäftigt sich mit zwei Autoren. Beide haben jeweils ein sehr erfolgreiches Buch herausgebracht und begegnen einander auf einer Party ihres Herausgebers. Der Jüngere der Beiden wirkt gehetzt und aufgelöst, berichtet nach und nach von seiner Suche nach okkulten Geheimnissen – die von Erfolg gekrönt war und ihn nun zum Opfer eines Häschers macht. Inhaltlich nicht wirklich neu, von der Umsetzung her eher langatmig erzählt, kommt hier kaum Spannung oder Atmosphäre auf.
Antonia Schalstieg macht es in „Über den Styx muss jeder alleine“ besser. Kurz und knapp – aber atmosphärisch dicht- berichtet sie uns von der Überfahrt ihrer Protagonistin.
Susanna Montua lässt sich in „Der Obolus“ mehr Zeit, während sie uns vom Schicksal eines kleinen Mädchens berichtet, dem am Ufer des Styx die Münze gestohlen wird. Auch hier nichts wirklich Neues oder Überraschendes, aber dafür sehr einfühlsam erzählt.
Katharina Erflings „Mein Bruder ist kein böser Mensch“ streift das Thema Styx nur am Rande. Sie berichtet uns von einem Geschwisterpaar, bei dem der ältere Bruder seine Schwester vor der Belästigung eines Adeligen schützt – sie treffen sich im Hades wieder; der eine früher, die andere später. Eine überraschende Pointe zum Finale einer sonst unauffälligen Geschichte.
Es folgt der Beitrag „Über den Styx“ von Sebastian Gaidus, in dem der Autor zwei Forscher in das Zentrum der Geschehnisse stellt, die die Mysterien der anderen Seite erforschen wollen – und dabei bedauerlicherweise für sie selbst erfolgreich sind. Eine klassisch aufgezogene Geschichte, wie sie so ähnlich schon des Öfteren zu lesen war. Routiniert geschrieben aber ohne echten Höhepunkt.
Es folgt „Kassandra“ von Elia Wächtershäuser, in der die Autorin die Geschehnisse nach dem Fall von Troja aufgreift und die Seherin Kassandra ihr Schicksal und die Reise in den Hades sehen lässt. Klassische griechische Mythologie, die den Leser durch ihre Zweiteilung in einen Handlungsstrang, in dem Kassandra nach Mykonos reist und ihren Visionen, denen man zunächst etwas verwirrt folgt, fordert.
Veronika Bickers „Neuanfang“ entführt uns dann in die Zukunft. Die Götter fordern ihre Heimat zurück, ihre Diener Styx und Charon sind die Bürde ihres Dienstes leid und die toten Kinder warten auf den Übergang in den Hades. Auch hier macht es die Erzählerin ihrem Leser nicht ganz einfach. Dafür gibt es dann viel zu entdecken – lange bleibt offen wo und wann wir uns befinden, wer wer ist und wie alles zusammenpasst. Atmosphärisch dicht rührt uns die Autorin mit ihren Bildern der verlorenen Kinder, deren Verlassenheit uns förmlich von den Seiten anspringt. Ein toller Abschluss für den Band.