Liv Winterberg: Sehet die Sünder (Buch)

Liv Winterberg
Sehet die Sünder
Titelgestaltung von Balk & Brumshagen und Lisa Helm unter Verwendung von Fotos von Corbis/Paul Amásy, gettyimages/New York Public Library Picture Collection, akg-images/British Library
dtv, 2013, Paperback, 432 Seiten, 13,90 EUR, ISBN 978-3-423-24940-9

Von Irene Salzmann

Saint Mourelles, ein kleines Dorf in der Bretagne, 1440. Kinder, Frauen, Männer verschwinden, werden in einigen Fällen tot aufgefunden; erwürgt, mit eingeschlagenem Schädel. Unter den Menschen des Ortes geht die Angst um. Ist einer der Ihren der Täter? Stecken marodierende Söldner dahinter? Oder verbirgt sich der Mörder gar hinter den Mauern von Schloss Troyenne und stellt eine Bedrohung für den volksnahen Baron Amédé dar?

Das Schicksal will es, dass Catheline Cogul, die Haushälterin des alten Pfarrers Jeunet, fast jede der Leichen entdeckt. Daraufhin begegnen ihr einige der Nachbarn mit Misstrauen, und auch der Baron stellt Vermutungen an, dass sie die Mörderin sein könnte. Die Falle schnappt zu, als Ania, eine der Küchenmägde des Barons, nach einem heftigen Streit mit Catheline tot in der Nähe der Kirche aufgefunden wird. Nur knapp kann Catheline den Häschern entkommen und sich in einer Höhle verbergen. Der Baron drangsaliert nicht allein die Dorfbewohner sondern auch den Pfarrer und liefert dadurch Julien Lacante, einem Vertrauten des Bischofs, der die Mordfälle aufzuklären versucht, einen Vorwand, ihn vor Gericht zu bringen.

Baron Amédé wird von der Inquisition der Teufelsverehrung angeklagt, da die Verdachtsmomente, dass er für den Tod unschuldiger Menschen verantwortlich ist, zu gering erscheinen. Als Zeugin für dieses Vergehen tritt ausgerechnet Baronin Bérénice auf, die sich nach den unglücklichen Jahren an der Seite ihres Mannes, der ihr immer fremder wurde, Julien zugewandt hat,

Liv Winterberg siedelt die Handlung ihres Romans in Frankreich unter Karl VII. (1403-1461, Krönung zum König 1422 mit Hilfe von Jeanne d’Arc) an. Im Anhang liefert die Autorin einige Informationen zum historischen Kontext und den Persönlichkeiten, die sie inspirierten. Ein Glossar gibt Auskunft über reale Personen, Ereignisse und diverse Begriffe. Um es vorwegzunehmen: Hat man Spaß an historischen Krimis, dann wird man gern zu diesem Titel greifen.

Das Buch beginnt eher beschaulich mit den persönlichen Problemen einiger Dorfbewohner und denen seiner adligen Herren. Dann geht es auch schon Schlag auf Schlag, denn ständig werden Menschen vermisst und in einigen Fällen ermordet aufgefunden. Diese Verbrechen erscheinen völlig sinnlos, denn die Dorfbewohner waren ausnahmslos arm, ihrem Baron treu ergeben, die Toten wurden auch nicht missbraucht. Als der Pfarrer die Vorfälle meldet, tut sich erst herzlich wenig, denn ein Bettelkind mehr oder ein Tagelöhner weniger, wen interessiert das? Erst als die Vorfälle kein Ende nehmen, sich außerdem an einem anderen Ort wiederholen, an dem der Baron und sein Gefolge einige Tage weilten, er unvermutet der Ketzerei beschuldigt wird und sich durch seine Beseitigung die Möglichkeit eröffnet, leicht an die Ländereien des Fürsten zu gelangen, werden Ermittlungen aufgenommen. Für viele kommt das zu spät. Außerdem werden nun Personen in den Prozess hinein gerissen, die gar nichts mit dem Verbrechen zu tun haben, jedoch zur falschen Zeit am falschen Ort waren und als Bauernopfer herhalten könnten. Obendrein erfahren die Dorfbewohner die Wut der Soldaten des Barons und müssen seine Rache fürchten, sollte er freigesprochen werden.

Es gelingt Liv Winterberg, eine gewisse Bitterkeit im Leser aufzubauen, denn was im Mittelalter gang und gäbe war, ist in der Moderne nicht viel anders. Nach wie vor wird zweierlei Maß angewendet, je nachdem ob man ein einfacher Bürger oder ein Bonze mit Vermögen und endlosen Seilschaften ist. Vor allem die ersten Zweidrittel des Romans wissen zu überzeugen durch authentisch wirkende, nicht zu ausführliche Schilderungen, wie das Leben der Bauern und Adligen ablief, wie die Rollen von Frau und Mann definiert wurden, welche Konflikte sich daraus ergaben und so weiter. Gespannt folgt man auch den tragischen Geschehnissen und spekulierte mit den Protagonisten, wer wohl der Mörder ist.

Anders als der Klappentext verspricht, versuchen jedoch nicht Catheline und der Bauer Mathis Maury, in den sie verliebt ist, aktiv das Verbrechen aufzuklären. Sie sind als Bekannte der Toten beteiligt, schnappen den einen oder anderen Hinweis auf, stellen Fragen und sprechen Warnungen aus – aber sie betätigen sich nicht wirklich als Ermittler. Diese Rolle kommt am ehesten noch Julien zu, der mehrmals nach Saint Mourelles reitet, die Dorfbewohner befragt, Bérénices Aussage ernstnimmt und letztlich seinen Teil leistet, dass keine Unschuldige bestraft wird. Julien wird dabei fast schon zu deus ex machina, denn ohne ihn hätte alles ganz anders kommen können.

Im dritten Abschnitt des Buchs hat man das Gefühl, als geriete die Autorin etwas ins Schwimmen, denn die Ereignisfolgen weisen größere Abstände auf, vieles passiert per Zufall, aufgrund spontaner Meinungsänderung oder in Form einer geschickten Inszenierung (Cathelines Gefangennahme, die Geständnisse und Widerrufungen des Barons und so weiter), die Zusammenhänge werden zudem nicht aus der Handlung heraus erklärt, sondern nachträglich aufgerollt, damit der Leser es auch wirklich versteht (oder weil das Seitensoll nicht überschritten werden durfte?). Das ist etwas schade, denn der interessante Auftakt hat höhere Erwartungen genährt. Dennoch liest sich „Sehet die Sünde“ sehr kurzweilig, und man sollte als Genre-Fan dem Roman unbedingt eine Chance geben.