Jasper Fforde: Wo ist Thursday Next? – Thursday Next 6 (Buch)

Jasper Fforde
Wo ist Thursday Next?
Thursday Next 6
(One of Our Thurdays is Missing)
Aus dem irischen Englisch übersetzt von Joachim Stern
Titelillustration von Markus Roost
dtv, 2012, Paperback mit Klappenbroschur, 394 Seiten, 14,90 EUR, ISBN 978-3-423-24915-7 (auch als eBook erhältlich)

Von Armin Möhle

„Wo ist Thursday Next?“ ist der sechste Roman um die Jurisfiktion-Agentin Thursday Next. Zuvor agierte Thursday Next in „Der Fall Jane Eyre“, „In einem anderen Buch“, „Im Brunnen der Manuskripte“, „Es ist was faul“ und „Irgendwo ganz anders“. Die Romane sind in einer Parallelwelt angesiedelt, die sich nicht nur historisch von der unseren unterscheidet: England ist Republik, Wales ist selbstständig usw. usf. Vielmehr sind die Grenzen zwischen der Realität und der literarischen Fiktion durchlässig.

So agiert Thursday Next als Agentin in beiden Welten, deckt Verschwörungen auf, löst diverse Probleme etc., sowohl in der BuchWelt, die alle Romane, Kurzgeschichten und so weiter umfasst, die jemals geschrieben wurden, als auch in der Realität. Das ist in der (Phantastischen) Literatur ein einmaliges Konzept, das dem Autor Gelegenheit zu zahlreichen Anspielungen auf bekannte und weniger populäre Romane aus diversen Genres und zur Umsetzung zahlreicher origineller, amüsanter Ideen gibt. Mit dem Roman „Grau“ (Eichborn Verlag, 2011) wandte sich Jasper Fforde einem anderen Konzept zu und entwarf eine Welt, die unsere zukünftige sein kann und in der die gesellschaftliche Stellung ihrer Bewohner von ihrer Fähigkeit zur Farbwahrnehmung (sic!) abgehängt.

Die große Gefahr bei Zyklen besteht für den Autor darin, sich in den Romanen inhaltlich zu wiederholen und damit die Attraktivität seines Werkes für seine Leser zu vermindern. Dies war bereits bei dem fünften „Thursday Next“-Band, „Irgendwo ganz anders“, zu befürchten. Im vierten Buch, „Es ist was faul“, hatte der Autor einige (Neben-) Handlungsstränge, die sich durch die vorherigen Romanhandlungen gezogen hatten, zum Abschluss gebracht. Doch Jasper Fforde gelang es stets, eine gänzlich unabhängige, etwa eineinhalb Jahrzehnte nach „Es ist was faul“ angesiedelte Handlung zu kreieren, mit der er sein Universum etwas übersichtlicher gestalten konnte, das aber auch zwei offene Handlungsstränge zurückließ. Es drängt sich die Frage auf: Gelang dem Autor dieses Kunststück in „Wo ist Thursday Next?“ noch einmal? Oder griff er nur die nicht abgeschlossenen Handlungsstränge aus „Irgendwo ganz anders“ auf? Um es vorwegzunehmen: ja! Und zwar noch besser als mit „Irgendwo ganz anders“, denn „Wo ist Thursday Next?“ wartet mit einem ungewöhnlichen Perspektivwechsel und einer gänzlich veränderten BuchWelt auf.

Die BuchWelt wurde einem „Großen Remake“ unterzogen, da sie zu unübersichtlich zu werden drohte. Nun ähnelt sie einer Insel – dem „Fiction Island“, dessen Karte auf den Umschlagseiten des Buches abgedruckt ist. Dort sind die SF, die Fantasy und der Horror Nachbarn, flankiert von den dogmatischen und den Abenteuer-Romanen, den Kinderbüchern usw. usf. Zwar spielt Thursday Next selbstverständlich auch in dem vorliegenden Roman die Hauptrolle, aber nicht die real existierende, sondern – die geschriebene. Die ersten fünf „Thursday Next“-Abenteuer existieren nämlich auch in der der BuchWelt, mit gewissen Abweichungen im Vergleich zu den Originalen allerdings.

In der BuchWelt ist die geschriebene Thursday Next im Gegensatz zu ihrem Vorbild keine Agentin der Jurisfiktion, dem Sicherheitsdienst der BuchWelt, sondern hat nur die Aufnahmeprüfung für den JUVD, den Jurisfiktion-Unfalldienst, geschafft. Da sie eine Zweitbesetzung für ihre Rolle in den „Thursday Next“-Büchern anheuern konnte, wird sie mit der Untersuchung des Absturzes eines Buches betraut (es kommt in der BuchWelt öfters vor, dass Romane ihren Standort verändern, aus verschiedenen Gründen). Ihr wird deutlich gemacht, dass sie die Untersuchung so schnell wie möglich und mit einem vorgegebenen Ergebnis zu Ende bringt soll, doch sie deckt Unstimmigkeiten auf (so fehlt dem abgestürzten Buch die ISBN …). Gleichzeitig wird ihr das Jurisfiktion-Abzeichen der realen Thursday Next zugespielt.

Die geschriebene Thursday Next beginnt damit, diese Spuren auf eigene Faust zu verfolgen. Der Verdacht, dass die reale Thursday Next verschwunden ist, verdichtet sich zur Gewissheit. Thursday Next – die geschriebene, versteht sich – unternimmt einen Ausflug in die RealWelt, in der sie auf Käseschmuggler, auf den Goliath-Konzern und auf ihre Fam…, pardon, auf die Familie ihres Alter Egos trifft, und wird anstelle der realen Thursday Next zu den Friedensverhandlungen entsandt, die einen Krieg zwischen den Scharfen Romanen und der FemLit verhindern sollen. Dort deckt sie eine Verschwörung gegen die BuchWelt auf.

„Wo ist Thursday Next?“ ist mit einer Leichtigkeit und Nonchalance geschrieben, die oft genug Ihresgleichen sucht. Viele Autorinnen und Autoren sind zu einer solchen Leistung auch nach einem halben Dutzend Romanen noch nicht fähig. Der Plot von „Wo ist Thursday Next?“ ist stimmig und der Handlungsablauf reibungslos; originelle und unverbrauchte Ideen, literarische Anspielungen, auch in der Science Fiction, und Situationskomik wechseln einander ab. Zwar arbeitet der Autor in dem Roman nicht zum ersten Mal mit einer Intrige, die die BuchWelt bedroht, und lässt erneut den einen oder den anderen Handlungsstrang unabgeschlossen zurück (so entkommt beispielsweise der Kopf der Verschwörung). Das ändert aber nichts daran, dass er mit „Wo ist Thursday Next?“ seinem doppelten Paralleluniversum einen gänzlich neuen, bemerkenswerten Baustein hinzugefügt hat, in dem zum ersten Mal die Handlung ausschließlich aus der Perspektive literarischer Figuren geschildert wird.

Wegen seiner Variationen ist der Roman für Leser, die die ersten fünf Romane (noch) nicht kennen, als Einstieg in die „Thursday Next“-Reihe geeignet.