Chris Wooding: Schwarze Jagd (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Samstag, 06. Oktober 2012 13:07
Chris Wooding
Schwarze Jagd
(Black Lung Captain)
Aus dem Englischen übersetzt von Peter Robert
Titelillustration Krzysztof Bielenin
Heyne, 2012, Taschenbuch, 702, Euro 9,99 EUR, ISBN 978-3-453-52820-8 (auch als eBook erhältlich)
Von Thomas Harbach
Mit „Schwarze Jagd” liegt der zweite Band um die Abenteuer der „Ketty Jay” und ihrer zusammengewürfelten Besatzung auf Deutsch vor. In England ist inzwischen mit „The Iron Jackal“ ein weiterer Band erschienen. Auch wenn sich Chris Wooding im Verlaufe des umfangreichen, aber gut strukturierten Abenteuers Mühe gibt, Neuleser auf den für die kleinen, aber wichtigen Details notwendigen Wissensstand zu bringen, ist es empfehlenswert, diese Serie mit dem Auftaktband „Piratenmond“ zu beginnen.
Das begründet sich weniger mit dem in sich abgeschlossenen Abenteuer, das neue Facetten von Chris Woodings archaisch phantastischer Welt offenbart, sondern in der konsequenten Weiterentwicklung der Protagonisten. „Piratenmond“ hat plastisch cineastisch beschrieben, wie die Crew von Captain Darian Fey angesichts neuer Gesichter wegen einer im Grunde unlösbaren Aufgabe zusammengewachsen ist. Vom bullig tollpatschigen und doch auch mutig entschlossenen Captain und seinen Frauengeschichten – die drei in seinem Beziehungsleben relevanten Frauen tauchen auch im vorliegenden Roman wieder auf – ausgehend hat Chris Wooding eine Reihe von sehr interessanten und bemerkenswert – auf eine erzähltechnische vielleicht ein wenig übertriebene Weise – lebensechten Charaktere erschaffen, um die sich der Leser selbst in unmöglich zu lösenden Situationen echte Sorgen macht. Zwar droht bei einigen der kleineren über den Gesamthandlungsbogen verstreuten Showdowns die Gefahr, sich an ähnlich konzipierte Szenen aus „Piratenmond“ zu erinnern, aber für eine Fortsetzung hat Wooding die üblichen Klischees meist elegant und unterhaltsam umschifft.
Für Comic Relief und eine solide Einstimmung sorgt der Prolog. Fey stiehlt die Kriegskasse eines Waisenhauses – er sieht sich selbst als Waise und damit indirekter Empfänger dieser Spenden – aus einer kleinen Siedlung. Als ihn die Bauern nicht nur mit Gewehren und Dreschflügeln verfolgen, sondern später sein Luftschiff mit kleinen Propellermaschinen und sehr gezielt abgeworfenen Schraubenschlüsseln bewerfen, muss er frustriert aufgeben. Fey und seine Crew sind immer noch pleite, die „Ketty Jay“ bräuchte eine Generalüberholung. Durch einen Zufall wird er für eine Selbstmordmission angeheuert. Von der Ausgangsprämisse her folgt Chris Wooding nach dem lustig wie spannend geschriebenen Prolog der Struktur von „Piratenmond“. Der charismatische wie berüchtigte Captain Grist schlägt Frey ein Geschäft vor, das er im Grunde nicht ablehnen kann. Aus einem Wrack soll Fey dank der Fähigkeiten in Dämonologie seines Crewmitglieds Crake einen nicht näher bestimmten Schatz von aber unschätzbarem Wert bergen. Es stellt sich schnell heraus, dass das Schiff auf einer entlegenen, von übermenschlichen Kreaturen bewohnten Insel liegt und dass diese Büchse der Pandora – eine schwarze Kugel – den Tod von tausenden von Menschen bedeuten oder eine gigantische Energiequelle von ungeahnten Ausmaßen darstellen könnte. Die Herkunft des Wracks und der Kugel deuten auf die Manen, die vor Jahrzehnten aus den Nebeln des Nordpols kommend die Zivilisation schon einmal in ihren Abgründen erschüttert haben. Sie verfügten über eine geheimnisvolle Technik und ihr fatalistischer Ansatz ist schwer zu bekämpfen. Aber die Entdeckung der Kugel dient eher als eine Art MacGuffin, um Frey in diverse Schwierigkeiten mit seinen Geschäftspartnern, seinen ehemaligen Freundinnen und schließlich auch mit den Manen zu bringen, wobei ein Mitglied seiner Crew unbewusst über den rettenden Schlüssel verfügt, der die Navigatorin Jez eher ausgrenzt als zu einem Heilsbringer werden lässt.
Wie schon angesprochen sind die kontinuierlich und konsequent aufeinander aufbauenden Actionszenen mit diversen Rettungsaktionen im „Indiana Jones“-Stil solide bis ausgesprochen spannend geschrieben worden. Erst im letzten Drittel des Romans lässt Chris Wooding um der Glaubwürdigkeit Genüge zu tun auch einen von den Guten endgültig „sterben“, womit er die Gefährlichkeit der Mission unterstreicht. Bis dahin hat sich der Autor auf einer Mischung aus Steampunk/Drei Musketiere und dem schon angesprochenen Indiana Jones bewegt – mit unzähligen Opfern auf den jeweiligen Seiten und Rettungen durch verschiedene Crewmitglieder beziehungsweise die Ex- Geliebte. Egal wie unterhaltsam diese Szenen geschrieben worden sind, sie wirken insbesondere im Mittelteil ein wenig zu mechanisch. Chris Wooding hinterlässt den Eindruck, als schiebe er teilweise humorvoll geschriebene, aber den Plot nicht stringent voranbringende Szenen ein, um auf die erwartete Länge von fast siebenhundert Seiten in der deutschen Ausgabe zu kommen. Auch der erste Band litt trotz aller Dynamik unter dieser Schwäche , konnte diese aber durch die für den Leser ausschließlich neuen und damit originellen Hintergrund sehr viel besser ausbalancieren. Das Finale kommt vielleicht ein wenig zu abrupt und wirkt zu stark auf den Punkt konstruiert (und mechanisch ohne große Überraschungen niedergeschrieben), lässt den Leser aber trotzdem zufriedenstellend zurück, dass Wood das Abenteuer und damit die Suche auch wirklich abschließt und Hintertüren nur für weitere in diesem Universum spielende Geschichten offenlässt.
Ausgesprochen positiv ist die charakterliche Entwicklung seiner „Helden“. Der Autor gibt nicht nur wie in „Piratenmond“ jedem Crewmitglied seine fünf Minuten des Ruhmes, er entwickelt die Figuren aufgrund der inzwischen bekannten wie teilweise markanten Hintergrundinformationen weiter. Diese Vorgehensweise befriedigt nicht nur, es lässt insbesondere die Crewmitglieder noch dreidimensionaler und damit trotz aller Hindernisse, die ihnen entweder in den Weg geworfen werden oder über die sie selbst stolpern, sympathisch glaubwürdiger erscheinen. Frey ist dabei die Figur, die sich am wenigsten weiterentwickelt. Er wird mit seinen drei Freundinnen und teilweise jetzigen Feindinnen konfrontiert, wobei er mehrmals über den eigenen Schatten springen muss. Immer noch beziehungsunfähig erweist er sich aber mehrmals als Gentleman, der nicht nur für die Liebe seines Lebens durch die Hölle geht, sondern auch für seine Crew trotz aller Pleiten, allem Pech und allen Pannen da ist. Jez und Crake müssen auf unterschiedliche Art und Weise mit ihrer Vergangenheit fertigwerden. Die Bergung der schwarzen Kugel konfrontiert Crake mit den Taten, die er vor Aufnahme in die Besatzung der „Ketty Jay“ begangen hat. Folgerichtig begibt er sich auf eine Quest, deren Ziel eine gewisse Art von Sühne sein soll. Es ist wenig überraschend, dass er am meisten für die Taten der Vergangenheit bezahlen muss. Trotzdem überzeugt der tragisch melancholisch gezeichnete Crake trotz seiner gewaltigen dämonischen Kräfte zusammen mit der ansonsten so selbstsicheren Jez am ehesten. Jez muss in einer schwierigen Situation offenbaren, dass sie nur noch ein Halbmensch ist, dessen andere Hälfte nach und nach von den Manen übernommen wird. Ein Alptraum- und Vertrauensbruch für Fey. Wooding zeichnet die inneren Konflikte sehr gut nach. Ambivalent muss die unschlagbare Navigatorin ihr inneres Gleichgewicht, im Grunde einen neuen Lebensweg finden, der sie trotzdem nicht von ihren Crewmitgliedern und impliziert Freunden entfremdet. Pinn als exzentrischer Komikfigur muss damit fertigwerden, dass seine vor Jahren verflossene Liebe heiratet. So wird ihm zumindest in einem Brief mitgeteilt. Pinn als Figur durchläuft einen halbkomischen Reifeprozess, an dessen Ende weniger der exzentrische einsiedlerische Beibootpilot übrigbleibt, sondern ein das Leben in allen Facetten inklusiv der Bordkatze bejahender, eigenständig handelnder Mann. Trinica Dracken könnte als eine Art MacGuffin dienen, welcher den Plot in der zweiten Hälfte des Buches nicht nur wieder in Bewegung setzt, sondern aufs endgültige Ziel hinsteuert. Um eine Chance auf die Perle zu haben, muss sich Frey ausgerechnet mit der Frau verbünden, die seine Crew und ihn um die nicht kleine, aber vor allem verdiente Belohnung am Ende von „Piratenmond“ gebracht hat. Das Misstrauen ist förmlich mit dem Messer zu schneiden und Frey muss eine Balance zwischen den Wünschen der Crew – über Bord schmeißen ist dabei die höflichste Bemerkung – und seinen eigenen durchaus von Vergeltung am heimtückischen Grist getriebenen Zielen finden. Dracken wächst als Figur und wenn sie ihre äußerst provokante Verkleidung ablegt, wird sie sogar zu einer Frau, die irgendwo tief in ihrem Herzen noch etwas für Frey empfindet, mit ihm aber im Grunde nicht mehr zusammenleben kann und will. Von allen Protagonisten der hier vorliegenden Fortsetzung erfährt der Leser über ihre Vergangenheit nicht nur am meisten, er hat viel Verständnisse für ihre schurkische Revanche am Ende von „Piratenmond“, in dessen Verlauf Frey von Chris Wooding ausschließlich als naives Opfer beschrieben worden ist. Grist selbst wird als klassischer opportunistischer Schurke beschrieben, der von der Angst eines frühzeitigen Todes durch seine Staublunge getrieben wird. Am Ende wird ihm der angestrebte Preis zu seiner eigenen Verwunderung verwehrt und sein blutiger Tod ist angemessen. Vielleicht gibt Grist in entscheidenden Szenen manchmal ein wenig zu sehr von sich preis und wirkt isoliert nicht bedrohend genug. Aber angesichts der Komplexität seiner Pläne ragt er aus dem Meer von ansonsten eher zweitklassigen und schnell zu beseitigenden Antagonisten meilenwweit heraus.
Anfänglich konzentriert sich Chris Wooding weniger auf einen dreidimensionalen Ausbau seiner Welt, sondern versucht den nicht unkomplexen Plot zum Laufen zu bringen. Hinzu kommen die überzeugenden wie bekannten Figuren, die mehr und mehr zu Freunden werden. Erst in der zweiten Hälfte kehrt der Autor nicht nur auf den hinter den Kulissen tobenden Krieg, in den unter anderem die Zeremonienmeister und die angesehen herrschende Adelsfamilie verwickelt sind, zurück, sondern präsentiert neben der anfänglich interessant beschriebenen Insel am Rande der bekannten Flugstraßen eine Reihe von exotischen Schauplätzen, für die er jeweils auch entsprechende „Kreaturen“ entwickelt. Die Manen – eine Mischung aus Insektoiden und Steampunkborgs – erscheinen dabei auf den ersten Blick wie aus einer anderen Welt, was bedingt auch richtig ist. Es bleibt die Hoffnung, dass der Leser in den folgenden Romanen mehr über dieses verhasste wie auch durch Vorurteile abqualifizierte Volk erfahren wird.
Vielleicht fehlt „Schwarze Jagd“ durch die im ersten Roman etablierte Welt manchmal ein über den zwischen pointiert und kindisch/kindlich hin und her schwankenden Humor hinausgehendes Überraschungselement, aber zusammengefasst handelt es sich trotz des Umfangs um ein solides, sehr geradlinig konstruiertes Abenteuergarn mit natürlich trotz ihrer Schwächen überdimensionalen, aber vor allem liebenswerten Charakteren und eine empfehlenswerte Fortsetzung zu dem überraschend ansprechenden „Piratenmond“.