Tahereh Mafi: Ich fürchte mich nicht (Buch)

Tahereh Mafi
Ich fürchte mich nicht
Juliette 1 (von 3)
(Shatter me, 2011)
Aus dem Amerikanischen von Mara Henke
Titelgestaltung von UNO Werbeagentur unter Verwendung eines Motivs von getty images/Ruth Rado und plainpicture/Bildhuset
Goldmann, 2012, Hardcover, 318 Seiten, 16,99 EUR, ISBN 978-3-442-31283-2 (auch als eBook erhältlich)

Von Irene Salzmann

Juliette Ferrars ist 17 Jahre alt und wird seit Monaten in einer Anstalt gefangengehalten. Niemand scheint sich für ihr Schicksal zu interessieren, nicht einmal ihre Eltern, die froh waren, sie los zu sein – dieses Monster, das unmöglich ihr Kind sein kann.

Unerwartet bekommt Juliette einen Zellengenossen, Adam Kent, der nach und nach ihr Vertrauen gewinnt. Endlich spricht jemand mit ihr und weckt in ihr Gefühle und Bedürfnisse, die sie sich seit Jahren verboten hat. Umso schwerer trifft sie sein Verrat: Adam ist ein Soldat, der ihre Gesinnung ausspionieren sollte, denn der ehrgeizige und skrupellose Warner, Chef dieses Sektors, kennt Juliettes Geschichte und will ihre einzigartige Fähigkeit für seine Zwecke nutzen.

Juliette widern Warners Vorschläge jedoch nur an. Sie will kein Monster sein, sich auch nicht an jenen rächen, die ihr Übles antaten, sondern den Menschen helfen, die bereits genug zu leiden haben unter den immer schlechter werdenden Lebensbedingungen: eine vergiftete Umwelt, schwindende Ressourcen, verfallende Städte, militärische Willkürherrscher. Dann macht Juliette eine erstaunliche Entdeckung, die für sie persönlich viel verändert. Allerdings kann sie sich nicht sicher sein, wem sie vertrauen darf, und nach der Flucht heften sich ihr die Häscher sofort an die Fersen.

„Ich fürchte mich nicht“ ist Endzeit-SF voller sozialkritischer Bezüge. Tahereh Mafi schildert eine Welt, wie sie schon bald real sein könnte – oder wie sie in einigen Bereichen der Erde bereits Realität wurde: Die Ressourcenknappheit, Krankheiten und Hunger treiben die Menschen in die Arme von skrupellosen Potentaten, die viel versprechen und durch radikale Reformen bessere Lebensbedingungen erzwingen wollen, dabei jedoch nur sinnlos zerstören, eine Schreckensherrschaft installieren und letztlich bloß das eigene Wohlergehen und den Machterhalt anstreben. Zeitgenössische Beispiele wie die Zerstörung der Buddha-Statuen von Bamiyan in Afghanistan durch die Taliban (2001) oder der Mausoleen in Timbuktu, Mali durch islamistische Fanatiker (2012) dürften die Autorin, die offensichtlich muslimische Wurzeln hat, inspiriert haben.

Die Kritik geht jedoch ein wenig unter in den Reflexionen der Hauptfigur – Juliette schreibt ihre Gedanken in ein Heft, manche Passagen sind durchgestrichen, aber immer noch lesbar – und der sich anbahnenden Liebesgeschichte. Juliette erinnert sich in Rückblenden, wie ihr Leben verlief und was sie getan hat, um erst in Isolationshaft zu geraten und dann von einem machthungrigen, nur zwei Jahre älteren Jugendlichen umworben zu werden, der sie dazu bewegen will, in seine Dienste zu treten. Durch geschickte Manipulationen, Drohungen und Machtproben – Zuckerbrot und Peitsche – glaubt Warner, sie gefügig machen zu können, aber Juliette, die sich selbst für ein Tod bringendes Monster hält, erkennt in ihm das wahre Monster und möchte nicht so werden wie er. Um fliehen zu können, muss sie Adam vertrauen, in den sie sich verliebt hat. Die Flucht der beiden endet bald, aber Juliette, die immer weglief, beginnt zu kämpfen. Es gibt schließlich ein Happy End, das schon etwas zu gefällig und simpel wirkt, aber notwendig war, da noch zwei Bände folgen sollen. In Konsequenz werden auch nicht alle Fragen beantwortet. Warner – sein Vorname wird niemals erwähnt – bleibt die Verkörperung des manischen Bösen, doch ahnt man, dass auch ihm Dinge zustießen, durch die er so geworden ist.

Bei der Lektüre fühlt man sich vage an Superhelden-Serien wie „X-Men“, „New Mutants“, „X-Force“ und Romane wie „Das Ikarus-Projekt“ erinnert, in denen Mutanten zu Hoffnungsträgern für eine neue, bessere Welt werden, aber unter der Ausgrenzung oder dem Missbrauch durch die ‚normalen‘ Menschen leiden. Eine Verfilmung des Romans beziehungsweise der Trilogie ist geplant und dürfte die Fans von Titeln wie „Die Tribute von Panem“ begeistern.

„Ich fürchte mich nicht“ ist ein interessanter Auftaktband, der auch stilistisch und optisch (die durchgestrichenen Zeilen) reizvoll umgesetzt ist, dann jedoch nach dem dystopischen Beginn auf Liebesgeschichten-Niveau abbaut und durch ein zu schnelles, glückliches Happy End, das keineswegs den Schlusspunkt setzt, etwas enttäuscht.