Jack McDevitt: Melville auf Iapetus (Buch)

Jack McDevitt
Melville auf Iapetus
(Melville on Iapetus, 1983/2005/2008/2012)
Aus dem Amerikanischen von Andreas Irle
Edition Andreas Irle, 2012, Hardcover, 310 Seiten, 29,00 EUR, ISBN 978-3-936922-21-9

Von Armin Möhle

Nach den „Übersetzungen aus dem Kolosianischen“ (2009) lässt die Edition Andreas Irle mit „Melville auf Iapetus“ die zweite Storysammlung des US-amerikanischen Autors Jack McDevitt folgen, diesmal als Originalzusammenstellung. Die Edition Andreas Irle ist ein seit 1995 aktiver Kleinverlag, der sich auf die Herausgabe hochwertiger Bücher (Hardcover, Leinenprägung und mehr) in geringen (und limitierten) Auflagen zu hohen Preisen spezialisiert hat.

Der Verlag brachte zunächst über 20 Romane des US-amerikanischen Autors Jack Vance heraus (in Neuübersetzungen, von einer Ausgabe abgesehen), bevor er sich anderen Autoren zuwandte: neben Jack McDevitt auch Tim Stretton, dessen Roman „Serendip“ 2010 veröffentlicht wurde, als Taschenbuch und zu einem deutlich niedrigeren Preis, und inzwischen auch Nancy Kress, deren Roman „Hundewahn“ kürzlich in derselben Ausstattung und zu demselben Preis wie „Melville auf Iapetus“ erschienen ist.´

Das Werk von Jack McDevitt umfasst neben einigen Einzelromanen zwei Future Histories. Die Stories in „Melville auf Iapetus“ sind in dem „Akademie“-Zyklus angesiedelt, der aus den Romanen „Gottes Maschinen“ (Bastei-Lübbe-SFTB 24208, 1996), „Die Sanduhr Gottes“ (Bastei-Lübbe TB 24231, 2001), „Chindi“ (Bastei-Lübbe TB 24328, 2002), „Omega“ (Bastei-Lübbe TB 24341, 2005), „Odyssee“ (Bastei-Lübbe TB 24369, 2008) und „Hexenkessel“ (Bastei-Lübbe TB 24377, 2008) besteht. Die Romane spielen in der nahen Zukunft; die Menschheit hat mit der Besiedlung und vor allem der Erforschung des Weltraums begonnen, allerdings in einem bescheidenen Rahmen. Lediglich einzelne, kleine Raumschiffe sind unterwegs zu den Sternen.

Priscilla Hutchins ist eine Pilotin dieser Raumschiffe, die im Laufe ihrer Flüge und der Romane auf diverse außerirdische Artefakte und Phänomene trifft. Später wird sie zur Direktorin der Weltraumakademie ernannt. Vor allem die ersten Romane mit Priscilla Hutchins zeichnen sich durch originelle Plots aus, die vor allem in der Auflösung archäologischer Rätsel bestehen. Der unprätentiöse Rahmen der Romane wirkt außerdem sehr authentisch. „Melville auf Iapetus“ enthält acht Kurzgeschichten, die in verschiedenen Epochen des „Akademie“-Zyklus‘ angesiedelt sind.

Die Titelstory markiert den Beginn des „Akademie“-Zyklus‘. Auf dem Saturnmond Iaptus wird eine Statue außerirdischer Herkunft entdeckt. McDevitt gelingt es in der Story sehr schön, die Faszination, die die Entdeckungen von extraterrestrischen Artefakten und die Enträtselung ihrer Bedeutungen (oder auch nicht) in den späteren Hutchins-Romanen auf den Leser ausüben, vorwegzunehmen (auch wenn zwischen der Entstehung der Story und dem ersten „Akademie“-Roman, „Gottes Maschinen“, elf Jahre liegen).

„Lucy“ und „Mollys Kinder“ schildern Episoden aus dem Beginn der interstellaren Raumfahrt. Es werden erstmals KIs auf den Raumschiffen eingesetzt, die sich nicht so verhalten, wie es von ihnen erwartet wird. Das ist natürlich kein neues Thema in der Science Fiction, in dem „Akademie“-Universum dagegen sehr wohl. Da es sich in den handlungschronologisch späteren Roman nicht wiederholt, kann davon ausgegangen werden, dass jene Kinderkrankheiten ausgemerzt wurden – oder Raumschiffkonstrukteure ein anderes Verhältnis zu ihren KIs entwickelt haben.

„Jungfernflug“, „Warten am Altar“ und „Katze im Schlafrock“ sind drei Ereignisse auf dem Prüfungsflug von Priscilla Hutchins: In „Jungfernflug“ entdeckt Hutchins auf einem Mond ein Artefakt, kann ihren Ausbilder jedoch dazu überreden, ihre Entdeckung geheimzuhalten. Das ist zwar angesichts des Charakters des Artefaktes sehr lobenswert, bedeutet jedoch angesichts der Tatsache, dass auf dem Planeten, zu dem der Mond gehört, geforscht und ebenfalls Entdeckungen gemacht werden, lediglich einen Aufschub.

Ein Notruf in „Warten am Altar“ führt Hutchins und ihren Ausbilder zu einem indirekten Kontakt mit einer nichtmenschlichen, raumfahrenden Zivilisation, von der in den folgenden Hutchins-Romanen nicht mehr die Rede sein wird (verständlicherweise, da die Romane vor den Storys geschrieben wurden, dennoch verbleibt die Frage, warum dieser Kontakt später nicht einmal mehr am Rande thematisiert wird, unbeantwortet im „Akademie“-Universum).

„Katze im Schlafrock“ schildert nicht ein weiteres kosmisches Rätsel und dessen Auflösung, sondern eine nicht unoriginelle Rettungsaktion.

Der Protagonist von „Kaminsky im Krieg“ ist zunächst nur Forscher auf dem Planeten der Nok – der einzigen nichtmenschlichen Spezies, die noch existiert, also nicht nur ihre Bauwerke usw. usf. hinterlassen hat. Die Nok sind gegenüber den Menschen technologisch rückständig und in permanente Kriege miteinander verwickelt. Kaminsky sieht sich nicht mehr in der Lage, das hinzunehmen und greift in die Kämpfe ein. Damit verstößt er natürlich gegen die Regeln der Akademie, doch seine Berichte bewirken ein Umdenken der Öffentlichkeit auf der Erde. Bleibt nur zu hoffen, dass das Eingreifen der Akademie auf Nok umsichtiger und planvoller erfolgt als das der US-Amerikaner in Afghanistan und im Irak. Aber damit muss sich McDevitt zugebenermaßen erst auseinander setzen, wenn er eine Fortsetzung zu „Kaminsky im Krieg“ schreiben will.

„Die große Altstadt“ ist eine Kriminalstory, die klassisch beginnt: Die Privatdetektivin Kristi Walter wird damit beauftragt, die Freundin ihres Klienten aufzuspüren, die nach einem Bootsausflug mit ihrem Arbeitgeber verschwunden ist. Ihr Klient ist Maler, und so stößt Walker in einen Kunstskandal hinein, in den mehrere Prominente verwickelt sind. Und zur Abschreckung wird sie verprügelt; dieses ausgelutschte Element einer Detektivgeschichte durfte wohl nicht fehlen. „Die große Altstadt“ greift zwar einen Aspekt aus dem „Akademie“-Universum auf, ähnelt ansonsten aber mehr der zweiten Future History des Autors, den Romanen um den Händler Alex Benedict und seine Pilotin Chase Kolpath, in denen Krimi-Elemente regelmäßig Bestandteile der Handlungen sind („Die Legende von Christopher Sims“ (zusammen mit „Erstkontakt“ in Bastei-Lübbe-SFTB 24274, 2000), „Die Suche“ (Bastei-Lübbe TB 24362, 2007), „Polaris“ (Bastei-Lübbe TB 24349, 2006) und „Das Auge des Teufels“ (Bastei-Lübbe TB 24386, 2009)).

Leser, die die Priscilla-Hutchins-Romane gerne gelesen haben, werden um den Erwerb von „Melville auf Iapetus“ nicht herumkommen, wenn sie auf weiteren Lesestoff aus dem „Akademie“-Universum Wert legen (und das Erscheinen der deutschen Fassung des nächsten Hutchins-Roman, „Starhawk“, nicht abwarten wollen). Die Storys spiegeln die Vorzüge, aber auch die Unzulänglichkeiten der Hutchins-Romanen wieder. McDevitt nutzt außerdem die Gelegenheit, in den Kurzgeschichten, die überwiegend nach den „Akademie“-Romanen entstanden sind, diverse Aspekte seiner Future History aus neuen Perspektiven zu beleuchten.

Es bleibt die Hoffnung, dass die Edition Andreas Irle der Hardcoverausgabe von „Melville auf Iapetus“ noch eine kostengünstigere Paperback- oder Taschenbuchversion folgen lässt (in der Machart von „Serendip“). Aber diese Hoffnung trog bereits bei den „Übersetzungen aus dem Kolosianischen“, jedenfalls bislang.