Jasper Fforde: Grau (Buch)

Jasper Fforde
Grau
Eddie Russett 1
(Shades of Grey – The Road to High Saffron, 2010)
Aus dem Englischen von Thomas Stegers
Titelgestaltung von Marius Rehmert
Eichborn, 2011, Hardcover, 492 Seiten, 19,95 EUR, ISBN 978-3-8218-6140-1

Von Armin Möhle

Mit „Grau“ erscheint nach zwei Jahren erstmals wieder ein Roman des walisischen Ausnahme-Autors Jasper Fforde in Deutschland. Bekannt wurde Jasper Fforde mit seinen fünf Romanen um Thursday Next: „Der Fall Jane Eyre“, „In einem anderen Buch“, „Im Brunnen der Manuskripte, „Es ist was faul“ und „Irgendwo ganz anders“ ( alle bei dtv erschienen).

Die Romane sind in einer Parallelwelt angesiedelt, die sich nicht nur historisch von der unseren unterscheidet: England ist Republik, Wales ist selbstständig und so weiter. Vielmehr sind die Grenzen zwischen der Realität und der literarischen Fiktion durchlässig. So agiert Thursday Next als Agentin in beiden Welten, deckt Verschwörungen auf, löst diverse Probleme etc. Das ist in der (Phantastischen) Literatur ein einmaliges, zumindest selten genutztes Konzept, das dem Autor Gelegenheit zu zahlreichen Anspielungen auf bekannte und weniger populäre Romane aus diversen Genres und zur Umsetzung zahlreicher origineller, amüsanter Ideen gibt. Mit „Wo ist Thursday Next?“ (dtv) wird demnächst der sechste Band der Reihe erscheinen.

In „Grau“ wendet sich Jasper Fforde einem gänzlich anderen Konzept zu (und es ist schade, dass der Eichborn Verlag den ungleich prosaischeren Titel des Originals zu einem schlichten „Grau“ verkürzte). Er schildert eine Welt, in der die Farbwahrnehmung der Menschen eingeschränkt ist: Statt alle Farbtöne des sichtbaren Spektrums erkennen zu können, ist sie regelmäßig auf einzelne Farbtöne reduziert: gelb, rot, blau und grün. Und das auch nicht in vollem Ausmaß. Die Menschen, die keine Farben wahrnehmen können, werden Graue genannt. Sie stehen am Ende der Hierarchie; die Purpurnen, die über eine Wahrnehmung von rot und blau verfügen, an der Spitze. Auch in vielerlei anderer Hinsicht wird das Leben der Menschen von den (oft raren) Farben bestimmt.

Der knapp zwanzigjährige Eddie Russett wird mit seinem Vater nach Ost-Karmin, einem 3.000 Einwohner umfassenden Ort in der Randregion, geschickt. Er soll dort eine ‚Stuhlzählung‘ vornehmen, was natürlich eine Strafaktion für ein unbotmäßiges Verhalten darstellt. Er wird rasch in das gesellschaftliche Leben Ost-Karmins, in Heiratspläne (die den beteiligten Familien nur dem Aufstieg in der Farbhierarchie dienen sollen), in Intrigen und in illegale Geschäfte verwickelt. Das gibt den Autor genügend Gelegenheit, ausgesprochen ideenreich und höchst amüsant die Absurditäten seiner statischen und autoritären Farb-Welt darzustellen.

Aber „Grau“ weist auch ernsthafte Züge auf. Schnell wird klar, dass es sich um eine Post-Doomsday-Welt (oder um ein Experiment) handelt. So ist von der ‚Epiphanie‘ und ‚Dem großen Ereignis‘ die Rede, die offenbar den Beginn der Farb-Welt markieren, von ‚Rücksprung-Technologie‘, die in mehreren Etappen aus dem Verkehr gezogen und verboten wurde, und von den ‚Einstigen‘, die die Welt bewohnten. Viele ihrer künstlerischen und technischen Artefakte sind erhalten geblieben; die Bewohner der Farb-Welt begegnen ihnen jedoch mit Unverständnis und/oder eigenwilligen Interpretationen.

Nach dem Ende des Geplänkels zwischen Eddie und den Sprösslingen der Ost-Karmin beherrschenden Familien (und einer stupsnasigen Grauen namens Jane, die nicht vergessen werden darf), markiert durch ein verheerendes Hockeyspiel, und zu Beginn des letzten Drittels des Romans, meldet sich Eddie Russett zu einer Expedition in das benachbarte, verlassene Hoch-Safran, um dort Vorkommen von Altfarbresten zu erschließen – im vollen Bewusstsein der Tatsache, dass noch keine der zahlreichen Expeditionen nach Hoch-Safran zurückgekehrt ist. Aber Eddie benötigt das Geld, das er als Belohnung heraushandelt. Und er entdeckt in Hoch-Safran ein düsteres Geheimnis der Farb-Welt.

Jasper Fforde hat mit „Grau“ erneut einen Roman verfasst, dem ein innovatives Konzept zugrundeliegt und der von den Erfahrungen profitiert, die der Autor mit den „Thursday Next“-Romanen sammeln konnte. In „Grau“ greift jedes Kapitel nahtlos in das nächste, lösen die Handlungen der Protagonisten (insbesondere Eddie Russetts) unbeeinflussbare und gelegentlich ungeahnte, aber plausible Konsequenzen aus, die wiederum das weitere Geschehen bestimmen. Das alles und mehr geschieht mit einer traumhaften Leichtigkeit.

Da „Grau“ der erste Band einer Trilogie ist, können sich Leser, die Jasper Fforde durch die „Thursday Next“-Romane kennen und schätzen gelernt haben, auf weitere Bücher freuen, zumal die Geheimnisse der Farb-Welt noch nicht vollständig gelüftet sind. Es ist zu hoffen, dass auch unter der Ägide von Lübbe, der den Eichborn Verlag zum 1. November 2011 übernommen haben, die Folgeromane erscheinen werden!

Als Einstieg in das Werk von Jasper Fforde ist „Grau“ auch geeignet. Im Gegensatz zu den lockeren „Thursday Next“-Romanen weist „Grau“ aber auch düstere Züge auf, was einen neuen Aspekt in den Romanen des Autors darstellt, ohne dabei jedoch die für ihn charakteristische Situationskomik vermissen zu lassen.