Nancy Kress: Hundewahn (Buch)

Nancy Kress
Hundewahn
(Dogs, 2008)
Aus dem Amerikanischen von Andreas Irle
Edition Andreas Irle, 2012, limitiert auf 250 Exemplare, Hardcover, 330 Seiten, 29,00 EUR, ISBN 978-3-936922-20-2

Von Irene Salzmann

Ganz plötzlich spielen die Hunde in der Kleinstadt Tyler verrückt: Selbst bislang harmlose Hausgenossen verwandeln sich in knurrende, aggressive, beißende, mordende Monster. Die Krankenhäuser können all die Opfer, die eingeliefert werden, kaum noch versorgen. Jess Langstrom, der lokale Tierkontrollbeauftragte, bemüht sich zusammen mit seinen Kollegen, infizierte Hunde einzufangen oder notfalls unschädlich zu machen.

Er scheitert regelmäßig an den Hundeliebhabern, die ihre Lieblinge verstecken oder freilassen, sie sogar mit der Waffe verteidigen, egal ob die Tiere Symptome zeigen oder nicht, und den Hundehassern, die jedes Tier erschießen wollen.

Tessa Sanderson, eine Ex-FBI-Agentin, die sich nach dem Tod ihres Mannes ein neues Leben aufzubauen versucht, wird in dieser Krise wieder aktiv. Sie sieht Zusammenhänge, die von den um die Kompetenzen streitenden Organisationen ignoriert werden, und stellt Ermittlungen an, durch die sie selbst zu einem Fahndungsfall wird und die Aufmerksamkeit des Drahtziehers auf sich lenkt. Binnen weniger Tage ist Tyler zum Pulverfass geworden. Die Aktionen der Hundeliebhaber und der Hundehasser lassen die Situation eskalieren…

Nancy Kress verarbeitet in „Hundewahn“ gängige Verschwörungstheorien, angefangen bei den nationalen Geheimdiensten, die unpopuläre Entscheidungen und gravierende Fehler vertuschen, über Politiker, die nicht dem Volk dienen, sondern ihren Machthunger zu befriedigen versuchen, bis hin zum islamistischen Terror. Dabei macht sie ‚des Menschen besten Freund‘, den Hund, zum Werkzeug eines Fanatikers beziehungsweise einer Terrorzelle, die ihrerseits den Verursacher einer bis dahin unbekannten Seuche benutzt. Die Terroristen haben leichtes Spiel, denn die Geheimdienste arbeiten gegeneinander, wer etwas weiß, schweigt, um sich selbst zu schützen, wer redet, läuft Gefahr, im Gefängnis zu landen oder umgebracht zu werden. Diesen Aspekt handelt die Autorin allerdings eher am Rande ab. Stattdessen geht sie in allen Details der Frage nach, wie die Menschen reagieren, wenn ihr Haustier, das von einigen so inniglich geliebt wird wie ein Kind, unter Verdacht gerät, plötzlich zu einer reißenden Bestie mutieren zu können oder bereits mutiert ist. Die Bandbreite reicht von Leugnung und dem Wunsch, den Hund um jeden Preis zu beschützen, bis hin zu Hass und dem Bestreben, alle Tiere zu töten, bevor ihnen noch mehr Menschen zum Opfer fallen.

In Folge kämpfen die Behörden an drei Fronten: Die Ärzte suchen verzweifelt nach dem Krankheitserreger, der auch Auswirkungen auf gebissene Menschen hat, um ein Antiserum entwickeln zu können. Die Polizei bemüht sich, die Ordnung aufrechtzuerhalten und die Anweisungen der Gesundheitsorganisationen durchzusetzen, wobei sie von Hundefreunden und Hundehassern gleichermaßen behindert wird. Die Geheimdienste sind angehalten, das Rätsel um die Seuche zu lösen, ohne die eigenen Verstrickungen preiszugeben und eine (inter)nationale Panik auszulösen.

Die verschiedenen Gruppen werden von einzelnen Personen repräsentiert, beispielsweise von dem kleinen Jungen, der seinen alten Hund versteckt, um ihn vor Experimenten und dem Tod zu bewahren, von der alleinstehenden Frau, die ihre Lieblinge fortjagt, selbst auf die Gefahr hin, dass sie die Seuche weitertragen, von dem versoffenen Rentner, der nach einem Streit seine Frau den Hunden vorwirft, von dem jungen Vater, der jedes Tier töten will, nachdem sein Kind zerfleischt wurde, von dem Präsidenten, der Angst hat, Wähler zu verlieren, wenn Tierhalter von drastische Maßnahmen getroffen werden, von Jess Langstrom, der bloß seine Arbeit macht und dadurch zwischen die Fronten gerät, von Tessa Sanderson, die auf eigene Faust ermittelt, weil sie niemandem vertrauen kann.

Die Ex-FBI-Agentin ist die wichtigste Figur in diesem Drama. Weil sie einen Tunesier geheiratet hatte, wurde sie bespitzelt und von Beförderungen ausgeschlossen. Daran, dass man sie im Auge behält, hat sich auch nach ihrer Kündigung nichts geändert. Tessa stößt auf Dinge, die sie vorübergehend an der Integrität ihres verstorbenen Mannes zweifeln lassen. Um die Wahrheit herauszufinden, folgt sie einer vagen Spur und gerät dadurch in Lebensgefahr – denn alles ist noch viel komplizierter und erschreckender, als vermutet.

Regelmäßig wechselt die Autorin den Schauplatz und gleichzeitig die Akteure, so dass es eine Weile dauert, bis die Puzzleteile an die richtigen Stellen fallen und das Gesamtbild sichtbar wird. Bio-Thriller, Tier-Horror und menschliches Drama rangieren gleichberechtigt nebeneinander. Großen Wert legt Nancy Kress auf die Ausarbeitung der Charaktere, insbesondere auf die Motive des Einzelnen. Der Kreis, der mit den Schilderungen der ersten Hunde-Attacken begann, schließt sich mit einem Vorkommnis, das die menschliche Unvernunft verdeutlicht und dem Leser erlaubt, selbst den Faden weiterzuspinnen.

„Hundewahn“ ist ein spannender Thriller, der von der ersten bis zur letzten Seite zu fesseln vermag, denn das Thema ist alles andere als abwegig, die Protagonisten sind glaubwürdig, und die Beschreibungen sind schonungslos realistisch. Nancy Kress schildert ein erschreckendes Szenario, das morgen schon Wirklichkeit sein kann.