Frank W. Haubold: Götterdämmerung: Die Gänse des Kapitols (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Samstag, 16. Juni 2012 11:21
Frank W. Haubold
Götterdämmerung: Die Gänse des Kapitols
Titelbild: Timo Kümmel
Atlantis, 2012, Paperback, 240 Seiten, 12,90 EUR, ISBN 978-3-986402-030-8 (auch als Hardcover und eBook erhältlich)
Von Thomas Harbach
Mit „Götterdämmerung: Die Gänse des Kapitols” liegt der Auftaktband einer militärisch orientierten, aber nicht zum Subgenre der Military SF gehörenden Trilogie vor. Frank W. Haubold geht auf die Inspiration und die ersten in diesem Universum spielenden Texte in seinem kurzen Nachwort ein. Am Anfang stand Rainer Maria Rilke mit seinen schon 1906 veröffentlichten „Die Weise von Liebe und Tod des Cornets“. Um diesen Text herum hat Haubold die im „Nova“SF-Magazin veröffentlichte Kurzgeschichte „Das ewige Lied” gewoben.
Wie George R. R. Martins frühes SF-Werk versucht der Autor Ideale eines anderen literarischen Textes, Oden an den Krieg und die Liebe, das Leben und das Sterben in eine ferne Zukunft, zu übertragen und eine einzigartige Mischung aus stimmungsvollen Bildern und einer kraftvollen Handlung zu verfassen.
Es ist keine Überraschung, dass der Prolog des vorliegenden Romans, „Der Drachentöter”, in mehrfacher Hinsicht diesem im Grunde unerreichbaren Ideal am nächsten kommt und aus dem Gesamtwerk – so weit es nach dem ersten Band mit einem offenen Ende überhaupt zu beurteilen ist – herausragt. Die Erzählung „Die Gänse des Kapitols” bildetet im Kern die Grundlage des vorliegenden Werkes, Frank Haubold hat die zahlreichen offenen Fragen mit einer soliden, aber insbesondere in der zweiten Hälfte fast zu stark verschleiernden Handlung umgeben.
Frank Haubolds Stärken liegen weniger in seiner insbesondere für längere Werke stringenten Handlungsführung, sondern in seinem ausgesprochen visuellen Stil. Ihm gelingt es, im Leser einzigartige Bilder zu erzeugen, von denen Timo Kümmel eines in seinem schönen Titelbild eingefangen hat. Gigantische Heiligenfiguren vor der Unendlichkeit der Sternenhimmel. Im All „stehende” Mahnmale, die an die Opfer eines perfiden Krieges erinnern, deren Verursacher dem Leser nach der Lektüre des ersten Bandes noch nicht bekannt sind.
Vielleicht ist der Bogenschlag zu Rutger Hauers wunderschönen Monolog am Ende von „Der Blade Runner” ein wenig zu mutig, aber die zerstörten im All treibenden Städte, der im Prolog beschriebene Überfall mit dem sich plötzlich blutrot färbenden Himmel und der unsichtbare, unbekannte Feind sind kraftvolle sprachliche Bilder. Auch wenn die im All treibenden Inseln an James Blish berühmte, aber auf einer gigantischeren Ebene spielende Tetralogie erinnert. Hinzu kommen interessante Verbindungen von Altem mit Neuem. Andreas Eschbach hat in seinen SF-Romanen „Die Haarteppichknüpfer” und „Quest” etwas Ähnliches versucht. Beide Autoren verbinden die intellektuelle Vergangenheit in Form eines Klosters als Sammelstelle des menschlichen Wissens und im Grunde als Widerspruch zu einer von künstlichen Intelligenzen beherrschbaren Zukunft mit einer markanten Zukunftsvision, in welcher die Menschheit von außen durch Kräfte bedroht zu sein scheint, die sie selbst direkt oder indirekt heraufbeschworen hat.
Dem etwas oberflächlichen, vielleicht zu phlegmatisch entwickelnden Mittelteil mit seinen frustrierend kurzen Szenen stehen ohne Frage der reisende Zirkus mit seinen Engeln, die Erfüllung in der Unterhaltung des zahllosen Publikums finden, als interessanter sehr kraftvoller Abstecher gegenüber.
Frank W. Haubolds Vision ist erstaunlich bunt, wobei der Autor sich ausgesprochen diszipliniert bemüht, für jedes aus der Vergangenheit übernommene „Stück” eine futuristische Gegenidee zu entwickeln. Der Roman ermöglicht es ihm, den Hintergrund noch plastischer, noch dreidimensionaler, noch stimmungstechnisch effektiver auszuloten und hier liegen die Stärken von „Götterdämmerung: Die Gänse des Kapitols”. Der Leser möchte mehr über diese Zukunft erfahren. Am Ende vielleicht ein wenig zu kryptisch angelegt mit einer beginnenden, zumindest in einer Hinsicht den „Kreis” schließenden Mission und einigen verklausulierten Hinweisen auf die gefährlichen Wege, welches Haubolds früh getrenntes Liebespaar Raymond Farr und Miriam noch aufeinander zu gehen müssen.
Nicht jede Anspielung funktioniert nachhaltig. Die Sonnenbombe – angeblich von einem griechischen Reeder in Entwicklung gegeben – wirkt eher wie eine Art Deus-Ex-Machina-Element, mit dem Haubold den gesichtslosen und unbesiegbar erscheinenden Außerirdischen ein Bein zu stellen sucht. Dabei haben die Fremden sich bislang eher als Piraten verhalten und in erster Linie schutzlose Kolonien überfallen. Der Versuch, diesen Aspekt der Handlung mit Hinweisen auf irdische Mythologien zu relativieren, wirkt ein wenig zu überambitioniert. Weniger wäre in diesem Fall mehr gewesen, zumal Miriams Quest ohne die Waffe ein wenig dringlicher, ein wenig konsequenter erschienen wäre.
Wie schon angesprochen wirken der Prolog und die anschließenden nächsten fünfzig bis achtzig Seiten am Kraftvollsten. Frank W. Haubold schöpft aus dem Vollen und versucht gleichzeitig seine Saga um Liebe und Tod zu entwickeln, den Hintergrund zum dunklen Leben zu erwecken und eine packende Geschichte zu etablieren. Danach verzettelt sich der Autor ein wenig zu Lasten des gesamten Handlungsrahmens in den einzelnen Plotebenen, versucht neue – sicherlich notwendige Figuren – hinzuzuziehen und kann das fehlende Tempo, die mangelnde vordergründige Spannung nicht durch kleine Höhepunkte ausgleichen.
Am Ende des Romans steht der Beginn einer im Grunde doppelten Quest. Farr hat bislang nach den Wurzeln seiner Miriam auch mittels eines nach dem SF-Autor John (Fitzgerald) Varley benannten Privatdetektivs und seiner künstlichen Intelligenz James fahnden lassen. Jetzt bricht eine privat finanzierte Expedition in die Tiefen des Alls auf, um das Schicksal von Miriam in einem intergalaktischen Transporttunnel nach Zündung der Bombe verschwundenen Raumschiffs aufzuklären.
Ohne Frage ist Haubolds Ansporn gewesen, offene Flanken seiner Kurzgeschichte „Die Gänse des Kapitols” („Weltraumkrieger“; Atlantis) zu schließen. Mit viel Freude wirft er aber deutlich mehr Fragen auf. Neben dem wie schon angesprochen sehr farbenprächtigen und schön gestalteten Hintergrund der Geschichte sind es die unterschiedlichen, sehr markant charakterisierten Figuren, welche die zumindest in der Theorie überambitioniert konstruierte Grundhandlung durch ihre Vielfältigkeit ausgleichen.
Christoph Rilke im Auftaktkapitel ist Teil einer Legende geworden. Unverdorben, mit seinen achtzehn Jahren naiver Jüngling und motivierter, die eigene Region verteidigender Krieger zugleich. In keinem anderen Kapitel wechseln sich unverdorbene Liebe und heroischer Tod so schnell ab. Rilke ist mehr ein Symbol, der Wendepunkt eines bis dahin einseitigen und eher aus Überfällen auf unbewaffnete fliegende künstliche Welten bestehenden Krieges. Haubold verweigert Erklärungen, aus denen der Leser vielleicht ablesen könnte, was Rilkes Selbstmordmission – unabhängig von der waidwunden Verzweifelung über den Verlust eines geliebten Menschen, den er in der Nacht davor erst kennengelernt hat – von den sonstigen Angriffen der irdischen Kräfte auf den bislang unbesiegbaren wie unsichtbaren Feind unterscheidet. Es spielt im Grunde auch keine Rolle. Absichtlich stilistisch positiv antiquiert, fast geschwollen als Hymne auf wahren Heldenmut, soll der Prolog als Leitmotiv für die anschließenden Ereignisse dienen. Diesen Zweck erfüllt Christoph Rilkes heldenhafte Tat zur Genüge.
John Fitzgerald Varley und seine künstliche Intelligenz James sind die bodenständigsten Figuren des Romans. Sie wirken allerdings auch wie Funktionalitäten. Immer wieder wird betont, dass Varley im Grund ein vorsichtiger Mann ist, der bei seinen Aufträgen keine Risiken eingehen möchte. Natürlich kommt es anders. Der Versuch, die Suche nach Miriam und ihren Wurzeln zwei zu teilen, funktioniert nur bedingt. Varley erfährt für den Leser positiv sehr viele Fakten und dient als eine Art Filter, um das vielschichtige Universum zu ordnen, aber teilweise auch weitergehende Fragen aufzuschieben. Als Figur ist Varley etwas zu oberflächlich, zu wenig signifikant gezeichnet. Man vermisst die Ecken und Kanten, während James als Faktotum zu sehr für die weisen Sprüche zuständig ist. Zusammengefasst wirken beide Charaktere eher wie Kompromisse dem Leser gegenüber, die in dieser Form angesichts der reichhaltig exotischen Aliens wie beispielsweise die Engel unnötig sind.
Dagegen verschwindet Farr als Teilnehmer der Expedition zu lange im Hintergrund, um nach dem interessanten Auftakt auf den letzten Seiten wirklich überzeugen zu können. Haubold arbeitet bislang die Gefühle für die interessantere, geheimnisvollere Miriam zu wenig, zu statisch, heraus. Miriam dagegen hat von Beginn an einen „explosiven“ Auftritt, wobei ihre Geheimnisse sowie ihre Verwandtschaft zu Christoph Rilke sehr zufriedenstellend herausgearbeitet werden. Sie ist die dominierende Figur, auch wenn der Leser insbesondere in der zweiten, zu stark auf Fortsetzung konstruierten Hälfte mehr von ihr lesen möchte, als der Autor anbietet.
Als Auftakt einer wahrscheinlichen Trilogie ist „Götterdämmerung: Die Gänse des Kapitols“ zufriedenstellend bis teilweise sehr gut. Der Handlungssprung zwischen Prolog und eigentlicher den zweiten Band sicherlich bestimmenden Quest lässt das Geschehen distanzierter erscheinen alt notwendig. Immer wenn sich der Autor in seinem Hintergrund verliert, gigantische Erscheinungen an die Nachthimmel malt oder den Opfern eines bislang sinnlosen wie hinterhältigen Krieges gedenkt, lebtder Roman auf und präsentiert sich Frank W. Haubold in Hochform. Was den eigentlichen Handlungsbogen angeht, merkt der aufmerksame Leser stellenweise, dass der Autor zu viele Augen auf die weiteren Bände der Serie wirft anstatt das Geschehen an einigen Stellen konsequenter aber auch ausführlicher zu beschreiben.
Manchmal erscheint „Götterdämmerung: Die Gänse des Kapitols“ eher wie die Skizze eines gigantischen Zukunftsgemäldes und weniger die Endfassung. Als Kurzgeschichten-Autor verfügt Frank W. Haubold über die Fähigkeit, im Verlaufe der Handlung kurze Pointen, kleine Höhepunkte und interessante Szenen unauffällig aneinanderzureihen. Auf der anderen Seite verfügt der Text aber auch in der zweiten Hälfte über manche Länge, manche Klippe, die eleganter hätte umschifft werden können.
Eine ungewöhnliche Space Opera, die noch über viel zu hebendes Potential verfügt, bislang aber zwischen bodenständig bekannt und vorsichtig experimentell auf einem sprachlich sehr ansprechenden Niveau hin und her gleitet.