Miriam Pharo: Sektion 3: Hanseapolis – Präludium (Buch)

Miriam Pharo
Sektion 3: Hanseapolis – Präludium
Acabus, 2012, Paperback 320 Seiten, 13,90 EUR, ISBN 978-3-86282-149-5

Von Thomas Harbach

Im Gegensatz zu den ersten beiden Romanen um die Ermittler Elias Kosloff und Louann Mariono der „Sektion 3: Hanseapolis“ hat Miriam Pharo den dritten Band, „Präludium“, nicht als Doppelabenteuer kombiniert, sondern sich an dem markanten MacGuffin Frederic Chopins, „24 Präludien“, orientiert. Der Roman ist dadurch in vierundzwanzig Kapitel aufgeteilt, die insbesondere in der ersten relevanten Hälfte aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt werden.

Spielten die ersten beiden Abenteuer in erster Linie in und um die gigantische Hanseapolis City – ein Zusammenschluss von Hamburg und ehemals autarken Städten wie Lübeck – verlagert sich das Geschehen nach Venedig des Jahres 2066.

Venedig ist in einen gigantischen Freizeitpark umgewandelt worden, in dem jeden Tag Karneval gefeiert wird. Miriam Pharo beschreibt das überdrehte Venedig sehr plastisch und versucht, einen Kontrast zu den an „Metropolis“ mit seiner Unter- wie Oberstadt erinnernden Betonwüsten Hanseapolis’ zu bilden.

Aldo Farouche ist ein talentierter wie vorsichtiger Dieb. Er plant seine Aufträge minutiös. Als geheimnisvolle Auftraggeber ihn unter Druck setzen, erschlägt er aus Wut und im Affekt einen Hehler und setzt sich in Richtung Hanseapolis ab. Die Autorin bemüht sich, ein zwar subjektives, aber zumindest ambivalentes Bild des Diebs zu zeichnen. Umso überraschter ist zeitweise der Leser, als die Autorin ihn sterben und als kristallisierte Leiche in den Untersuchungsräumen der Polizei wieder auftauchen lässt. Leider hält die Autorin nicht konsequent genug an dieser Plot-Ebene fest und präsentiert eine etwas zu stark konstruierte Wendung der Ereignisse, die irgendwie seit Orson Welles/ Carol Reeds „Der dritte Mann“ nicht mehr originell ist. Vor allem der Nachsatz, dass erst im letzten Moment durch eine zufällig weitere Untersuchung die wahre Identität des Leichnams entdeckt wird, während die ersten von der Polizei durchgeführten Scans keine entsprechenden Hinweise produzierten, wirkt aufgesetzt und soll nachträglich im etwas phlegmatischen Mittelteil für Spannung und zusätzliche Dramatik sorgen.

Elias Kosloff und Louann Marino werden mit dem Fall betraut. Für Neueinsteiger in die Serie fügt Miriam Pharo nicht ungeschickt in Form eines Interviews und Dialogen nachgeschobene Informationen ausreichend Material ein, damit man sich ein Bild von den Figuren und der Explosivität insbesondere ihres zweiten Falls machen kann. Bei der Leiche Farouches wurde nämlich ein Jeanne-Kristall gefunden. Hinzu kommt, dass ein Zusammenhang zwischen den Präludien und dem Mord bestehen soll, ohne dass die Ermittler irgendeinen Hinweis auf die Zusammenhänge haben. Die ersten Befragungen führen positiv für die Gesamtspannung eher ins Nichts.

Nach dem ersten einführenden Drittel des Buches erweitert Miriam Pharo den Rahmen, indem sie verschiedene weitere „Gruppen“/Organisationen einführt. Zum einen in der bekannten Kritik an global agierenden Konzernen wird auf „Glob4Kic!“ eingegangen, die unter anderem den alltäglichen Karneval in Venedig organisieren und dabei nicht nur die Belustigung der Millionen von Zuschauer im Sinn haben. Mit der Bruderschaft der Schwarzen Schlange wird eine Geheimorganisation eingeführt, die eher mechanisch zu einer Bedrohung stilisiert wird, ohne dass ihre Strukturen und vor allem ihre eher ambivalent erscheinenden Ambitionen weiter extrapoliert werden. Bei der Bruderschaft verschenkt die Autorin das meiste Potential, während die sogenannte „Wölfin“ schon eher eine konkrete, für den Leser besser einschätzbare Bedrohung darstellt.

Trotz der mannigfaltigen Interessen verschiedener Gruppen – den wiederauferstandenen Farouche darf man nicht außer Acht lassen – hält die Autorin nach einigen Hängern im deutlich zu langen und teilweise sehr statisch geschriebenen Mittelteil das Tempo hoch. Nachdem im Grunde alle Erläuterungen bis auf die zynischen Kommentare im Epilog „ausgesprochen“ worden sind, bringt sie die einzelnen Gruppen/Individuen in Position und präsentiert einen harten, aber nicht zu brutal geschriebenen Showdown, der vielleicht nicht ganz an die Explosivität inklusiv der falschen Spur mit einem tödlich verwundeten Helden des zweiten Bandes heranreicht, aber zufriede stellt. Vor allem, weil Elias Koskoff und Louann Marino zwar an allen signifikanten Aktionen direkt oder indirekt beteiligt sind, sie aber nur selten beeinflussen können. Ihre Ermittlungen wirken manchmal eher wie eine aufnahmetechnische Zusammenfassung der verschiedenen Ereignisse. Durch diese Verschiebung der Perspektive entgeht die Autorin der Versuchung, ihre „Helden“ zu überdimensional, zu allmächtig in einer im Grunde außer Kontrolle geratenen und weder regierbaren noch zu ordnenden Stadt darzustellen.

Während der Handlungsverlauf zufriedenstellend bis gut ist, irritieren weiterhin die Infobreaks. Im ersten Roman stellten sie kompakt für den Leser notwendige Informationen zur Verfügung. Inzwischen hat man sich ausreichend in diese futuristische Welt eingelesen, dass insbesondere die im dritten Band präsentierten Begriffe erklärungstechnisch eher wie eine Formalität erscheinen. Es wäre sinnvoll, das inhaltliche Spektrum dieser „Info breaks“ zu erweitern und auf wichtige Nachrichten, politische Zusammenhänge oder Smalltalk einzugehen, um den zumindest über weite Strecken interessanten, aber irgendwie zweidimensional erscheinenden Hintergrund plastischer auszuarbeiten.

Zu den Stärken und Schwächen des Romans zugleich gehört die Zeichnung aller Pro- und Antagonisten. Gleich zu Beginn wird Elias Kosloff von einem aufdringlichen Polizisten auf ihre Liebesnacht/ihren sexuellen Kontakt 48 Stunden nach ihrer dienstlichen Begegnung hingewiesen. Der Roman selbst schließt auf einer emotional positiven Note, das Wort Happy End wäre zu stark. Dazwischen versuchen sich Kosloff und Louann Marino zwischen den Ermittlungen zu positionieren. Herauszuheben ist, dass sich die Autorin nicht vor käuflichen Sex durch Frauen scheut, auch wenn es Louann Marino als moralischer wie unnötiger Ausgleich peinlich ist, diese monetär getriebene Art der sexuellen Befriedigung direkt wie indirekt zuzugeben. In diesem Punkt macht der „Info break“ auch wenig Sinn, da Schwarzmärkte nach der gesetzlichen Genehmigung erstens zurückgehen und zweitens zu wenig über die Bargeldsysteme bekannt ist, um eine derartige Schattenwirtschaft zu rechtfertigen. Während Kosloff eher als der coole, aber doch empfindsame Macho dargestellt wird, zeichnet die Autorin von der deutlich sympathischeren und im vorliegenden Roman auch zielstrebiger agierenden Louann Marino ein ambivalenteres Bild.

Das Problem des vorliegenden Buches ist eher, dass sich die beiden Protagonisten nach Sex und Lebensrettung in den ersten beiden Abenteuern nicht weiter aufeinander zu bewegen und ihre Beziehung sich mit einer Art künstlichen Vakuum vergleichen lassen kann. In dieser Hinsicht enttäuscht „Präludium“.

Bei den Schurken ragt zumindest der Hehler Aldo Farouche aus dem Einheitsbrei heraus. Die Autorin bemüht sich, seine Motive genauso dreidimensional zu zeichnen wie seine Verwirrung, als er erkennt, dass er im Grunde zu einem unwilligen Werkzeug reduziert worden ist. Wie schon angesprochen löst die Autorin im Grunde ein wenig frustrierend eine dramatische Sterbeszene im Verlaufe der Handlung wieder auf. Vielleicht wäre es sinnvoller gewesen, den Hehler gänzlich zu opfern und einen weiteren Hintermann beziehungsweise eine weitere Hinterfrau einzuführen, da Farouches angeblicher Tod das schwächste Glied bei den Ermittlungen der beiden Polizisten ist. Alle anderen Figuren wirken teilweise ein wenig zu eindimensional, zu funktional beschrieben. Sie haben ihren mehr oder minder gewichtigen Auftritt und verschwinden wieder im Hintergrund. Vor allem angesichts des interessanten Hintergrunds hätte sich der Leser mehr markante und besser beschriebene Antagonisten gewünscht.

Die Idee, einen Roman auf Chopins „Präludium“ aufzubauen und demzufolge auch in 24 Kapitel einzuteilen, ist ohne Frage originell und gleichzeitig eine Herausforderung. Vor allem wenn man neben den ScienceFiction-Elementen auch eine Krimihandlung integrieren möchte. Es ist nicht unbedingt notwendig, diese von der Autorin absichtlich gewählte Prämisse zu kennen, um von dem Buch zufriedenstellend bis teilweise insbesondere im ersten Drittel gut unterhalten zu werden. Insbesondere im wie schon angesprochen etwas schwerfälligen Mittelteil leidet die Handlung unter dem Korsett, das die Einteilung in 24 Kapitel bildet. Mancher Schwenker hätte eleganter, direkter und vor allem effektiver aufgelöst werden können. Umfangreich ist der Plot vielleicht zwanzig Prozent zu lang geraten.

Alexander Preuss hat allerdings ein schönes, interessantes, die beiden Extreme des Romans – die Mystik des alten Ägyptens und den ewigen Karneval Venedigs – verbindendes Titelbild erschaffen.