Auf der Suche nach dem Einhorn (Comic)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Dienstag, 01. Dezember 2009 00:00
Emilio Ruiz und Ana Miralles
Auf der Suche nach dem Einhorn
Nach dem Roman »En busca del unicornio« von Juan Eslava Galán, 1987
(A la recherche de la licorne, 2008)
Aus dem Französischen von Marcel Le Comte
Titelgestaltung von Wolfgang Berger
Ehapa, 2009, Hardcover, 160 Seiten, 39,95 EUR, ISBN 978-3-7704-3306-3,
Von Irene Salzmann
Im Jahr 1471 beauftragt der König von Kastilien Juan de Olid und eine Truppe Armbrustschützen mit einer heiklen Mission: Sie sollen das legendäre Einhorn finden, das angeblich in Afrika lebt, und sein Horn, aus dem man wunderliche Mittel bereiten kann, mitbringen. Um es gefangennehmen zu können, reist die schöne Dona Josefina mit den Männern, denn der Legende nach zähmt die Nähe einer Jungfrau das Tier.
Schon auf den ersten Etappen muss Juan erfahren, dass dieses Unternehmen noch schwieriger ist, als befürchtet. Die Führer sind wenig zuverlässig, die Schützen murren, wenn sie keinen Wein und keine Frauen bekommen, und so mancher scheint insgeheim auf Verrat zu sinnen. Juan selber verzehrt sich nach Dona Josefina und lässt sich auf eine Affäre mit deren Zofe Inesilla ein, die aber auch einen seiner Leute, Andrés, sehr zu mögen scheint.
Mit dem Schiff setzen sie nach Afrika über und müssen entscheiden, welchem Mauren-Fürst, der ihnen ein Bündnis anbietet, um mit Hilfe der Schützen einen Rivalen ausschalten zu können, sie vertrauen wollen. Ohne die Zustimmung des siegreichen Fürsten will keine Karawane die Kastilier mitnehmen. Juan trifft die richtige Wahl, und so geht die Reise weiter, aber ohne Dona Josefina, die keine Jungfrau mehr ist.
Die Kastilier und ihre Begleiter dringen immer weiter nach Süden vor, in Gefilde, die noch nie ein Christ betreten hat. Juan kämpft gegen untreue Verbündete, Verräter in den eigenen Reihen, das Klima, die Wildnis, Krankheiten und feindselige Stämme. Seine Begleiter werden weniger und weniger. Und schließlich stoßen sie auf das legendäre Einhorn, ein hässliches und gefährliches Tier …
Das prächtige Hardcover-Album »Auf der Suche nach dem Einhorn« beinhaltet die komplette Comic-Geschichte, die Emilio Ruiz und Ana Miralles nach dem Roman des Autors Juan Eslava Galán schufen. Im Anhang, bestehend aus Interview und Skizzen, erfährt man Näheres über die Künstler und die Entstehung des Comics.
Zwischen den überwiegend phantastischen oder komödienhaften Werken francobelgischer, spanischer und italienischer Autoren und Zeichner sticht der vorliegende Titel hervor, denn er ist doch etwas anderes, nämlich eine realistisch inszenierte, abenteuerliche Erzählung aus dem Zeitalter der großen Entdeckungsreisen, wie sie sich wirklich zugetragen haben könnte.
Vor allem aus der Sicht von Juan de Olid wird geschildert, was den Männern und Frauen auf ihrer viele Jahre dauernden, gefährlichen Reise widerfährt. Der Protagonist ist ganz ein Kind seiner Ära, voll des Aberglaubens und der Vorurteile, der seine Beobachtungen und die Ereignisse mit Kommentaren belegt, die seinem begrenzten Horizont und religiösen Empfinden entsprechen.
Die Arroganz und das Überlegenheitsgefühl der Weißen beziehungsweise der Christen, die sich als Heilsbringer verstehen, kommt dabei genauso zum Ausdruck, wie das abwartende und abwägende Verhalten der Sarazenen und Mauren, die ihre eitlen Gäste heimlich belächeln, und die Neugierde, die Gastfreundschaft, aber auch das berechnende oder kriegerische Auftreten der schwarzen Völker. Verschiedene Mentalitäten treffen aufeinander, und Juan betreibt eine gefährliche Gratwanderung zwischen Einsicht und Starrsinn, Wohlwollen und Überheblichkeit, echter Freundschaft und Kalkül.
Die einzelnen Charaktere sind individuell gezeichnet: In Andrés findet Juan einen zuverlässigen Begleiter, Bruder Jordi erweist sich als ein aufgeschlossener und gebildeter Mönch, der ihm immer mit Rat und Tat zur Seite steht, ohne den gewandten Dolmetscher Paliques wäre die Reise wohl schon früh gescheitert, der geckenhafte Manolito macht keinen Hehl aus seinem Interesse an attraktiven Männern, das Narbengesicht tritt immer wieder als Aufrührer und schließlich Verräter auf – und es gibt noch viele mehr, die ihren Teil zur abwechslungsreichen Handlung beitragen.
Diese ist spannend und verzichtet ganz auf billige Action- und Splatter-Szenen. Man begleitet die Expedition und bestaunt mit den Kastiliern die Pracht der Städte Nordafrikas, die Weite der Sahara, die Üppigkeit des Dschungels, die fremdartigen Tiere der Savanne etc. Gefahren für die Gruppe ergeben sich von ganz allein und sorgen für so manche Tragödie. Und auch als das Einhorn gefunden wird, ist die Geschichte noch nicht vorbei, denn Juan muss sich auf den beschwerlichen Rückweg begeben – und nach gut zwanzig Jahren ist seine Welt nicht mehr dieselbe.
Auch wenn die Mission im Vordergrund steht, so wird auch etwas Platz für Romanzen und Affären eingeräumt. Nicht alle Liebesbeziehungen enden glücklich. Die Bedürfnisse von Frauen und Männern werden ganz natürlich eingebunden, und auch an den Darstellungen ist nichts Anstößiges.
Der Comic bemüht sich, neutral zu berichten und das Werten den Lesern zu überlassen. Tatsächlich wird Gutes nicht belohnt, Böses nicht bestraft. Wie im ›richtigen Leben‹ kommen auch hier jene am besten davon, die es nicht verdient haben. Juan hat vieles gesehen, erlebt und überlebt, aber letztlich hat er alles verloren, was ihm etwas bedeutet hatte, und er hat keine Ziele mehr. Was bleibt, ist die bittere Frage: Wofür das alles …?
»Auf der Suche nach dem Einhorn« beschreibt ohne Beschönigung und Pathos die Strapazen und Gefahren einer langen Reise, die Wunder unbekannter Länder, große und kleine menschliche Dramen. Der Leser wird in die Handlung hinein ezogen, die voller Details ist – inhaltlich und zeichnerisch. Man kann das Buch nicht mehr weglegen, bevor man nicht die letzte Seite umgeblättert hat. Juans Geschichte fasziniert, die dichte Atmosphäre nimmt gefangen, die realistischen, aufwändigen Zeichnungen überzeugen.
Der Band ist ein großartiger, geschichtlich orientierter Abenteuercomic, der vor allem den Fantasy-Fans und Freunden spannender Historien-Spektakel gefallen wird. Schätzt man Titel wie »Die Druiden«, »Das Einhorn« oder »Kreuzzug« (alle erschienen im Splitter Verlag), wird man auch von diesem epischen Comic begeistert sein.