Rudolf Kühnl: Der Zweiling (Buch)

Rudolf Kühnl
Der Zweiling
Titelillustration von Jörg Jaroschewitz
VPH, 2010, Paperback, 594 Seiten, 16,90 EUR, ISBN 978-3-937544-93-9

Von Carsten Kuhr

Christoph ist seit einigen Jahren arbeitslos. Seine wenigen Ersparnisse sind aufgebraucht, seine Freunde haben sich in Luft aufgelöst, sein Vermieter hat ihm gekündigt. Das Leben ist vorbei, so dass er depressiv beschließt, demselbigen ein Ende zu setzen. Der Sprung von der Brücke scheitert noch an den eben deswegen dort angebrachten Gittern, doch es gibt ja noch S-Bahnen, vor deren Gleise man sich werfen kann.

Dann beginnt die Sache merkwürdig zu werden. Statt ihn tödlich zu überrollen bremst die Bahn, die Tür geht auf und ein Mädchen mit uralten Augen übergibt ihm ein gesiegeltes Schreiben und die Visitenkarte einer Firma, bei der er sich am nächsten Morgen vorstellen soll. Gesagt, getan und schon hat er einen Job. 5000 Euro wollen sie ihm freiwillig als Anfangsgehalt bezahlen und das nur nach einem Speichel-DANN-Test. Und für was soll er so verdächtig hoch besoldet werden? Geldwäsche, Drogen, das organisierte Verbrechen? Nein, man eröffnet ihm eine viel phantastischere Geschichte.

Ausgerechnet er sei ein Zweiling, ein Abkömmling eines Menschen und eines Bewohners einer Parallelwelt. Dass ausschließlich die Zweilinge die Fähigkeit haben durch Baumtore zwischen den Welten zu reisen, macht ihre Dienste so wertvoll. So werden Edelmetalle von unserer Erde exportiert, Zaubersprüche importiert. Verrückt oder? Hat der Suizidversuch doch geklappt, sind das die letzten Visionen, die ihm sein sterbendes Gehirn da vorgaukeln, bevor er die Reise ins Nichts antritt?

Der Durchgang durch eines der Baumtore belehrt ihn eines Besseren. Hier, in seiner eigentlichen Heimat, verwandelte er sich nicht nur äußerlich. Fell an den Ohren, Klauen statt Finger, dabei aber auch mit einem langen Leben, einem kräftigen und gesunden Körper ausgestattet, macht er sich auf, den Auftrag, den eigentlich sein Begleiter und Lehrmeister erfüllen sollte, zu erledigen. Dass Thaa`ardén ein blutiger Bürgerkrieg ins Haus steht macht seine Mission nicht eben leichter, zumal sein Führer durch einen magischen Pfeil getötet wird. So sucht und findet Christoph neue Freunde, Verbündete und Führer, erforscht die Welt, aus der er dereinst abstammte, und sucht letztlich seinen Platz in einer der beiden Sphären.

Auf seinem Weg trifft er auch mit Anhängern der Rebellen zusammen. Die Großen Alten sollen geweckt, die Umkehrung der Sphären eingeleitet werden – so die Aussage des Erweckten. Dessen neu eingeführte, monotheistische Religion von dem Einen, einzig wahren Gott, dessen Propheten Buddha, Mohammed und Jesus der Religion ihren Namen Budjesmoh verleihen, strömen die Rebellen zu, die Trennung der Sphären scheint tatsächlich in Gefahr zu sein. Magie würde in der Erdenwelt funktionieren, die Maschinengewehre und ähnliche Errungenschaften dafür in Thaa`ardén. Um dies zu verhindern setzen die Herrscher eine Hexe, Zauberer, Magier und ganze Heerscharen in Marsch.

Um seine Gläubiger bei der Stange zu halten benötigt der Erweckte dringend die alten Schriften der Jünger – und nun raten sIe einmal, wer ihm diese beschaffen soll? So wird Christoph unfreiwillig in den Krieg hineingezogen und hat seine liebe Mühe; dem Erwecker, der die Weisheit für sich gepachtet haben will, aber auch den Adeligen zu entkommen…

Im Verlag Peter Hopf erschienen schon vor geraumer Zeit einige wenige auch phantatische Bücher. Danach konzentrierte sich der Herausgeber erfolgreich auf ebooks, bevor man sich nach Übergabe dieser an story2go zunächst auf Regionalkrimis konzentrierte. Nach wie vor aber hat der Verleger und Verlagsinhaber Peter Hopf auch ein Faible für die Phantastische Literatur. Neben der Romanadaption von Wäschers Tibor erschienen im Lauf der Jahre auch drei umfangreiche Romane eines mir bis dato unbekannten deutschen Autors.

Rudolf Kühnl legt mit „Zweiling“ einen interessanten Fantasy-Roman vor. Mit den Parallelwelten der Sphären verbindet der Autor dabei geschickt unsere bekannte Umgebung mit einem archaischen Setting, in der phantastische Wesen, Zauberer und Abenteuer auf unseren Protagonisten warten. Auffällig dabei, dass die Kapitel jeweils einen Umfang von fast 100 Seiten, noch dazu klein gesetzt, haben, man bekommt also viel Text für seinen Obolus. Erstaunlich dabei, dass sich das Buch, trotz der Tatsache, dass sich der Autor nicht eben kurz fasst, kurzweilig und spannend liest.

Inhaltlich bewegt sich der Autor auf bekanntem Terrain. Die archaische Welt mit ihrem Feudalsystem, den unterschiedlichen Religionen und einem gewissen Kastensystem, das einen sozialen Aufstieg behindert, sind bekannte Versatzstücke. Interessant dann, dass Kühnl erfolgreich versucht, hier ein wenig Gesellschaftskritik einfließen zu lassen. Sei es, dass er Korruption anprangert oder die allein selig machende Religion und ihren jeweiligen Vertreter kritisiert, hier trifft er zum Teil deutliche, aber nie aufgesetzt wirkende Aussagen.

Stilistisch unauffällig und angenehm zu lesen fiel mir lediglich bei der wörtlichen Rede auf, dass es der Autor mit dem hä, hä, hä und hi, hi, hi ein wenig übertrieben hat. Hier wäre ein begleitende Ausdruck wie „schmunzelnd“ oder „lachend“ eleganter gewesen um die Heiterkeit des Sprechenden auszudrücken.

Ansonsten wartet spannende Unterhaltung voller unerwarteter Wendungen in einer eigenen Welt auf den Leser, die den Vergleich zu angloamerikanischen Vorbildern nicht zu scheuen braucht.