Stephen King: Zwischen Nacht und Dunkel (Buch)

Stephen King
Zwischen Nacht und Dunkel
(Full Dark, No Stars, 2010)
Aus dem Amerikanischen von Wulf Bergner
Heyne, 2012, Taschenbuch, 528 Seiten, 9,99 EUR, ISBN 978-3-453-43634-3 (auch als eBook erhältlich)

Von Gunther Barnewald

Der vorliegende Band enthält vier „kürzere” Werke des Meisters, wobei aus den ersten beiden Erzählungen noch vor einigen Jahrzehnten ein jeweils eigenständiges Taschenbuch entstanden wäre.

Während „1922” immerhin 185 Seiten hat, bringt es „Big Driver” auch noch auf fast 160. Nur der dritte Text mit dem Titel „Faire Verlängerung” kann mit etwas mehr als 40 Seiten als Story bezeichnet werden, während die letzte Geschichte, „Eine gute Ehe”, mit knapp 120 Seiten als einziges die Länge einer Novelle hat. Da aber heutzutage oft nur noch dickere Bücher wahrgenommen und gekauft werden, erscheinen alle in einem Band, was aber durchaus Sinn ergibt, haben alle vier ein ähnliches Thema, welches unter dem Oberbegriff „Vergeltung” subsumiert werden könnte.

So tötet in „1922” ein Ehemann seine Frau mit Hilfe des 14jährigen Sohnes, den er vorher dazu überredet hat, da die Ehefrau wegziehen und ihr Erbe verkaufen will, was den Besitz der gemeinsamen Farm gefährden würde. Doch der Mord bringt den Tätern kein Glück, wie eine Lawine bricht immer größeres Unglück über beide herein und zerstört deren Leben...

Im zweiten Werk wird eine Krimiautorin nach einer Tageslesereise in eine Falle gelockt, vergewaltigt und als tot an einem einsamen Ort abgelegt. Doch sie lebt, kann sich glaubhaft tot stellen und schließlich sogar entkommen. Zuerst will sie die Polizei alarmieren, aber ihre Schamhaftigkeit verbietet dies und immer mehr kommt sie auf die Idee, selbst Rache zu nehmen und alle an der Tat beteiligten aufzuspüren und auszulöschen. Und da in den USA auch „ältliche Jungfern” bewaffnet sind...

In „Faire Verlängerung” erkauft sich ein Mann eine längere Lebenszeit, indem er jemand anderen ans Messer liefert, den er schon immer gehasst hat. Hier zeigt der Protagonist auf sehr eindrückliche Art und Weise, was es heißt, wenn man zu jemandem sagt: „Wer dich zum Freund hat, der braucht keine Feinde mehr”.

Im letzten Text entdeckt eine zufriedene Ehefrau nach fast drei Jahrzehnten Ehe, dass ihr Mann schon seit seiner Jugend ein entsetzliches Doppelleben führt. Aber auch er entdeckt sofort, dass sie ihn entdeckt hat...

Alle vier Geschichten sind wie immer spannend und fesselnd zu lesen. Es würde nicht verwundern, wenn die eine oder andere verfilmt würde, denn die Bilder, die der Autor von den Augen des Lesers entstehen lässt, sind wahrlich eines Meisters unter den Schriftstellern würdig. Zumal gerade aus Kings kürzeren Texten nicht die schlechtesten Verfilmungen entstanden sind, man denke hier nur an „Stand by Me – Das Geheimnis eines Sommers“, „Die Verurteilten“ oder „Der Musterschüler“, um nur einige Beispiele zu nennen.

Besonders packend sind dabei die beiden ersten Erzählungen, denn sowohl die Farm des Jahres 1922 und die Menschen dieser Zeit und ihre Denkweise werden sehr plastisch vor den Augen des Lesers, als auch die überzeugende Protagonistin und deren grausames Schicksal in „Big Driver” nimmt den Leser für sich ein. Neben den Protagonisten besticht vor allem die authentisch wirkende Atmosphäre.

Auch die kurze Story „Faire Verlängerung”, obwohl scheinbar weniger brachial zu Beginn als die beiden ersten, zeigt ihr Horrorgesicht im Verlauf der Handlung immer drastischer. Sie ist vielleicht, trotz ihrer Kürze, sogar der beste weil einfallsreichste Text im vorliegenden Band, zumal King dem alten Sujet des Pakts mit dem Teufel hier einen wunderbaren neuen Dreh verpasst. Sie dürfte Balsam auf die Seele jedes Paranoikers sein, der schon immer wusste, dass gerade die besten Freunde die wahrlich schlimmsten Feinde sein können.

Deutlich schwächer dagegen die Novelle „Eine gute Ehe”, in der zwar die Ausgangssituation wunderbar erdacht ist, die Fortgang der Handlung aber doch etwas zu wünschen übriglässt. Hier wäre ein kräftiger Schuss Paranoia und ein sich gegenseitig Belauern der Ehepartner eher die Methode gewesen, die Spannungsschraube effektiver anzuziehen. So aber bleibt der Leser hier eher indifferent, alles löst sich zur allgemeinen Zufriedenheit auf, was arg enttäuschend scheint, der Spannungsgehalt hält sich in Grenzen. Zu glatt für alle, auch für den Leser, endet dieser Text, bei dem man als Einziges hier veröffentlichtes Werk das Gefühl nicht los wird, der Autor habe nicht das Optimale aus der Vorlage herausgeholt, vor allem emotional nicht. Die Stärke der drei anderen Texte, dass man als Leser hin und her geworfen wird in der Bestimmung von Gut und Böse, von Recht und Unrecht und von der Frage, auf wessen Seite man sich emotional schlagen soll, fehlt bei „Eine gute Ehe leider völlig”. Hier ist von Anfang an alles klar, die Karten sind verteilt und das Ende klischeehaft absehbar. Schade um die schöne Grundidee!

Insgesamt ist das vorliegende Taschenbuch aber doch für alle Leser atmosphärischer Spannungsliteratur empfehlenswert, auch wenn die einzige Novelle hier enttäuscht. Wie bei den meisten kürzeren Texten des Autors gilt auch für „Zwischen Nacht und Dunkel“: Einfach anfangen zu Schmökern und dieses auf jeder Seite genießen so lange die Lektüre reicht, was in diesem Fall immerhin über 500 Seiten sind (oder, ohne die enttäuschende Novelle, auch fast noch 400)!