Lissa Price: Starters (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Dienstag, 03. April 2012 20:28
Lissa Price
Starters
Übersetzung: Birgit Ress-Bohusch
ivi, 2012, Hardcover, 400 Seiten, 15,99 EUR, ISBN 978-3-492-70263-8 (auch als eBook erhältlich)
Von Thomas Harbach
Es ist ungewöhnlich, wenn eine Autorin ihr Debüt zeitgleich in den USA und Deutschland feiert. Bei Lissa Prices Jugendbuch „Starters“ ist es der Fall. Nach mehreren Auslandsaufenthalten lebt die Amerikanerin inzwischen in der Nähe von Los Angeles. Bislang hat sie eine Reihe von Drehbüchern geschrieben. Wahrscheinlich ist deswegen „Starters“ ein derartig cineastischer Roman geworden, dessen stringenter Handlung temporeich und von der Grundidee ausgehend nicht unnötig komplex erzählt worden ist.
Der Hintergrund einer Dystopie – ein beliebtes Thema unter den Jugendbuchautoren der Gegenwart – wird im Verlaufe der Erzählung mittels kurzer, subjektiver Rückblenden weiter extrapoliert. Es ist aber die spektakuläre Ausgangsidee, die „Starters“ zu einem interessanten, wenn auch nicht gänzlich originellen Buch macht. Die Idee eines Identitätstausches – sei es zufällig oder kommerziell – ist im Rahmen der Science Fiction nicht unbedingt neu. Viele Autoren inklusiv Philip K. Dick haben sich mit den verschiedenen Möglichkeiten auseinandergesetzt. Es fällt sicherlich schwer, dieser Prämisse neue Impulse zu geben. Lissa Price geht dabei einen positiv ungewöhnlichen Weg, indem sie auf den ersten Blick die sozialen Umsetzungsmöglichkeiten ganz bewusst einschränkt, um im Mittelteil des Buches zu unterstreichen, das es immer wieder der Mensch ist, der sich nicht an die eigenen Regeln hält oder halten will.
In Lissa Prices Zukunft ist es für ältere und damit vermögende Menschen möglich, jugendliche Körper für eine begrenzte Zeit zu mieten. Das Bewusstsein des Heranwachsenden wird in eine Art Traumschlaf versetzt, während die Senioren – ohne dass die Autorin in die Details geht – in den anderen Körper versetzt werden. Dabei werden die Miet-Zeiten anscheinend von wenigen Stunden über mehrere Tage bis zu einem Monat im Vorwege festgelegt. Die Miete ist utopisch hoch, die neuen Inhaber dürfen den Körper nicht beschädigen aber die Grenzen sind anscheinend fließend – Sportarten sind anscheinend erlaubt, operative Verändernung oder auch – als Kompromiss dem Jugendbuchsektor geschuldet- offiziell sexuellen Verkehr haben. Trotz dieser fast willkürlich erscheinenden Einschränkungen ist die Nachfrage nach jungen Körper ungebrochen, und wie sich später herausstellt, das Dehnen der strengen Regeln alltäglich.
Die sechszehnjährige Callie Woodland lebt seit zwei Jahren zusammen mit ihrem jüngeren Bruder Tyrell auf der Straße. Ihre Eltern sind bei den Sporenkriegen ums Leben gekommen, sie selbst mussten wegen der sich ausbreitenden Epidemien fliehen. Anscheinend haben diese Sporen alle Menschen zwischen zwanzig und sechzig Jahren getötet. Auch eine der zahlreichen Ideen, die handlungstechnisch opportun in den Hintergrund des Romans gestreut werden, ohne dass die Autorin diese roten Fäden auch gesellschaftsrelevant zufriedenstellend extrapoliert. Auf jeden Fall ist die bekannte Zivilisation zusammengebrochen und Callie sucht in dem Vermieten ihres Körpers eine Möglichkeit, diesem täglichen Überlebenskampf auf der Straße zu entkommen. Die Vergütung könnte für zwei Jahre Miete in einer Mittelklassewohnung inklusiv des Fälschens der entsprechenden Mietverträge reichen (da es keine Menschen mehr zwischen zwanzig und sechzig Jahren in den USA mehr geben soll, eine überflüssig Vorsichtsmaßnahme, da es ausreichend leerstehenden Wohnraum geben sollte...). Als schließlich der Besitzer des von ihnen besetzten Hauses sie vertreibt, unterschreibt sie den Vertrag und vermietet ihren Körper für drei Sitzungen an ältere Menschen. Nach umfänglichen Untersuchungen, dem Einpflanzen eines Überwachungschips und zwei kurzen Vermietungen soll der letzte Auftrag über 30 Tage gehen. Natürlich geht hier etwas schief. Callie wacht wieder in ihrem Körper auf, der sich in einem der Reichen vorenthaltenen Vergnügungsviertel amüsiert. Anscheinend befindet sich noch eine zweite Stimme in ihrem Körper, die sie davor warnt, zur Organisation zurückzukehren, die die Vermietungen plant. Callie entschließt sich, diese dreißig Tage „bei vollem“ Bewusstsein auszukosten und das ihr unbekannte Selbstbildnis ihrer Mieterin zu imitieren. Erst nach einigen Tagen erfährt sie, dass ihr Körper anscheinend gemietet worden ist, um einen Mord zu begehen.
Lissa Price geht mit der Idee des Vermietens ausgesprochen bodenständig um. Während die Kooperation – es wird nicht ganz klar, ob es sich um ein Monopol handelt, nur dass sie erst seit einem Jahr unterwegs sind – die Objekte der Begierde sorgfältig behandelt und in den „Mietverträgen“ möglichst viel Verantwortung abzuschieben versucht, fühlt sich Callie eher wie ein Fahrzeug behandelt. Sie wird von innen und außen aufpoliert, während ihre Mieter mit den Körpern in der Realität wie mit einer Art Leihfahrzeug umgehen, das nach dem Gebrauch an der Straßenecke geparkt werden kann. Dieser überwiegend sehr gut und emotional beschriebene Kontrast macht die faszinierende Idee zugänglicher. Dass die entwurzelte Callie aus reiner Verzweifelung den Mietvertrag angesichts der verführerisch hohen Geldsumme unterschreibt, entspricht der Faust-Legende. Sie verkauft zwar nicht ihre Seele, aber ihren Körper. Ihren Skrupel überdeckt sie mit Verantwortungsgefühlen ihrem jüngeren Bruder gegenüber, den sie während der Traumphasen bei einem Freund lässt. Eine weitere emotionale Facette baut die Autorin ein, indem Callie offensichtlich ihrem bisherigen Beschützer mehr als freundschaftliche Gefühle entgegenbringt und mit der rituellen „Waschung“ durch die Kooperation zu einer jungen, sehr schönen Frau wird. Sie spült im übertragenen Sinne sich den Dreck der Straße aus dem Haar. In ihrer neuen, im Grunde nur geliehenen Welt, verliebt sie sich in einen ebenfalls jungen Mann, der in ihr mehr als ein „Callgirl“ für alte Menschen sieht. Dieser emotionale Zwiespalt drängt mehr und mehr in den Vordergrund, während sich Callie viel zu leicht in ihre neue Welt einleben und vor allem selbst ältere Menschen in anderen jungen Körpern, die Haushälterin und schließlich auch die Kooperation, eine gewisse Zeit täuschen kann. Manche Szene wirkt in dieser Hinsicht unglaubwürdig und zu stark konstruiert. Zumal die Autorin impliziert, dass sich die älteren Menschen zu Ihresgleichen gesellen und sich in den Vergnügungsviertel quasi eine eigene Nische mit einer Art Mietkörpertreff errichtet haben. Da müsste Callie aufgrund ihrer mangelnden Lebenserfahrung wie ein bunter Hund herausragen.
Informationen, wie sich die älteren Menschen auf die jungen Körper vorbereiten, finden sich im Buch nicht. So wirkt die grundlegende Idee auf der einen Seite erfrischend originell, auf der anderen Seite vermisst man ein tieferes Durchdringen der Prämisse, wie es zum Beispiel David Brin in seinem Roman „Copy“ sehr viel differenzierter und deswegen auch interessanter gemacht hat. Ohne Frage, das Zielpublikum sind Heranwachsende mit ihren Entfremdungs- wie in diesem Fall auch Zukunftsängsten, für die Erwachsene eine potentielle Bedrohung ihrer Freiheiten und ältere Menschen ein Unikum darstellen. Aber in manchen Punkten macht es sich die Autorin trotz der ausschließlich persönlichen und deswegen emotional ansprechenden Perspektive zu einfach.
Callie ist Dreh- und Angelpunkt des Romans. Lissa Price zeichnet ihre elementare Figur mit allen Ecken und Kanten. Sie ist aufgrund des Todes ihrer Eltern und der Verantwortung dem Bruder gegenüber frühzeitig erwachsen geworden. Als die beiden in einer der emotionalsten Szenen des Romans ihre ganzen Habe verlieren, ist die Entwurzelung komplett. Sie steht Geschenken kritisch gegenüber und hinterfragt sehr viel. Es ist schade, dass die Autorin nach der fehlgeschlagenen Vermietung diese Aspekte charakterlich nicht weiter extrapoliert.
Negativ gesehen ist Callie auch die einzige Figur, die rundum zufriedenstellend charakterisiert worden sind. Viele der Nebenfiguren erfüllen reine Funktionalitäten, wobei die Beziehung zu ihren kleineren Bruder noch zu den am meisten abgerundeten Bindungen gehört. Im bittersüßen Epilog spielt die Autorin mit den verdeckten Identitäten und hält Callie vielleicht ein wenig überzogen auch den Spiegel vors Gesicht.
In der inzwischen verfassten Fortsetzung „Enders“ – hier liegt der Fokus auf den älteren Menschen, welche die Jugendlichen mieten – sucht Callie die direkte Konfrontation mit dem alten Mann, der hinter der Körpervermietungsfirma steht. Er ist vielleicht der ambivalenteste Schurke des ganzen Romans. Die Autorin vermeidet sicherlich geschickt die obligatorische Schwarzweiß-Zeichnung der Schurken, des Establishments und löst eine Reihe von sich in Callie aufgebauten Vorurteilen interessant wieder auf. „The Old Men“ bleibt auch angesichts seiner Anonymität ein Enigma.
Der Kriminal- und spätere Verschwörungsplot zu Gunsten einer Art Jugendschutz vor den vermögenden Altern mit dem Mord in einem angemieteten Körper macht auf den ersten Blick wenig Sinn. Die ältere Dame Helena hat angeblich Callie angemietet, um der Gesellschaft einen Gefallen zu tun. Anscheinend will die Kooperation im nächsten Schritt ein permanentes Mietverhältnis mit entführten Jugendlichen beziehungsweise Straffälligen anbieten. Diese lebenslange Versklavung möchte Helena verhindern. Dabei hat sie selbst in ihrem alten Körper mehr Möglichkeiten, die aus ihrer Sicht Verantwortlichen auszuschalten, als erstens auf Callies egal wie attraktiven Mietkörper zurückzugreifen und zweitens eine Unschuldige in das Geschehen zu verwickeln. Diese Rücksichtslosigkeit ist in Helena zu wenig angelegt. Vor allem verzettelt sich Lissa Price im Verlauf der zweiten, sehr dynamischen Hälfte viel zu sehr in kleinen Klischees. Callies Bruder wird entführt, sie selbst landet in einem Hochsicherheitstrakt eines Gefängnisses. Callie steht zu sehr im Mittelpunkt des Geschehens und offeriert genau die Schwachstellen, welche die Kooperation für ihre Intentionen benötigt. Dass dieses neue Angebot dann auch noch über die üblichen Vermarktungskanäle gleichzeitig und vor allem vor der Etablierung gesetzlicher Grundlagen unabhängig von den sozialen wie gesellschaftlichen Implikationen angeboten wird, erscheint überambitioniert und eher cineastisch dramatisch ausgeschlachtet denn sorgfältig vorbereitet. Das hohe Tempo verhindert ein weitergehendes Nachdenken über die diversen Klippen der Verschwörungstheorie.
Zusammengefasst ist „Starters“ ein trotz der zahlreichen angesprochenen Schwächen überwiegend interessanter, erzähltechnisch lesenswerter Roman, dessen Plot mit einem sehr hohen Tempo abläuft. Die Prämisse ist griffig, wenn auch nicht unbedingt neu. Die große Verschwörungstheorie walzt einige interessante Ansätze zu dramatisch nieder. Der soziale Hintergrund der Geschichte ist eher opportun, denn wirklich ganz durchdacht entwickelt worden. Immer wenn die Aufmerksamkeit der Autorin einen Moment nachlässt, greifen die gegenwärtigen Verhältnisse wie Vormundschaften und Volljährigkeit in einer Welt, die zwei Generationen von Menschen nicht mehr kennt. In Bezug auf die Identität, die einen Menschen ausmacht, bleibt Lissa Price noch ein wenig oberflächlich. Ihr gelingt es zu wenig, die Figuren wirklich überzeugend auszugestalten und manche Reaktion wird leider von einer eher klischeehaften Aktion hervorgerufen.