Iain Banks: Krieg der Seelen (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Samstag, 17. März 2012 20:04
Iain Banks
Krieg der Seelen
Übersetzung: Andreas Brandhorst
Heyne, 2011, Paperback, 800 Seiten, 15,99 EUR, ISBN 978-3-453-52871-0 (auch als eBook erhältlich)
Von Thomas Harbach
Mit „Krieg der Seelen“ – im Original doppeldeutig „Surface Detail“ – liegt der erste neue und „echte“ „Culture“-Roman seit mehr als einer Dekade vor. „Blicke windwärts“ spielte in erster Linie in den Orbitalen. „Sphären“, als im „Culture“-Universum spielender, aber eher dezentraler Roman, konzentrierte die Idee der künstlich geschaffenen Welten auf eine an das Niveau des 18. Jahrhunderts erinnernde sehr menschliche Gesellschaft, ohne die Stärken dieses im Jahre 1987 mit „Bedenke Phlebas“ begonnenen Universums zu extrapolieren.
„Krieg der Seelen“ könnte man zumindest phasenweise als eine Mischung aus Ideen des „Faust“ in Kombination mit typischen Revenge-Filmen sehen, in denen sich Frauen verschlagen an ihren Peinigern rächen. Eine Freude an nicht selten auch sexuellem Sadismus – niemals expliziert, aber zumindest zwischen den Zeilen gut erkennbar – durchzieht Banks Science-Fiction- wie Mainstream-Romane. Grausiger Höhepunkt sicherlich die Ummodellierung eines Mannes durch Häuten zu einem Stuhl. „Krieg der Seelen“ nutzt die Ideen einer eher fiktiven wie virtuellen Hölle, um eine Reihe von Exzessen aneinanderzureihen, ohne dass im Vergleich zu einigen anderen Banks-Romanen die emotionale Ebene gänzlich verloren geht.
„Krieg der Seelen“ beginnt mit der jungen Lededje, die sich in einem Opernhaus vor ihrem Herrn und Meister Veppers versteckt. Dieser hält die junge attraktive Frau als Sklavin, sie ist ihm – wie sich später herausstellt – quasi durch Betrug an ihrem Vater in die Hände gefallen. Sowohl ihre Haut als auch ihre inneren Organe sind tätowiert und sollen nach außen ihren Besitzstand symbolisieren. Schon mehrmals hat sie versucht, der Sklaverei zu entkommen. Als Veppers sie fängt, beißt sie ihm die Nasenspitze ab, woraufhin er sie erwürgt. Da der Tod in der „Culture“ selten das endgültige Ende ausmacht, wird Lededje quasi reinkarniert und in einem neuen Körper wieder zum Leben erweckt.
Ihre Rache, dank gütiger Unterstützung durch die „Culture“, einem Avatar und die gigantischen von künstlichen Intelligenzen mit mehr oder minder sarkastischen Dialogen das Geschehen begleitenden gigantischen Raumschiffen, nimmt einen Großteil des Romans ein. Egal wie komplex der Hintergrund gezeichnet und wie dreidimensional ein Teil der handelnden Charaktere ist, dieser Abschnitt des Romans bleibt eine komplexe, nicht unspannende, aber auch angesichts der Fülle ähnlichen Materials auch nicht besondere originelle Handlungsebene. Da Veppers aufgrund seiner zahllosen Geschäftskontakte schon mehrmals direkt oder indirekt in Kontakt mit der „Culture“ getreten ist, ahnt er beim Verbrennen von Lededjes Leiche, dass ihm ein Streich gespielt worden ist. Zumindest Lededjes Bewusstsein lebt irgendwo weiter. Warum er dann allerdings vermessen arrogant diese Gefahr eher ignoriert und vor allem bei seinen eigenen komplexen „Alles oder Nichts“-Plänen auf diesen Joker wenig Rücksicht nicht, bleibt ein Geheimnis des Autors. Die finale Konfrontation ist cineastisch inszeniert, wenn auch wie Manches in diesem Banks-Roman vorhersehbar. Im Gegensatz zu den ersten „Culture“-Romanen, deren zynischen das Geschehen nicht selten auf den Kopf stellenden Enden markant und erwähnenswert sind, bemüht sich Iain Banks enttäuschenderweise nicht einmal, ein letztes As aus dem K.I.-Ärmel zu ziehen. Dramaturgisch alles solide erzählt, aber leider nicht mehr als solide.
Die Handlungsebene lebt in erster Linie von der sympathischen Lededje, die sich schon als einfache missbrauchte Sklavin aus harten Holz erwiesen hat und die in der futuristischen emotionslosen Welt der „Culture“ förmlich aufblüht, wobei sich Banks nur oberflächlich in die Psyche einer Frau hineindenkt, die tausende von Malen vergewaltigt worden ist und trotzdem als erstes in dieser neuen Welt an Sex denkt. Mit Veppers als arrogantem, selbstverliebtem und widerwärtig schleimigen Geschäftsmann wird ein ausreichend bösartiger Antagonist etabliert, der buchstäblich über Leichen geht. Lededje dagegen zeigt schon beim Vollzug ihrer Rache nicht aus dem Affekt heraus, sondern geplant die notwendigen Skrupel, um sie als gut, wenn auch nicht gänzlich unschuldig durchgehen zu lassen.
Positiv ist, dass diese Rachegeschichte nicht nur in dem immer noch faszinierenden Hintergrund der „Culture“-Geschichten eingebettet worden ist, sondern dass Erzähler Iain Banks quasi als Dreingabe noch weitere Schicksale bislang sterblicher Wesen beschreibt. Der Tonfall dieser Handlungsebenen ist nicht so ernst wie Lededjes/Veppers Konfrontation und die Selbstironie tut dem stellenweise sehr stark aufgeblasenen und viel zu eloquent sowie zu wenig stringent erzählten Gesamtgebilde gut.
Während die auf den ersten Blick zugänglichste Handlungsebene sich mit den Verteidigungskräften der „Culture“ in Person der Freiwilligen Yime und deren Kampf gegen einen unbekannten, aber den bislang gigantischen Kräften der „Culture“ ebenbürtigen Feind auseinandersetzt, infiltrieren auf der titelgebenden Plotebene Chay und Prin, zwei an Elefanten erinnernde Aliens, die „Hölle“. Und das, was in einem Iain-Banks-Science-Fiction-Roman unter „Hölle“ verstanden wird. Die Idee, dass die Seelen der Verstorbenen quasi aufgenommen und mittels Avatars wiedergeboren werden, ist nicht nur in Banks Romanen. Diese Art der Reinkarnation in unterschiedlichsten Formen hat der Autor schon in früheren Büchern aufgegriffen. Einige Zivilisationen haben sich dank virtueller Realität der Aufgabe angenommen, ihren Verstorbenen kein angenehmes Nachleben zu bescheren, sondern haben mit sehr viel Hingabe diese Höllen geschaffen, in denen sich Chay und Prin, später auch zwischenzeitlich Lededje, verirren. Das Schicksal der Höllen ist eng mit dem bislang eher virtuellen Kampf auf Yimes Handlungsebene verknüpft. Als die Gegner der Höllen die Auseinandersetzung zu verlieren drohen, versuchen sie den bislang virtuellen Kampf in eine oder die Realität hinüberretten und dabei Menschen/Wesen endgültig zu vernichten. Ein in Banks vielschichtigem Universum eher abartiger Gedanke, der die verschiedenen gewalttätigen Auseinandersetzungen greifbarer und weniger fiktiv erscheinen lässt. Die Idee dieser Höllen passt hinsichtlich ihrer Perversität in das dunkle Universum, das Banks in seinen bisherigen Romanen gezeichnet hat. Sie ermöglicht es ihm, in den stärksten Passagen des Buches eine Reihe von eindrucksvollen Bildern zu kreieren und sich von der Einfachheit der Lededjes-Handlungsebene zu lösen.
Wie in verschiedenen anderen „Culture“ Romanen stellt Banks gerne individuelle Schicksale gegen „größere“, nicht immer real zu erfassende Ziele. Mit den Höllen wird diese Idee nicht unbedingt fokussiert auf eine teilweise philosophisch religiöse Ebene gehoben, die Banks nicht immer zufriedenstellend untermauert. So fehlen der kritische Bogenschlag zu den Fundamentalisten aller Religionen der Gegenwart sowie eine zumindest oberflächlich nachvollziehbare Erklärung für die über Sadismus/Masochismus hinausgehende Verschwendung selbst im „Culture“-Universum grenzenloser Ressourcen. Auch findet der Autor keine befriedigende Antwort auf die Frage, ob Zuckerbrot oder Peitsche für das selbst virtuelle Volk das beste Opium ist. Wenn man als Schriftsteller derartig fundamental relevante Positionen aufbaut, dann sollte man auch eine zumindest „literarische“ Meinung haben. Die Handlungsebene um die Freiwillige Yime hätte hier gut herangezogen werden können, aber nach einem anfänglich starken und konzentrierten Beginn verliert Banks diese unterentwickelte Figur und die dahinter stehenden Zusammenhänge im letzten Drittel des Buches fast gänzlich aus den Augen.
Zumindest gibt es inzwischen eine schlagkräftige Opposition gegen diese Exzesse, ohne dass deren Hintergründe oder Motive nachvollziehbar extrapoliert worden sind. Auf den ersten Blick liest sich das alles über die farbenprächtigen Ideen hinaus sehr flüssig, aber hält nicht immer kritischem Hinterfragen stand, zumal Banks die verschiedenen Elemente des Buchs – Charaktere, Hintergrund inklusiv Kombination mit dem „Culture“-Universum sowie die Ideen einer neuer Art von Virtualität – am Ende inklusiv eines Epilogs konsequent zusammenführen muss.
Im ersten Teil des Romans führt Banks sehr unterschiedliche Figuren ein, deren Bedeutung sich im rasant und nicht unbedingt positiv entwickelnden intergalaktischen Konflikt weder für den Leser noch sie selbst zu erahnen ist. Dann zieht er quasi die „Kamera“ zurück und gewährt einen Blick in einen größeren Teil des Szenarios, bevor er sich im letzten Drittel wieder auf die einzelnen Schicksale konzentriert. Begleitet wird dieses kosmische Geschehen von Banks’ besten Schöpfungen. Den gigantischen Kriegsschiffen mit ihren künstlichen Intelligenzen und bizarren Bewusstseinen, die endlich nach zu vielen Jahren des Wartens aktiv in das Kriegsgeschehen eingreifen und ihre Feinde zerschmettern können. Auch in der soliden Übersetzung kommen die pointierten, zynischen Kommentare sehr gut zur Geltung.
Zusammengefasst beinhaltet „Krieg der Seelen“ im Vergleich zu Banks letzten eher ambivalenten und teilweise zu geschwätzigen Romanen eine deutliche Qualitätssteigerung. Viele Szenen wirken immer noch ein wenig gedehnt und teilweise stilistisch zu bemüht überfrachtet geschrieben, aber der Plot ist trotz oder wegen der Vielschichtigkeit deutlich stringenter erzählt und ambitionierter konzipiert, ohne auf allen Ebenen origineller zu sein. Für Anhänger der „Culture“ sind die neuen Fakten über die gigantischen, exzentrischen und intelligenten Raumschiffe und ihre verschiedenen Aufgaben wie die „Vergessenen“ als letzte Bastion des Imperiums interessant. Die Figuren sind wie schon angesprochen solide, wenn auch manchmal zur Grenze zum Klischee charakterisiert, während der Hintergrund und die Vielzahl der kleinen Details das Interesse des Lesers trotz einiger kleinerer Längen aufrechterhalten.