Sergej Lukianenko: Der falsche Spiegel (Buch)

Sergej Lukianenko
Der falsche Spiegel
Aus dem Russischen von Christiane Pöhlmann
Titelillustration von Animagic
Heyne, 2011, Paperback, 576 Seiten, 14,99 EUR, ISBN 978-3-453-53372-1 (auch als eBook erhältlich)

Von Carsten Kuhr

Zwei Jahre sind vergangen, seitdem wir zusammen mit dem Diver Leonid in die Tiefe eingetaucht sind. In der interaktiven Welt im weltweiten Rechnerverbund geht es seitdem gesitteter zu. Keiner benötigt mehr einen Diver, der dafür sorgt, dass allzu unvorsichtige User auch wieder aus ihren virtuellen Abenteuern auftauchen, bevor an sie Entkräftung oder Flüssigkeitsmangel sterben. So verdient Leonid nun als virtueller Möbelpacker ein paar Rubel hinzu, bläst ansonsten Trübsal und weiß nicht recht, was er mit seinem Leben und seinen Talenten eigentlich anfangen soll.

All dies ändert sich, als ein früherer Freund von Leonid stirbt. Ein Gerücht macht die Runde, dass eine Waffe der dritten Generation entdeckt und erstmals eingesetzt wurde. Als man dem toten User den Helm vom Kopf zog, lief Blut aus dem Stummel seiner abgebissenen Zunge, blutiger Schleim klebte an seinem Anzug. Kann es wirklich sein, dass man aus der Tiefe heraus einen Menschen in der Realität ermorden kann? Und wenn ja, wer steckt hinter der Tat, und welche Motive verbergen sich im Web?

Im Original hat Sergej Lukianenko mehr als 10 Jahre vergehen lassen, bevor er sich Leonid und dessen Welt ein zweites Mal annahm. Nahtlos schließt die Handlung an die Ereignisse, von denen Lukianenko uns in „Labyrinth der Spiegel“ erzählte, an. Das Gebotene fällt unter den Oberbegriff Cyberpunk, legt jedoch anders als Vieles was unter diesem Signet erscheint ein besonderes Augenmerk auf das echte Leben, die Gefühle und Träume des Protagonisten.

Wie man es von dem Autor kennt, berichtet er uns versiert und einfühlsam einmal mehr von einem geschundenen Menschen. Leonid irrt halt- und orientierungslos in seinem Dasein herum. Die Beziehung zu seiner Frau ist in Routine erstarrt, die innere Verbundenheit verdörrt. Nicht, dass sie ihn nicht länger interessiert oder reizt, doch der Reiz des Neuen, des Interessanten fehlt. Was einst von gegenseitiger Liebe und tiefen Gefühlen getragen wurde, das ist zu leeren Phrasen verkommen.

Dazu kommt, dass unser Erzähler auch in der Tiefe seinen Nimbus des Besonderen, seinen Heldenstatus verloren hat. Nicht länger kann er von seinem Ansehen als Diver zehren, darf sich stattdessen als Lohnsklave verdingen. Dass dies seinem Ego nicht eben gut tut kann man gut nachvollziehen und wurde von Lukianenko einmal mehr sehr anschaulich und einfühlsam beschrieben. Dabei lässt der Autor seine Leser selbst schlussfolgern, ohne sie hier bevormunden zu wollen.

Die Tiefe als virtueller Spielplatz ist erneut anschaulich, wenn auch nicht gerade innovativ neu gestaltet worden, die Suche nach dem Rätsel stringent aufgezogen und die Auflösung spannend ausgeführt. Auch wenn der Roman an die besten Werke des russischen Phantasten nicht ganz herankommt, bietet er dem Leser kurzweilige Lektüre in einer gelungenen Mischung aus Inner Space und Cyberkosmos.