Salgari, Emilio: Die Geheimnisse des schwarzen Dschungels (Buch)

Emilio Salgari
Die Geheimnisse des schwarzen Dschungels
(Il Misteri della Jungla Nera)
Aus dem Italienischen übersetzt von Jutta Wurm,
Titelillustration von Alberto Della Valle
VorWort von Dr. Paola Barbon
Wunderkammer, 2008, 342 Seiten, 17,95 EUR, ISBN 978-3-939062-10-3

Von Carsten Kuhr

Der Schlangenjäger des schwarzen Dschungels, Tremal-Naik, steht im Mittelpunkt der insgesamt elfbändigen Saga um die Piraten von Malaysia.
Fernab der Zivilisation und der englischen Kolonialherren lebt er mitten im Dschungel zusammen mit seinen zwei Dienern, einem Hund und seinem besten Freund, einem Tiger. Eines Nachts begegnet er einer geheimnisvollen Fremden. Schön wie der anbrechende Morgen ist diese, unschuldig und verführerisch zugleich. Er weiß, dass sein Herz gefangen ist, dass er sie wiedersehen muss, koste es was es wolle.

Die Spur führt auf eine einsame Halbinsel. Hier, im Reich der Schlingenmörder, wird die weiße Frau festgehalten und als Priesterin der Göttin Kali von den Thugs verehrt.
Allen Widerständen zum Trotz macht Tremal-Naik sich auf, seine Angebetete aus den Händen der Söhne Kalis zu befreien. Er stürmt ihren unterirdischen Tempel, nur um auf der Flucht mittels heimtückischer betäubender Dämpfe gestellt zu werden. Um seine Liebste zu retten, willigt er ein, den gefährlichsten Gegner der Thugs, einen englischen Offizier, zu meucheln. Als dieser von dem Plan Wind bekommt, dreht er den Spieß um. Eine mit Opium versetzte Limonade löst die Zunge des erpressten Meuchlers und verrät die Lage des Hauptquartiers der Schlingenmörder. Ein Wettlauf beginnt, an dessen Ende alle Parteien in dem weiträumigen Gewölbe der Thurg-Bruderschaft aufeinanderstoßen …

Was für England sein Rider-Haggard oder der bei uns sträflich vernachlässigte McDonald-Fraser (»Flashman«), für Deutschland Robert Kraft und Karl May waren, das war für Italien Emilio Salgari.
In seinen farbenprächtigen Abenteuerromanen gingen Generationen von Lesern auf Abenteuerjagd, besuchten fremde Völker und Länder, eroberten Schätze und fochten packende Kämpfe aus.
Am Bekanntesten wurde bei uns aufgrund der erfolgreichen Verfilmung fürs Fernsehen sein Zyklus um Sandokan, den Piraten von Malaysia, ansonsten lagen lediglich stark gekürzte und inhaltlich verfälschte Übersetzungen seiner Bücher vor.
Dies soll sich nun ändern. Der kleine, aber sehr engagierte, Wunderkammer Verlag nahm sich des Oeuvres an, und konzipierte eine Salgari-Edition, in der seine Saga um die malayischen Piraten in kongenialen und natürlich ungekürzten Neuübersetzungen aufgelegt werden sollen. Bislang sind zwei Bände erschienen, für Frühjahr 2010 ist der dritte Titel in Vorbereitung.

Ähnlich wie seine Zeitgenossen Rider-Haggard, der seine Romane vornehmlich in Schwarz-Afrika ansiedelte, oder Karl May, der seine Leser entweder ins Land der Indianer oder ins wilde Kurdistan entführte, hatte auch Salgari seine bevorzugten Handlungsorte. Neben der Karibik wandte er sich, ohne selbst jemals in diese Länder zu reisen, der indischen Halbinsel zu.
Der Freiheitskampf der Inder gegen die englische Kolonialmacht bot ihm in Kombination mit der überbrodelnden Fauna der Inseln und des Festlands eine farbenprächtige Kulisse, in der er seine Helden agieren lassen konnte.
Und diese unterschieden sich von den Konkurrenten markant. Das waren keine überlegenen Kolonialherren, keine edlen Einheimischen, die die besseren Weißen verkörperten, sondern Menschen, die Fehler hatten, die auch einmal schwach waren, die Gefühle offenbarten und überzeugend, lebensecht agierten.
Insofern ist das Bonmot vom italienischen Karl May irreführend, steht Salgari ganz für sich. Natürlich ordnet sich der Text der Zeit und dem Lesergeschmack unter. Es geht um nichts anders, als den Kampf der Guten gegen die Bösen, um Kolportageversatzstücke, die altbekannt sind. Die Kapitel enden zumeist in Cliffhangern, hier merkt man dem Text an, dass er ursprünglich als Fortsetzungsroman in einer Zeitung erschien.

Dr. Paola Barbon hat es in seinem sehr informativen Vorwort treffend zusammengefasst: »Der vorliegende Text folgt mit aller nötigen Treue dem Original, seinem Aufbau und Plot, seinem Pathos und seinen Ausrufen, den Bildern und den exotischen Vokabeln.« (S. 18)

Pathetisch, ja schwülstig, kommt der Text so manches Mal daher, die Logik lässt der Autor auch des Öfteren außen vor, allein dies alles schmälert nicht den Lesegenuss. Zu dominant erscheint die farbenprächtige Kulisse des Dschungels, zu finster sind die Gegner unseres Helden, zu ehrlich die Liebe des Vaters und des Galanen für die gepresste Priesterin, als dass all die Übertreibungen den Lesefluss stören würden. Voller Elan wagen wir mit unserem Helden das Unmögliche, begeben uns, im wahrsten Sinne des Wortes, in die Höhle des Löwen, um dort entweder zu triumphieren oder zu scheitern.
Das ist packend, das lässt den Leser die Umgebung vergessen, das entführt ihn in eine Welt, in der sich die Gegner noch Auge in Auge gegenüberstanden, in der gefightet wurde, in der Ehre und Überzeugung noch mehr galten als schnöder Mammon.

Als solches ist die wohlfeile Ganzleinenausgabe nicht nur eine Reminiszenz an die vergangene Kindheit, sondern auch die Entdeckung eines zu Unrecht bei uns kaum bekannten Autors.